Weißer Sandstrand, rote Hibiskusblüten, Haie, bunte Korallen und Schildkröten: Es ist schwer zu sagen, wo die Insel Velassaru schöner ist - über oder unter Wasser.

Von links nähern sich zwei schlanke Schatten, gleiten elegant auf das Ufer zu und schwimmen dann seitlich versetzt wie eine Zweier-Patrouille im knietiefen Wasser vor dem Strand hin und her. Schwärme von Winzfischen stieben auseinander. Ein Tourist, noch weiß wie Käse, der nach seinem ersten Bad im Indischen Ozean gerade an Land watet, bleibt stehen, schaut irritiert auf die beiden Haie. Haben sie ihm womöglich den Weg abgeschnitten? "Das sind junge Schwarzspitzenhaie, völlig harmlos, die tun nichts", ruft ihm ein offensichtlich erfahrener Urlauber amüsiert entgegen, der tief gebräunt am weißen Traumstrand entlangspaziert. Die beiden Haie umkurven den Touristen in gebührendem Abstand und verschwinden im türkisblauen Nichts.

Das 28 Grad warme Wasser rund um Velassaru, einer kleinen Inselperle im Südmale-Atoll, ist so klar, dass man nicht einmal eine Tauchermaske benötigt, um Fische zu beobachten. Die für maledivische Verhältnisse sehr große Binnenlagune von Velassaru ist eine Art Riesen-Aquarium und dient auch einigen Riffhaien als Kinderstube. "Größere Haie sieht man gelegentlich beim Schnorcheln oder Tauchen am Außenriff. Bei stärkerer Strömung lassen sich auch Mantas, Meeresschildkröten oder Barrakudas beobachten", sagt Gabriela Velasquez, eine Mexikanerin, die als Marine-Biologin und Tauchlehrerin auf Velassaru arbeitet und den Touristen die Schönheit der Malediven ganz nahe bringt.

Es ist ohnehin schwer zu sagen, wo Velassaru schöner ist: über oder unter Wasser? Die 500 Meter lange und 200 Meter breite Insel mit ihren weißen Stränden aus Korallensand, den tropischen Kokos- und Schraubenpalmen, verschiedenen Hibiskus- und Feigenarten ist ein kleines Paradies, bebaut mit nur einem Luxus-Resort. Fast 400 Angestellte verwöhnen die knapp 200 Gäste, meist Paare aus Europa, aber auch aus Japan und Singapur, die in den komfortablen "Water-Bungalows" oder den "Beach Villas" untergebracht sind.

Während es auf der Insel ruhig und relaxed zugeht, herrscht draußen am Außenriff, wo das helle Türkisblau des Wassers jäh in ein sattes Dunkelblau übergeht, ein wirres und chaotisches Treiben. Schon bei einem Schnorchelausflug umschwärmen einen viele schrille Typen und schillernde Geschöpfe. Schräg unten wimmelt es von unzähligen grün-blauen Stachelmakrelen, während direkt vor des Schnorchlers Nase gelb-schwarz gestreifte Falterfische mit ihren pinzettenartigen Mäulern versuchen, irgendetwas aus den Korallen zu picken. Kugelige Picasso-Drücker, getigerte Süßlippen und sehr exotische Fische, die laut Bestimmungsbuch "Gelbklingen-Nasendoktor" heißen, turnen emsig hin und her, während ein Trupp großäugiger Soldatenfische eher gemächlich unterwegs ist. Ein buntes Fisch-Pärchen kann nicht voneinander lassen und küsst sich inständig vor einer gefächerten Koralle. Oder kämpfen die beiden etwa miteinander? Man mag gar nicht mehr heraus aus dem Wasser, und somit folgt dem Schnorcheltrip als echte Nebenwirkung ein ziemlicher Sonnenbrand. Den kann man dann aber am nächsten Tag im "Aquum Spa" mit einer sanften Öl-Massage lindern und behandeln lassen.

Die Hotel-Insel Velassaru ist nur eine von 1190 Inseln in diesem Staat, der fast ausschließlich aus Wasser besteht. In allen Blautönen bedeckt das Wasser über 99 Prozent der Staatsfläche, nur der winzige Rest ist Land und fatalerweise auch noch vom Untergang bedroht, da sich Klimawandel und steigender Meeresspiegel den Uno-Prognosen zufolge auf den Malediven dramatisch bemerkbar machen werden.

Heute sind gut 200 der Koralleninseln bewohnt, weitere 90 mit Resorts für Touristen bebaut. Und alle diese Inseln ragen lediglich anderthalb bis zwei Meter aus dem Indischen Ozean. Tatsächlich will die Regierung der Malediven jetzt Geld aus dem Tourismusgeschäft abzweigen und für den Kauf einer Ersatzheimat in Indien, Sri Lanka oder notfalls Australien auf die hohe Kante legen. Der im vergangenen November neu gewählte Präsident Mohamed Nashed plant einen Staatsfonds für den Fall, dass die schlimmsten Befürchtungen wahr werden und der Indische Ozean bis zum Jahr 2100 um 60 Zentimeter ansteigt.

Etwas Gespenstisches ist auf den Malediven mit der Wahl Mohamed Nasheds bereits versunken, nämlich 30 Jahre korrupter und autokratischer Herrschaft unter dem Amtsvorgänger Maumoon Gayoom. Der nun erste wirklich demokratisch gewählte Präsident will nicht nur mehr Demokratie für sein Inselvolk wagen, der 41-Jährige hat auch angekündigt, die bislang abgeschotteten Einheimischen-Inseln für ausländische Touristen zu öffnen und alle Bewegungsbeschränkungen im Paradies aufzuheben. Sein Tourismusminister Ahmed Ali Sawad kündigte im März ein Netz von Fähren an, das bald alle bewohnten Inseln verbinden werde, und sagte, die Zeiten einer "Parallelwelt" auf den Malediven seien vorüber. "Jetzt kann ich endlich mit gutem Gewissen auf die Malediven kommen", meint eine Holländerin beim Sundowner, während sich die untergehende Sonne immer rascher dem Horizont nähert. Als passionierte Taucherin ist sie bereits zum vierten Mal hier. Die Holländerin ist eine Ausnahme, denn kaum ein Tourist interessiert sich für die sozialen und politischen Verhältnisse auf den Malediven. Für die meisten Urlauber gibt es wichtigere Themen, zumal wenn gerade eine blutrote Tropensonne im Ozean versinkt und ein freundlicher Kellner am Strand das Champagner-Glas nachfüllt.