Jährlich besuchen drei Millionen Menschen diese einzigartige Naturlandschaft. Um den Massen jedoch zu entkommen, sollte man den Nationalpark zu Fuß erkunden.

Yosemite Nationalpark. Der Hut sitzt nicht gut. Überhaupt nicht. Rutscht ständig über die Stirn, wenn sie sich nach einem Stapel Akten bückt. Kippt nach hinten weg, sobald die topografischen Karten ganz oben aus dem Schrank gebraucht werden. Und wenn sie an die unteren Ablageschubladen muss, fällt er ihr vom Kopf. Dann kullert er auf seiner steifen Filzkrempe balancierend durchs Büro, und Adrienne Freeman flucht hinter ihm her und packt ihn und setzt ihn wieder auf, muss ja sein, gehört ja zur Uniform. Nun sind Rangerhüte nicht unbedingt erfunden worden, um in engen Büros getragen zu werden. Und sowieso sollten Ranger eigentlich nicht hier drinnen, sondern da draußen sein, in der Natur. Sind sie ja auch. Normalerweise. Bloß ist das hier kein normaler Nationalpark, sondern Yosemite: "Bei uns fällt mehr Büroarbeit an als im Pentagon." Sagt Ranger Freeman und schiebt sich den Hut einen Zentimeter tiefer in die Stirn. Zum Glück liegen die Park Headquarters so, dass man aus den Fenstern auf den Half Dome und den Sentinel Rock sehen kann, zwei dieser Wahrzeichen aus Granit, die den Park bekannt gemacht haben. Ansonsten wäre das ganz schön blöd hier. Schließlich will man ja nicht nur auf Akten und Computerschirme schauen, wenn man im berühmtesten Nationalpark der USA arbeitet.

Denn das ist Yosemite, und er ist noch mehr. Populär zum Beispiel. 3,3 Millionen Besuchern kamen 2008 und machten "Jo-SÄ-mi-tie" zum drittbeliebtesten Nationalpark des Kontinents. Nur der Great Smoky Mountains National Park in Tennessee und Arizonas Grand Canyon National Park haben mehr Besucher. Yosemite ist eine Legende. Ein Mythos, tief und fest verankert in der amerikanischen Psyche. Yosemite ist Amerika. Oder zumindest Kalifornien.

Ein kristalliner Morgen, ein mitgebrachtes Sandwich, ein Aussichtspunkt an den Yosemite Falls, 800 Meter über dem Valley. Das vor 30 Millionen Jahren von malmenden Gletschern geformte Tal ist das Herzstück des Parks: zehn Kilometer Wiesen und Auen, flankiert von Granit-Monolithen, Felsdomen und steilen Klippen, eine Allee der steinernen Wächter, die im Licht der frühen Sonne metallisch glänzen. Mit dem Fernglas kann man Kletterer an der Flanke des El Capitan ausmachen, Ameisen an einer Wand, unermüdlich tastend, nach oben, zum Gipfel, Richtung Endorphine, Richtung Ruhm. Über dem Tal liegt eine majestätische Ruhe, obwohl das Tosen des Wasserfalls nicht zu überhören ist. Hin und wieder fegt eine Böe in die Gischt, das Wasser stiebt erschrocken auseinander, und wenn die Sonnenstrahlen es jetzt im richtigen Winkel erwischen, spannt sich für ein, zwei Augenblicke ein Regenbogen über das Tal, beinahe surreal sieht das aus. Wenn man solche Bilder zuhause betrachtet, glaubt man immer, sie seien am Computer entstanden.

Diese Yosemite Falls sind mit 739 Metern die höchsten Wasserfälle des Kontinents - das passt zu einem Nationalpark der Superlative. 1500 Pflanzen- und 35 Baumarten sind hier heimisch, 85 Säugetierspezies, 150 Vogelarten. Und dann die schiere Ausdehnung! In seine 3000 Quadratkilometer könnte man locker den US-Bundesstaat Rhode Island packen, oder drei Mal ganz Berlin. 95 Prozent der Parkfläche ist sogenannte "Wilderness" - so werden in den USA Gebiete bezeichnet, die den höchsten Naturschutz genießen. Ironischerweise sind es ausgerechnet die übrigen fünf Prozent, die Yosemite auch zu einem Park mit Problemen der Superlative machen.

Yosemite läuft Gefahr, überrannt zu werden. Man sagt das so einfach, "überrannt" - aber wie will man diesen Ansturm anders bezeichnen? Nach Yosemite kommen mehr Menschen als in jeden anderen Park des Westens; in den vergangenen Jahren waren es in der Hauptsaison zwischen April und September an manchen Tagen 25 000 Besucher. Staus in und aus dem Valley, in dem sich Unterkünfte, Läden, die Anselm Adams-Galerie und die Parkplätze befinden, sind längst die Regel; die schleifenförmige Einbahnstraße ins Tal hinein und wieder hinaus zählt im Sommer zu den fünf meistbefahrenen Durchgangsstraßen in den kompletten USA. Dass über 90 Prozent der Besucher wegen des Souvenirangebots, der Lunch Specials oder der eigenen Kurzatmigkeit nie über das Valley hinauskommen und dieses Tal nur ein Prozent der Parkfläche ausmacht, kann nicht wirklich trösten. Bei einem Herzinfarkt ist ja auch nur ein winziger Teil der Blutbahnen im menschlichen Organismus verstopft.

Hier zum Beispiel, sagt Ranger Freeman, rückt ihren Hut zurecht und zeigt mit dem Finger auf eine Karte des Parks, hier, am Merced River: "Da mussten wir sämtliche Zeltplätze schließen. Ging einfach nicht anders. Es kam ja keiner mehr mit einem normalen Auto - die hatten alle diese Riesenkisten. Die Zelte wurden auch immer größer, und von 2700 Campern haben 1000 schon mittags den Barbecue-Grill angeworfen." Ranger Freeman seufzt. "An manchen Tagen sah es aus wie bei Woodstock". Es klingt ein bisschen so, als sei sie manchmal auch lieber Besucher in Yosemite. Und nicht immer nur Ranger. Vor allem nicht, wenn man ständig nur Statistiken auswerten soll.

Pläne zur Rettung Yosemites gibt es schon seit einem guten Vierteljahrhundert. Weil aber Nationalparks in den USA der Öffentlichkeit gehören, muss jede Veränderung zur Diskussion gestellt werden - bei der Prozessfreudigkeit in diesem Land nicht unbedingt eine Voraussetzung, die Dinge beschleunigt. Immerhin gibt es mittlerweile umweltfreundliche Hybrid-Busse, die täglich 7000 Besucher transportieren und erheblich zur Luftverbesserung beitragen. Eine Limitierung der Besucherzahl ist im Gespräch, vor einem Auto-Bann schreckt man zurück. Und die Restaurants, Souvenirshops, Motels? Bringen zu viel Geld in die Kassen, als dass man auf sie verzichten wollte. Weil das aber natürlich dennoch an allen Ecken und Enden fehlt, wird seit einiger Zeit das Modell "National Parks Inc." diskutiert, bei dem der Erhalt von Amerikas schönster Natur künftig über Sponsoring finanziert würde. Ranger Freeman windet sich bei diesem Thema ein bisschen. "Müssen wir dann Plaketten an die Sequoias nageln, wenn eine Spende für die kommt?" Sie hält den Kopf leicht schief. Der Hut beginnt zu rutschen.

Ins Reich der Mammutbäume geht man am besten frühmorgens, bevor die Busse kommen. Die Sequoias in Yosemites Mariposa Grove sind bis zu 3000 Jahre alt und die mächtigsten Lebewesen, die je auf diesem Planeten weilten, Wale und Dinosaurier eingeschlossen. Man schaut nach oben und kann es nicht fassen, also setzt man sich vorsichtig in ihren Schatten und denkt erst mal an überhaupt nichts. Hoch oben fächern Äste und Nadeln die Sonne zu feinen Strahlen auf, in denen Bienen wie im Scheinwerferlicht einer Bühne hin- und hersummen. Warm ist es, auf der Haut, und tief drinnen auch. Nach ein paar Minuten unter dieser Strahlendusche stellt sich ein Gefühl dafür ein, weshalb Kaliforniens Sequoias auch "Kathedralen der Sierra" genannt werden - die Stille hier ist wie die in einem Tempel oder einer Kirche. Und so, wie man dort ehrfürchtig vor der Kunst der Baumeister und der möglichen Anwesenheit von etwas Höherem sitzt, sitzt man im Mariposa Grove in Ehrfurcht vor Größe, Alter und Würde der Natur. Für kostbare Minuten ist man ganz allein mit sich selbst und diesen Bäumen, die schon hier standen, als in Europa noch nicht einmal Rom gegründet war.

"Man kann Gott atmen sehen in diesem Park", hat ein Wanderer in das Buch geschrieben, das im Visitor Center des Valleys ausliegt, "man muss nur losgehen und danach Ausschau halten". Vielleicht ist es ja wirklich ein Fingerzeig der Schöpfung, dass man den wahren Yosemite nur zu Fuß erkunden kann, mit Zelt und Rucksack, auf 1300 Kilometer Wanderwegen. "Die Flut der Besucher", schrieb ein prophetischer John Muir 1903, "wird am Boden des Tales bleiben, und die Schönheit und Größe der Felsen und Fälle wird sich als unantastbar erweisen". Auch, wenn der Preis dafür ist, dass Ranger wie Adrienne Freeman ständig darauf achten müssen, dass ihnen während der langen Stunden im Büro der Hut nicht immer wieder vom Kopf rutscht.