Die Gartenschau in der Hauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns könnte die fantasie- und lustvollste seit Langem werden. Aber bevor die Besucher ins Blütenmeer springen, sollten sie durch die Stadt bummeln.

Was für ein grandioser Anblick: 75 000 Stiefmütterchen fallen kaskadenartig den Schlossgarten herunter, 225 000 Stauden sind gepflanzt, von Tag zu Tag blühen mehr auf. Demnächst, im hohen Sommer, werden 81 000 Rosen ihren Duft verströmen, zwergwüchsige und edle, "Heidi Klum" und "Helmut Kohl".

Nebenan, im Garten des 21. Jahrhunderts, wachsen neun vergoldete Pfeifen aus einem imaginären Wurzelwerk, der Wind trägt die Klänge dieser Installation bis zum Goldenen Dach des Märchenschlosses von Schwerin. Gartenkunst und Kunst im Garten, "Anleitungen zum Paradiesbau" und komponierte Landschaften, weiße Tulpen, die über einem blauen Meer aus Traubenhyazinthen schweben, Skulpturenbeete und "Gartenschätze, verfangen im Blütennetz": kreative Symbiosen an den sieben Seen der Stadt Schwerin - an- und aufregend.

Mecklenburg-Vorpommerns kleine Metropole, steckt voller Charme und Kuriositäten, Typen und Charaktere. Überraschend für alle, die erst jetzt die Stadt zwischen Gewässern und Wäldern im Nachbar-Bundesland entdecken.

Da stolpern wir schon am Schloss und dann an fast jeder Ecke über ein Petermännchen, über das noch zu reden sein wird. Da bleiben wir nur zu gern bei Hans-Joachim Dikow, dem "Klockenschauster" in der Münzstraße, hängen oder bei seinen Nachbarn, der "Flotten Klamotte", dem "Caffee Antik", dem "Kunstkontor".

Da probieren wir bei Günter Bahr im uralten und zugleich ganz modernen "Weinhaus Uhle" aus der Suppentasse eine "Schwimmende Wiese", die wir später als Buga-Attraktion "in echt" kennen lernen. Und da lassen wir uns anschließend, vor dem "Cafe Röntgen" auf dem Marktplatz, ein Buga-Törtchen schmecken, quietschegrün, mit dicker Sahne und mit bester Aussicht auf Heinrich den Löwen, auf den Dom und das Rathaus, auf die ganze große Geschichte dieser Stadt.

Also los, zum Beispiel mit dem Petermännchen-Zug. Das Bähnlein, das Rundfahrten durch die Stadt anbietet, ist ebenso nach dem sagenhaften Stadt- und Schlosskobold benannt wie ein lokales Bier, wie Schokolade und eine Fahrschule; ein Lied ist ihm gewidmet, ganze Festspiele und sogar ein Museum am Markt.

Die Schweriner, so hört man immer wieder, mögen ihren guten Geist viel lieber als den brutalen Löwen-Heinrich, der 1160 immerhin die slawischen Vorbewohner vertrieben und, neben vielen anderen Städten, auch ihre Residenz gegründet hat. Nächstes Jahr feiern sie deshalb den 850. Geburtstag, natürlich mit Petermännchen vorweg.

Das Petermännchen, das es irgendwann wirklich mal als Hofnarr gegeben haben soll, spukt seit Jahrhunderten durch die Historie. Nie hat es jemand gesehen, aber alle wissen, wie sehr es einst das Leben der Herzöge beeinflusst und zum Beispiel den Landesherrn Albrecht von Mecklenburg vor Walleinstein und dessen Truppen gewarnt und den Landesherrn zur Flucht nach Güstrow geraten hat. Auch Bertha Klingberg war eine Legende, aber eine, an die sich die meisten Schweriner noch bestens erinnern. Ohne sie, die Blumenfrau, die aus Hamburg stammte, wäre die Buga vermutlich nie nach Schwerin gekommen.

1990, als sie anfing Unterschriften für dieses Großereignis zu sammeln, war sie schon 91 Jahre alt: Die Bundesgartenschau, so das Credo der resoluten Naturliebhaberin, muss so bald wie möglich nach Meck-Pomm, und zwar in die Hauptstadt. Sie hat alle überzeugt, die wichtig für die Entscheidung waren. Aber die ersten Bauarbeiten, die neuen Beete am Marstall oder im Schlossgarten hat sie nicht mehr erlebt: 2005 ist sie im Alter von 107 gestorben, als Ehrenbürgerin und im Bewusstsein, die Buga "geschafft" zu haben.

Noch heute vermissen die Schweriner ihre dicke Bertha, die stets in Trachtenkleidung auf dem Schlachtermarkt gestanden hat. Dort können sie sich nur noch mit einem fiktiven Original trösten: Jeden Tag um zwölf erklingt am Springbrunnen in der Mitte dieses Marktes, der gleich hinter dem Rathaus liegt, das Lied von "Herrn Pastor sien Kauh, jau jau . . .". Es soll Mecklenburger geben, die gut und gern 40 Strophen (von angeblich über 600) mitsingen können.

Es gibt mindestens drei Schwerins. Das berühmteste ist das des Stadt- und Hofbaumeisters Georg Adolph Demmler, Schüler von Schinkel und Schadow. Im 19. Jahrhundert hat er Glanz und Gloria in die Stadt gebracht mit seinen zahlreichen Bauten, die bis heute den Kern der Residenz prägen: der Marstall am See, in diesen Wochen kongenial in die Buga eingebunden, das Kollegiengebäude in der Schlossstraße, das Arsenal, die Rathausfassade, die vielen noblen Stadtvillen rund um den Pfaffenteich, die diesen künstlichen See zur Binnenalster von Schwerin machen.

Ein ganz anderes Schwerin ist die Schelfstadt, die sich westlich vom Pfaffenteich bis an die breite Werderstraße erstreckt: ein 300 Jahre altes Fachwerk-Viertel, das noch den Charme kleiner Handwerkergassen atmet. Auch die vielen Jugendstil-Elemente aus späterer Zeit haben die ehemalige Schilfinsel zum beliebten Wohnquartier werden lassen. Im "Freischütz" am Ziegenmarkt treffen sich Boheme und Bourgeoisie bei Fladenbrot und Soljanka.

In der Puschkinstraße ist das "Weinhaus Wöhler" seit 1819, mit einigen Unterbrechungen, eine andere, bestens frequentierte Institution. Schwerin, heute nur noch eine Kleinstadt von knapp 100 000 Einwohnern, hat nicht unter dem Bombenkrieg gelitten. Deshalb war die Altstadt, sozusagen das dritte und vielleicht "wahre Gesicht" der inneren Stadt, nach dem Ende der DDR "nur" zu sanieren, nicht künstlich wieder aufzubauen.

Es lohnt, sich treiben zu lassen durch Gassen, die "Erste Enge und Zweite Enge" heißen, und irgendwann im "Weinhaus Uhle" das Buga-Menü zu bestellen, das mit einem Schaumsüppchen von jungen Erbsen mit essbaren Blüten eingeleitet wird.

"Uhle"-Wirt Günter Bahr gehört zu den zugereisten Originalen der Stadt, fast so klein wie das Petermännchen und so beleibt wie die meisten Herzöge anno dazumal. Aber schnacken kann der Westfale so gut wie der Uhrmacher Dikow, der "Klockenschauster" aus der nahen Münzstraße, die heute, wie die Schusterstraße und die Schmiedestraße zum Revier der witzigen kleinen Läden gehört, allesamt Schatzinseln für Klamotten, Kunst, Kitsch und vieles mehr.

Der Dom überragt alles, die Schelfstadt, die Altstadt, das herrschaftliche Viertel vor dem Schloss: 220 Stufen führen auf den Turm, danach ein paar Minuten innehalten vor dem Kreuzaltar und über den Lichteinfall durch die bunten Fenstern staunen.

Gern lassen wir uns schließlich gefangen nehmen im Blütennetz der sieben Seen und sieben Gärten. Auch sieben Hügel, sieben Baumskulpturen, von Buxusbeeten eingeschlossen, nach klassischen Park- und Gartenelementen gestaltet, gehören dazu. Dort, auf dem Buga-Gelände, 54 Hektar grün und bunt, mag man sich treiben lassen: von der Orangerie und den Gärten rund um das Fürsten- und Dornröschenschloss, das über Jahrhunderte Residenz der mecklenburgischen Herzöge war und heute der mit Abstand schönste Sitz eines deutschen Landtags ist, über die erwähnte "Schwimmende Wiese", die Teil eines alten Burgsees war, zu Orchideenwiesen und Renaissancegärten, über "Spazierwege auf dem Wasser" bis zum fantasievollen Spielplatz mit einem Vulkan, der Seifenblasen spucken kann, oder bis zu den historischen Kräutergärten aus der Zeit der Herzöge, schließlich zur ökumenischen "Kirche am Ufer" mit ihrem vielfältigen Programm.

Und schon jetzt macht in Schwerin eine Vorschau auf die Internationale Gartenschau in Hamburg-Wilhelmsburg neugierig, auf der 2013 die Reise nicht in sieben, sondern gleich "In 80 Gärten um die Welt" gehen soll. Neben dem historischen Marstall, direkt am Schweriner See und eingebettet in die vielen Themengärten der Buga, präsentiert sich die Hansestadt eindrucksvoll als Grüne Metropole am Wasser: ein Garten mit schalenförmigem Aufbau. Sein offizielles Motto entspricht den Wünschen der Hamburger: "Eine runde Sache".