Der Familienausflug führt zu berühmten Filmschauplätzen, königlichen Palästen oder knurrenden Saurier-Skeletten. Und wer möchte, hat sogar Gelegenheit, Brad Pitt zu küssen.

Bedeutet ein "Familienurlaub" zwangsläufig 15 Jahre Ferien auf dem Bauernhof, Kluburlaub und Bungalowparks? Nein, hier folgt der Gegenbeweis: Auch mit Kindern ist eine Woche London-Urlaub möglich, und zwar so, dass hinterher alle wieder hinwollen. London bietet sich zurzeit sogar geradezu an, weil das Pfund so schön niedrig steht. Da muss man eigentlich nur noch eine wichtige Regel beherzigen: Man darf den London-Trip mit Kindern nicht so planen, als wäre es ein London-Trip ohne Kinder.

Deshalb lässt man am Besten alle Reiseführer zu Hause, die unter "Das sollten Sie auf keinen Fall verpassen" fünf Museen und sechs Kirchen aufführen. Der erste Eindruck zählt, so beginnt Tag 1 sinnvollerweise mit der Frage: "Sollen wir uns ansehen, wo Harry Potter immer abfährt?" "Ja, ja, ja!" So fliegen einem Kinderherzen zu. Harry reist bekanntlich zu Beginn eines jeden Abenteuers von Gleis neundreiviertel im Bahnhof King's Cross mit dem Hogwarts-Express nach Schottland. Den Bahnhof gibt's, das Gleis gibt's nicht, aber dafür eine perfekte Fotogelegenheit. Und so kommt man hin: Mit der U-Bahn bis nach King's Cross fahren und Gleis 8 entlanggehen bis hinter den Fahrradstand - dort hängt dann links ein Schild mit der Aufschrift "Platform 9 3/4". Darunter ist die hintere Hälfte eines Gepäckwagens montiert, sodass es so aussieht, als würde er in der Ziegelsteinwand verschwinden. In der Hauptsaison stehen Potter-Pilger Schlange, um sich mit dem Wagen fotografieren zu lassen.

Weitere Drehorte aus den Harry-Potter-Filmen: Die Eingangshalle des Australia House an der Ecke Aldwych/Strand diente als Koboldsbank Gringotts, die säulengetragene Ladenpassage Leadenhall Market hatte ihren Auftritt als Winkelgasse und die Mauern der Regierungsgebäude von Whitehall bildeten die Kulisse des Zaubereiministeriums - gedreht wurde an der Ecke Scotland Place/Great Scotland Yard. Lohnenswert ist die Millennium Bridge von Norman Foster, die zu Beginn des neuen Potter-Films von bösen Todessern zerstört wird. All diese Orte liegen mitten im Zentrum - auf dem Weg dorthin passiert man auch einen großen Teil jener Sehenswürdigkeiten, auf die Erwachsene Wert legen: Parlamentsgebäude mit Big Ben, Downing Street, Trafalgar Square. Der Zoo kommt auch in Harry Potter vor, aber den sollte man auslassen - er ist klein und überteuert.

Städtetrips mit Kindern haben einen großen Vorteil: Man kann sich die Gemäldegalerie XY sparen und stattdessen Kaffee trinken gehen. Falls die Kinder noch klein sind, empfiehlt sich dafür Kensington Gardens, denn dort gibt's den Diana Memorial Playground mit Piratenschiff und Matsch-Bach. Das Ganze ist eingezäunt, und am Eingang wacht freundliches Personal darüber, dass keine Hunde oder bösen Jungs reinkommen.

Vor zehn Jahren wäre das mit Kindern noch schwierig gewesen, damals führten manche Londoner Restaurants Schilder wie "Kinder nicht erwünscht". Mittlerweile können die Kleinen selbst in der "Orangerie" mit Dreirädern um die Tische kurven. Ein anderer guter Ort zum Ausspannen ist "Hampstead Heath". Das altmodische Café am Sportplatz ist unschlagbar gut und billig. 100 Meter weiter ist ein großer Spielplatz, und in den drei Naturseen kann man schwimmen gehen.

In der Nähe von Kensington Gardens liegt das eine Londoner Museum, das bei allen Kindern ein garantierter Erfolg ist - das Natural History Museum mit seinem Diplodocus-Skelett in der Eingangshalle und einem beweglichen, knurrenden und sogar vorzeitlich stinkenden T-Rex im linken Seitenflügel. Weitere Highlights sind die Spinnensammlung und ein nachgestelltes Erdbeben. Der Eintritt ist gratis, aber Vorsicht: Man zahlt schnell 20 Pfund für Plastiksaurier und ferngesteuerte Skorpione, wenn die Kleinen den Shop entdecken.

"Heute aber wieder an den Strand!" - auf eine solche Forderung muss sich der Erziehungsberechtigte auch in London gefasst machen. Bei Ebbe gibt die Themse am Südufer - Höhe Tate Modern - kleine Sandstrände mit Muscheln und Felsblöcken frei. Die Kinder können dort nach Krebsen suchen, während man selbst den Ausblick auf St. Paul's und die Penthouse-Paläste und Business-Burgen der City genießt. Ein weiteres Museum, das in Betracht kommen könnte, ist das London Transport Museum in Covent Garden mit lauter alten roten Bussen. Nichts geht aber über eine Tour im Doppeldeckerbus. Hier bloß keine teure Touristenkutsche nehmen, sondern eine normale Linie - wohin die Reise geht, steht ja groß vorne drauf. Die besten Plätze sind oben in der ersten Reihe - da kann man sogar auf die tief fliegenden City-Tauben herabschauen. Die Fahrgeschwindigkeit ist nicht höher als zur Droschkenzeit - die meiste Zeit stehen die Busse im Stau.

Vieles in London ist immer noch haarsträubend teuer, ein Besuch bei Madame Tussaud's kostet rund 100 Euro für eine vierköpfige Familie. Hier kommt noch hinzu, dass man erst mal ein oder zwei Stunden anstehen muss. Manche der Wachsdoubles haben so wenig Ähnlichkeit mit den Originalen, dass dies schon wieder einen gewissen Unterhaltungswert hat. Bei Prinz William etwa kann das Urteil nur lauten: Einschmelzen und neu kneten! Leider verhält es sich so, dass nahezu alle Kinder und Teenies es toll finden, sich mit David Beckham, Cameron Diaz oder Brad Pitt fotografieren zu lassen. Man kann die Figuren auch umarmen, boxen, küssen - Tuchfühlung ist erlaubt. Aber Achtung: Das Gedränge nutzen Taschendiebe aus, die im Handumdrehen Rucksäcke aufschneiden und Taschen leer räumen.

Für Sportinteressierte bieten sowohl Arsenal als auch Chelsea Stadien-Touren an. Wer Tickets für die Spiele sucht, muss rechtzeitig im Internet buchen. Ein gutes Museum hat Wimbledon (Church Road), auch deutsche Tennisstars wie Boris Becker und Steffi Graf werden dort gewürdigt. Wer eine exzentrische englische Sportart erleben will, der besucht das Walthamstow Stadium, die größte Hunderennbahn des Landes. Absolut kurios, wie die Greyhounds unter dem Jubel Tausender Zuschauer einem kleinen Stoffhasen nachsetzen, der sirrend auf einer Schiene vorbeisaust.

Kleine Mädchen gehen vielleicht lieber ins Königinnenschloss. Nun sehen die Londoner Paläste zwar nicht aus wie bei Disney - Kensington Palace ist ein von außen unscheinbarer Backsteinbau, und der massige graue Klotz namens Buckingham Palace könnte auch nicht als Kulisse für Schneewittchen herhalten. Von innen aber entspricht "Buck House" - wie der Palast hier genannt wird - durchaus den Kleinmädchenträumen: Der goldene Thron unter einem purpurnen Baldachin, die schweren Leuchter, die nicht enden wollende Festtafel - all das sieht genauso aus wie in einem Märchenfilm.

Der Palast kann allerdings nur besichtigt werden, wenn die Königin im August und September ihren achtwöchigen Sommerurlaub nimmt. Außerhalb dieser Zeit muss man nach Kensington Palace, wo sich nach Dianas Tod die Blumen häuften und wo heute noch ihre Kleider hängen. Die Bronzestatue von König Wilhelm III. von Oranien vor dem Eingang war übrigens die Inspiration für Piratenkapitän Hook aus "Peter Pan".