Bei einem Rundgang durch Bruchwälder und über Auenwiesen trifft der Besucher auf seltene Pflanzen und Tiere. Dazu geben Zeitzeugen ihre Erinnerungen an ein Kapitel deutscher Geschichte preis.

Die Dämmerung bricht jetzt sehr schnell herein, der Pfad durchs Gehölz ist nur noch schwer auszumachen. Jedes Knacken der Äste, jeder halb unterdrückte Fluch, wenn ein Schuh in den Morast tappt - das wäre damals zu viel, wäre verräterisch gewesen. Damals, in den Jahren nach dem Krieg bis 1961, als die deutsch-deutsche Grenze noch stellenweise durchlässig war und einige Thüringer sich in dem hügeligen, bewaldeten Gebiet bei Sonneberg öfter nachts nach Oberfranken wagten. Verstohlen, lautlos, nach allen Seiten sichernd schlichen sie zwischen den Fichten hindurch. Manchmal verfing sich im Geäst ihr Huckelkorb, der bis obenhin voll war mit Räuchermännchen, Zieh-Enten und Nussknackern, die sie drüben gegen Lebensmittel eintauschten. Zumindest ein wenig können die fünf Männer, die heute Abend auf den alten Pfaden unterwegs sind, die Angespanntheit und Nervosität ihrer Vorgänger nachempfinden. "Meine Mutter haben sie einmal geschnappt", sagt der Klempner aus Sonneberg in die Dunkelheit hinein. "Sie hat Schuhe getauscht. Man sperrte sie eine Nacht ein und nahm ihr die Kartoffeln weg. Sonst hatte es keine Folgen."

Jetzt mündet der Pfad auf den ehemaligen Kolonnenweg, der parallel zum Grenzzaun verlief. Das Gehen wird einfacher, es ist Zeit für Geschichten aus dem Grenzland: Wie manchmal die Minen hochgingen, weil ein Wildschwein darauf getreten war. Warum es eine "Stillhalteprämie" für Menschen im Sperrgebiet gab. Und was man empfand, als der Kollege Kartoffelausfahrer mit dem Lkw in den Westen durchbrach. "Ich bin hier geblieben", sagt der Klempner. "Thüringer sind heimattreu. Ich habe es nicht bereut."

Der Rundgang auf den alten Schmuggelpfaden zwischen Thüringen und Oberfranken ist Höhepunkt einer Pauschaltour im Rahmen des Projekts "Erlebnis Grünes Band". 1393 Kilometer lang und zwischen 50 und 200 Meter breit zieht sich der einstige "Todesstreifen" durch Deutschland. Etwa ein Drittel davon steht unter Naturschutz: ein Verbund von Auenwiesen, Bruchwäldern und Heideflächen, in denen mehr als 600 gefährdete Tier- und Pflanzenarten leben. Zum 20. Jahr der Grenzöffnung förderte das Bundesamt für Naturschutz drei Modellprojekte, in denen die Quadratur des Kreises versucht wird: Im Harz, der Region Elbe-Altmark-Wendland und eben hier, im Gebiet Thüringer Schiefergebirge-Obere Saale-Frankenwald soll länderübergreifend der Naturschutz verstärkt, zugleich die Erinnerung an die Grenze wach gehalten und die Zahl der Besucher erhöht werden.

Naturführer zeigen Interessierten die kleinen und großen Schätze im einstigen Sperrgebiet. "Sonnentau, Smaragdlibelle, Keulenschrecke", zählt Biologe Stefan Beyer auf. "Und die sehr gefährdete Heidelerche." Sie braucht einen trockenen Standort am Waldrand - so, wie sie ihn auf dem ehemaligen Grenzstreifen bei Mitwitz vorfand. Doch während der letzten 20 Jahre schossen manche Birken fünf, sechs Meter hoch. Deshalb haben Jugendliche in diesem Sommer Schösslinge ausgerissen und die niedere Strauchheide wieder freigelegt - auch diese Workcamps sind Teil des Projekts.

Daneben aber nutzten die Touristiker die Chance, einzelne kleinere Attraktionen in Pauschalen einzubinden. Und förderten dabei so manches Schmuckstück zutage. So gestaltete in Probstzella ein Fabrikant ohne viel Tamtam das ehemalige Haus des Volkes, das größte Bauhausdenkmal Thüringens, zu einem Hotel um. Alfred Arndt errichtete das Gebäude 1927, während der DDR-Zeit fanden dort Konzerte für die Grenztruppen statt, in den vergangenen fünf Jahren ließ Dieter Nagel Lampen, Stühle, Tische und Schränke originalgetreu nachbilden.

Zwischen Gräfenthal und Lichte ist eine Draisine unterwegs, von Steinwiesen nach Nordhalben verkehrt die restaurierte Rodachtalbahn. Es gibt Grenzmuseen in Gräfenthal und in Nordhalben, und Fahrradtouren, die am berühmten Rennsteig entlangführen, mit Halt in Heinersdorf, wo noch ein Stück der Mauer steht. Nicht immer klappt das Zusammenspiel zwischen Naturschutz und Tourismus ganz reibungslos. Die Unimog-Touren der Firma Grenzfahrten sehen die Biologen nicht gerade mit Begeisterung. Dröhnend röhrt der bullige Laster die dreißigprozentige Steigung des Plattenwegs bei Nordhalben hinauf. Oben erklärt Marcel Müller anhand von Schaubildern sehr verständlich den Aufbau der Grenzbefestigungen mit Signalzaun, Selbstschussapparaten, Hundelaufanlagen und Plastikminen: "Eine Million Mark kostete jeder Kilometer Grenze die DDR - kein Wunder, dass es keinen Beton im Land gab."

Wer lieber auf eigene Faust loszieht, kann künftig an fünf Stellen Audioguides leihen, die ihn mit Informationen zu Natur und Geschichte versorgen. Bei der Herstellung dieser Führer stieß man auf eine ganze Reihe von Zeitzeugen, die etwas über die Grenze zu erzählen haben. Günther Höderlein ist 65 und stammt aus Reichenbach in Franken. Mit 13 stellte er sich im Schieferwerk in Lehesten in Thüringen vor und wurde genommen, um Schieferabfälle mit Schablone und Schere in Form zu bringen. Zwischen 100 und 200 Westdeutsche arbeiteten damals in dem Schieferbruch, fuhren jeden Morgen mit dem Bus über die Grenze und kehrten abends zurück - "Gastarbeiter", von denen man wenig weiß. Zwei Drittel des Gehalts gab es in Westgeld, ein Drittel als Gutschein, mit dem man einkaufen konnte im HO, der extra gut bestückt wurde: "Ich hatte schon mit 16 ein Fahrrad mit Gangschaltung." Perlonstrümpfe und Orangen wanderten in die andere Richtung, selbst die eine oder andere Ost-West-Liebschaft entwickelte sich: "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg", sagt der Franke, leise lächelnd. War der Monat um, gingen alle Blicke hoch zum Roten Stern. War der erleuchtet, hatte die Belegschaft das Soll erfüllt und es gab einen Liter Bergmannschnaps für jeden. 1961 war Schluss: "Nach dem Mauerbau sagte der Hüttenmeister: Ihr könnt dableiben, jeder kriegt eine Wohnung gestellt. Aber keiner ließ sich darauf ein."

Alle Gemeinden im Grenzgebiet haben mit Abwanderung zu kämpfen. Lediglich in Stockheim ist schon zusammengewachsen, was zusammengehört. Am "Neuglosberger Bratwursthäusle" gibt es für 2,40 Euro die "Wiedervereinigte": "Eine fränkische und eine Thüringer Bratwurst zusammen im Brötchen", sagt Pächterin Karin Spindler verschmitzt. "Für alle, die sich immer noch nicht entscheiden können, ob es im Westen besser ist oder im Osten."