Die Fischerei blickt hier auf eine lange Tradition zurück. Doch ist die “Münchner Badewanne“ auch ein schönes Revier für Wassersportler und Urlauber, die einfach nur ein paar Tage entspannen wollen.

Mit geschickten Händen befreit Peter Gastl eine Renke aus den beinahe unsichtbaren Perlonmaschen des Netzes. Er betäubt den Fisch mit einem beherzten Schlag auf die Bordwand und wirft ihn zu den anderen Kollegen, die über Nacht ins Netz gegangen sind, in den weißen Plastikeimer. Dann zieht er weiter Meter um Meter mit klammen Händen das endlos scheinende Netz aus den Tiefen des Sees. Es ist noch kühl zu dieser Zeit, und außer Peter Gastl und seinem Sohn Andi in ihrem Fischerboot ist der See noch menschenleer. Vom Morgennebel dicht umhüllt liegen die Alpen am Horizont und zaghaft spiegeln sich erste Sonnenstrahlen im spiegelglatten See.

Jagdgrund für die einen, Wassersportrevier und Badespaß für die anderen - die "Münchner Badewanne" nennen die Bewohner der Landeshauptstadt liebevoll ihren Starnberger See aufgrund seiner unmittelbaren Nähe zur Stadt. Wenn Peter Gastl und seine Fischer-Kollegen ihren Fang nach Hause gebracht, die Fische geputzt und die Räucheröfen angeheizt haben, tauchen die Tages- und Feriengäste am Seeufer auf. Ruder, Tret- und Segelboote werden aus den Bootshäusern gezogen und einige Frühaufsteher springen zum Morgenbad ins glasklare Wasser.

Außer mit seiner bequemen Erreichbarkeit hat der See im Süden Münchens mit einer Badewanne allerdings nicht viel gemeinsam. Mit einer Länge von 20 Kilometern und einer Breite bis zu knapp fünf Kilometern ist er nach dem Chiemsee das größte Gewässer in Bayern und zieht weit über München hinaus Urlauber an seine Ufer. Ob in Sisis ehemaligem Schlossgarten in Possenhofen oder einsam hinterm Schilf versteckt - obwohl viele Ufergrundstücke in Privatbesitz sind, findet man am Ufer öffentliche Strandbäder, Liegewiesen und Badeplätze. Und wer den See nicht auf eigene Faust im Segel-, Ruder- oder Tretboot erobern möchte, lässt sich wie die Herzöge und Kurfürsten der Barockzeit auf einem der prachtvollen Ausflugsdampfer über den See schippern. Man kann aber auch mit dem Elektroboot zur Roseninsel übersetzten, dem Lieblingsort König Ludwigs. Im "Casino", wie das Inselschlösschen genannt wird, erfahren Besucher hier alles über die königliche Vergangenheit.

Wer lieber festen Boden unter den Füßen behält, genießt den Blick auf den See bei einem Spaziergang an der Uferpromenade oder von einer der vielen Terrassen der Restaurants und Biergärten. Etwa vom "Gasthaus zum Fischmeister", dem ehemaligen Sitz des Fischmeisters. Dort mussten die einst 99 Fischer des Sees ihren Fang abliefern, bis die Speisekammern des Königs gefüllt waren.

Bereits in einer Urkunde aus dem Jahre 792 erwähnt, reicht die Geschichte der Fischerei auf dem Starnberger See weit zurück. Während die Fischer jedoch früher als sogenannte Hoffischer hauptsächlich für die bayerischen Herzöge, Adelshäuser und Klöster fischen mussten, üben sie längst ihren Beruf selbstständig aus. Und heute haben Frühaufsteher die Möglichkeit, morgens um sechs mit hinaus auf den See zu fahren und die Netze einzuholen. Viele der 34 Berufsfischer der Fischereigenossenschaft Würmsee, wie der Starnberger See bis 1962 genannt wurde, nehmen auf Anfrage gern Gäste mit an Bord.

Peter Gastl ist 65 und hat sein halbes Leben auf dem See verbracht. Bereits als Kind half er - vor der Schule - seinem Vater, die Renken, Seeforellen und Saiblinge aus dem Wasser zu ziehen. Die Gastls gehörten zu den ersten Bewohnern des kleinen Seeortes Leoni. Die Fischereigeschichte der Familie reicht bis in das 17. Jahrhundert zurück. Und wie es die Tradition vorsieht, sitzt heute Sohn Andi mit seinem Vater im Boot. Nach dreijähriger Ausbildung zum Fisch- und Teichwirt wirft er nun in sechster Generation im Morgengrauen auf dem Starnberger See die Netze aus.

Mit ihrem Tagesfang, an schlechteren Tagen 30, an besseren 150 Fische, beliefern die See-Fischer Gaststätten, Restaurants und Fischgeschäfte in der Umgebung. Aber auch überall entlang dem See werden die frischen oder geräucherten Fische verkauft: direkt bei den historischen Höfen und Fischhäusern, in denen viele Fischer auch heute noch leben.

"Was hast du gefangen? Wie tief fischt ihr heute?" Treffen die beiden Gastls andere Fischer, werden Informationen ausgetauscht. "Der Wettbewerb ist heutzutage kein Problem mehr", sagt Andi Gastl. "Es geht harmonisch zu. Das war früher noch ganz anders." Heute treffen sich die Mitglieder der Genossenschaft dreimal im Jahr und legen gemeinsam die Fischerei-Richtlinien für das kommende Jahr fest: Wie viele Netze pro Fischer sind erlaubt und mit welcher Maschengröße wird gefischt? Es gilt gleiches Recht für alle.

Die ersten Netze sind eingeholt. Andi startet den Motor und auf geht's zum nächsten Fanggrund. Leise tuckernd gleitet das kleine Boot durchs Wasser, vorbei an der Roseninsel, an Villen und Herrensitzen entlang dem Ufer. Im Schloss Berg im gleichnamigen Ort residierte König Ludwig II. Eng verbunden ist seine Geschichte mit dem Starnberger See. So konnte Peter Gastls Großmutter noch davon erzählen, wie die Straßen geräumt wurden, wenn der "König der Herzen", wie ihn einige Anhänger noch heute nennen, mit Pferdekutsche und Gefolge durch die Ortschaften am See fuhr.

Am 13. Juni 1886 kam König Ludwig unter mysteriösen und bis heute ungeklärten Umständen im See zu Tode. Damals wurde ein Fischer gerufen, um die Leiche zu bergen. Er wurde zum ewigen Schweigen über das Gesehene vereidigt.

Die Todesstelle ist mit einem Kreuz gekennzeichnet, und zum Gedenken an ihren "Kini" wurde eine Votivkirche im Wald errichtet. Peter Gastl denkt über den Tod Ludwigs recht nüchtern: "Es ist doch vor allem das Geheimnis um seinen Tod, was fasziniert und Tausende von Menschen hierherbringt - gut für den Seetourismus."

Eine blaue Boje mit Namen kennzeichnet den letzten Fanggrund. "Früher mussten wir oft stundenlang auf dem See hin und her rudern, um im Nebel die Netze wiederzufinden", erinnert sich Peter Gastl. In Zeiten von Motorbooten und GPS sind heute viele Dinge leichter geworden. Aber dennoch ist die Fischerei an manchen Tagen ein mühsames Geschäft. Wenn beim Einholen der Netze in den dünnen Gummihandschuhen auch das letzte Fünkchen Fischerei-Romantik im eisigen Wasser des Sees erfriert, oder an Tagen, an denen die beiden Fischer nach zwei Stunden Arbeit mit nur einer Handvoll Fische zurückkehren.

Haben die beiden Männer je daran gedacht, die Fischerei aufzugeben? Verständnislos schütteln Vater und Sohn den Kopf. So als hätte man ihnen vorgeschlagen, das tägliche Zähneputzen einzustellen. "Ein guter Fischer verliert nie die Hoffnung, selbst wenn er ohne Fang nach Hause kommt", sagt Vater Gastl. "Die Weite des Sees, das Bergpanorama - ein Arbeitsplatz wie ein Postkartenmotiv. Das entlohnt für manche schwere Stunde."