Heute lockt das geschützte Gebiet Camper, Wanderer und Klettersportler. Doch kämpften in dieser rauen Einöde einst Siedler ums Überleben.

Joshua Tree. Der Ranger schiebt sich betont lässig den Hut in die Stirn. "Leute, passt auf, wo ihr hintretet", warnt er, "hier draußen sind massenweise Klapperschlangen unterwegs." Wir nicken unerschrocken. So ein paar "Rattler", wie die Einheimischen die giftigen "Rattlesnakes" nennen, können uns nicht stoppen. Wir befinden uns im Joshua Tree Nationalpark in Südkalifornien, zweieinhalb Autostunden von Los Angeles entfernt. Und Ranger Todd Stellhorn wird uns gleich zu einem der faszinierendsten Orte im Park führen: der kleinen Ranch des letzten Wild-West-Farmers, der es einst in dieser Einöde ausgehalten hat.

Wie hart das Leben hier gewesen sein muss, erleben wir am eigenen Leib, sobald wir aus dem Auto steigen. Die Sonne brennt gnadenlos. Das trockene Klima lässt die Augen tränen. Wasser ist Mangelware und nur auf zweien der neun Campingplätze zu haben. Alles, was in dem kargen Boden gedeiht, ist dürr und stachelig: Kreosotbüsche, Kakteen, Yucca-Palmen, Joshua trees. Schatten spenden höchstens die bizarren Gesteinsformationen. Kein Laden, kein Restaurant, kein Hotel, und das auf einer Fläche so groß wie das Saarland und Hamburg zusammen.

Ein knappes Dutzend Touristen hat heute die Ranchtour mit dem 29-jährigen Parkranger gebucht. Unsere Gruppe stapft einen sandigen Pfad entlang, wer genau hinsieht entdeckt Kakteen in Blüte und zarte Wildblumen in lila und gelb. Bis Todd Stellhorn plötzlich vor einem gut drei Meter hohen struppigen Gewächs Halt macht. Ein Joshua tree, das Wahrzeichen des Parks. "Der ist mindestens 100 Jahre alt, bei der Größe", schätzt der Ranger.

Hier in der Mojave-Wüste, im nordwestlichen Teil des naturgeschützten Areals, stehen diese Mitglieder der Agavenfamilie überall in der Landschaft wie bizarre Vogelscheuchen. Ihren Namen (zu deutsch: "Josuabaum") bekamen sie angeblich von Mormonen im 19. Jahrhundert, weil diese sich an den betenden Josua aus der Bibel erinnert fühlten. Selbst Kalifornien-Experten konnten dem Joshua tree damals wenig abgewinnen: Der Entdecker John Fremont nannte ihn angewidert "den abstoßendsten Baum im Pflanzenreich".

Todd führt uns weiter, und kurz darauf stehen wir vor dem Farmgebäude des Siedlers William Keys. Dass die Ranch noch erhalten ist, liegt an der Hartnäckigkeit ihres Besitzers: Während Hunderte andere Siedler in der Mojave-Wüste längst aufgegeben hatten, schlug Keys sich hier mit seiner Familie bis Ende der 1960er-Jahre durch. Der Nationalparkservice erhält diese sogenannte Homestead heute liebevoll. Die Farm sieht genau so aus wie der bärbeißige Siedler sie nach seinem Tod 1969 zurückgelassen hat - inklusive dem Einschussloch in der Wand, dem Ergebnis einer missglückten Schießübung. Wir bestaunen das Porzellan im Esszimmerschrank, den steinernen, handgemachten Damm für das Regenwasser und die verrosteten Oldtimer im Hof. Der Ranger weist auf einen mickrigen Birnbaum vor dem Haus. "Den hat William mit seiner Frau im Jahr 1918 gepflanzt", sagt er. "Die Parkverwaltung hält das Bewässerungssystem instand, sonst würde hier außer Kakteen nichts mehr wachsen."

Keys Biografie liest sich wie das Drehbuch für einen Westernfilm: Mit 15 riss er von zu Hause aus, weil sein Vater sein Lieblingspferd erschoss. Er schlug sich als Cowboy durch, bis er 1910 als Aufseher einer wenig ertragreichen Goldmine anheuerte, die im heutigen Nationalparkgebiet lag. Als deren Besitzer starb, erstritt Keys sich das riesige Minengrundstück vor Gericht, als Wiedergutmachung für Jahre ohne Bezahlung. Er heiratete, baute die Farm und blieb. So rau wie das Klima waren damals auch die Sitten. Keys' Söhne vertrieben sich die Zeit damit, Dynamit in den Felsen explodieren zu lassen. Unwillkommene Gäste wurden per Feuerwaffe vergrault. Im Jahr 1943 eskaliert ein Nachbarschaftsstreit: Der Besitzer einer nahegelegenen Ranch lauert Keys in einem Hinterhalt auf. Keys bemerkt die Falle, schießt dem Gegner erst in den rechten, dann in den linken Arm. Als der Angreifer dennoch mit Gewehr am Anschlag auf ihn zustürmt, feuert Keys ihm in die Brust. Wegen Mordes wandert er für sechs Jahre ins Gefängnis. "Das Leben im Knast war für Keys wie Urlaub", behauptet Todd. "Endlich hatte er Zeit zum Lesen."

Als der Ranger die Tour beendet und hinter uns das Gatter schließt, fahren wir in den südlichen Teil des Parks. Auf dem Weg dorthin sehen wir, wie sehr sich Keys' Welt gewandelt hat. An den Granitfelsen im "Hidden Valley", dem "Versteckten Tal", tummeln sich Klettersportler, der Parkplatz am Picknick-Areal ist voll belegt. Vom Campingplatz dröhnt der Stromgenerator eines riesigen Wohnmobils herüber. Trotzdem: Sobald wir dieses touristische Zentrum des Parks hinter uns gelassen haben, umgibt uns nichts als Einsamkeit. Auf dem Weg nach Süden geht es stetig bergab, und als unser GPS anzeigt, dass wir die 900 Höhenmeter-Marke unterschritten haben, tut sich eine neue Landschaft auf: die Sonora-Wüste. Hier wachsen die seltenen Ocotillo-Kakteen (sprich: Oko-ti-jo) - mannshohe, krakenartige Gewächse mit stacheligen Armen. Nachts sitzen wir am Lagerfeuer am abgelegenen White Tank Campingplatz. Der Himmel über der Wüste ist sternenklar. Doch dann kommt Wind auf. Der gefürchtete Joshua-Tree-Wüstenwind.

In kürzester Zeit verwandelt er unser romantisches Feuer in eine qualmende Rauchschleuder, fegt das Kochgeschirr vom Tisch und pustet uns den Wüstensand unter alle Kleidungsschichten. Nachts ist der Wind so laut, dass wir nur mit Ohrenstöpseln Schlaf finden.

Am nächsten Morgen haben sich die Böen gelegt. Wir brauen Kaffee auf dem Benzinkocher, halten den Atem an, als ein Kolibri bis auf einen Meter an uns heranschwirrt, sekundenlang in der Luft stillsteht und dann abrupt abdreht. Schließlich bauen wir das Zelt ab und begeben uns noch einmal auf die Spuren des William Keys. Wir fahren zum Schauplatz der "letzten Schießerei des Wilden Westens". So zumindest nannten die Zeitungen die Sache damals.

Der Ort ist leicht zu finden. Wir folgen dem unbefestigten Weg zur "Wall Street Mill", so heißt das alte Pochwerk, in dem einst Erz zur Goldgewinnung zerstampft wurde. Nach ein paar Minuten sind wir am Ziel. Auf einem grabsteinartigen Felsbrocken steht: "Hier biss Worth Bagley ins Gras, umgebracht von W. F. Keys, Mai 1943." Einen Moment lang fühlen wir uns in die Zeit des alten Keys zurückversetzt. Als Kalifornien noch voll war von Abenteurern, Goldsuchern und Revolverhelden. Als wir später im "Crossroads Café" im Ort Joshua Tree unsere Drinks in Empfang nehmen, zollen wir den Überlebenskünstlern von damals unseren Respekt: Wir trinken auf Keys - und auf diese weite, sonderbar schöne Wüstenwelt.