Schwefelgestank liegt in der Luft, es dampft und zischt überall. Auf der Nordinsel erlebt man noch frühe Erdgeschichte.

In grauer Vorzeit ging es dem Mond schlecht, und er wurde krank. Daraufhin nahm er ein Bad im Heilwasser von Rotorua, kam rasch wieder zu Kräften und zieht seither strahlend seine Bahn am Himmel. Maori-Legenden wie diese ranken sich um viele Plätze in Neuseeland. Vor allem die Gegend zwischen Rotorua und Taupo auf der Nordinsel steckt voller Sagen, Mythen und Märchen des Südseevolkes, das die Inseln lange vor den Europäern besiedelte.

Neuseeland ist in jeder Beziehung jung und dynamisch, nicht nur, weil es als letztes Land der Welt entdeckt wurde - auch im geologischen Sinne überstürzt sich die Entwicklung. Vor allem die Nordinsel ist ein tektonischer Hexenkessel. Unter Neuseeland kocht der Erdmantel: Hier taucht die Pazifische Erdplatte ab und schiebt sich unter die Australische Platte. Das führt immer wieder zu Erdbeben und Vulkanausbrüchen. Zwischen Rotorua, Taupo und Tongariro sieht man aber nicht nur Vulkankegel, sondern auch viele "Hot Spots" mit Geysiren, Fumarolen, kochenden Schlammlöchern oder heißen Quellen. Es sind beeindruckende Naturschauspiele, die Geologen nüchtern als "postvulkanische Erscheinungen" bezeichnen.

Die Straße, die diese Orte verbindet, heißt treffend "Thermal Explorer Highway" - man könnte sie aber auch "Highway zur Hölle" nennen, denn zwölf Kilometer nordöstlich von Rotorua liegt "Hell's Gate", mit vier Hektar Fläche eines der größten Thermalgebiete der Region. Auch das Städtchen Taupo am gleichnamigen See ist im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend: Schwefelgestank liegt in der Luft, Rauchschwaden vernebeln den Blick, Dampf speiende Fumarolen zischen direkt neben der Hauptstraße aus dem Boden.

Zu den schönsten Thermalgebieten auf der Nordinsel zählt Orakei Korako im "Hidden Valley", einem Tal rund 70 Kilometer südlich der Stadt Rotorua. Man erreicht es auf einer Nebenstraße, die bei der Ortschaft Golden Springs von der Landeshauptstraße 5, dem "Thermal Explorer Highway", nach Westen abzweigt. Diese Nebenstraße endet an einem Cafe am Ufer des Ohakuri-Sees. Ein Boot bringt die Besucher in fünf Minuten über den See ins Thermalgebiet.

"Orakei" bedeutet in der Maori-Sprache "Ort des Schmückens": Die farbenprächtigen, mineralhaltigen Pools dienten einst den Maori-Häuptlingen als Wellness-Center und Schminkstube. Auf einer zweistündigen Wanderung über gut ausgebaute Stege und Wege kommen Urlauber aus dem Staunen nicht mehr heraus: Schlammlöcher blubbern und schmatzen, Kieselerde-Ablagerungen schillern in allen Farben des Regenbogens. Daneben gibt es perlende "Champagner-Pools" und strahlend weiße Sinterterrassen zu sehen - und das alles eingebettet in ein üppig-grünes Tal mit riesigen Silber-Baumfarnen.

Besucher in Orakei Korako dürfen sich ohne Führer bewegen. Sie sollten aber unbedingt auf den vorgeschriebenen Wegen bleiben und die Warnschilder ernst nehmen. Das kochend heiße Thermalwasser ist überall, und Leichtsinn wird mit Verbrühungen bestraft. Der "Diamant-Geysir" gleich am Anfang des Rundweges spritzt sein kochendes Wasser bis zu acht Meter hoch in die Luft, manchmal im Minutenrhythmus, manchmal im Abstand von mehreren Stunden. Das Wasser zerstiebt im Sonnenlicht zu winzigen Tröpfchen, die wie Diamanten glitzern.

Der Weg führt an Kieselerdebecken vorbei, die mal orange und braun gefärbt erscheinen, dann wieder in grünen und gelben Tönen leuchten. Am Ende geht der Pfad hinab zur Ruatapu-Höhle, an deren Grund die Thermalquelle Waiwhakaata, das "Spiegel-Becken", aus dem Boden tritt. Es heißt, wer seine linke Hand in dieses warme Mineralwasser hält und sich heimlich etwas wünscht, dessen Wunsch gehe in Erfüllung. Der Säuregehalt des Wassers und seine mineralische Zusammensetzung haben aber auch eine ganz praktische Seite: Es reinigt Schmuck. Ein Ring, fünf Minuten in das Wasser gelegt und leicht gerieben, erstrahlt anschließend in neuem Glanz.

Neben der imposanten Natur ist aber auch der liebenswürdige Menschenschlag die Reise nach Neuseeland wert: Selbst als Tourist wird man von den Inselbewohnern privat eingeladen, ein geselliger Abend mit gutem Essen und vollen Weingläsern ist garantiert. Neuseeländer interessieren sich eben für Europäer, die um die halbe Welt fliegen, um das "Kiwi-Country" zu besuchen. Auf den Inseln, die von der Fläche her etwas größer sind als Westdeutschland, leben nur vier Millionen Menschen. Die Folge ist nicht nur viel Platz für die Bewohner, sondern auch eine ausgeprägte Gastfreundschaft. In diesem Punkt sind die Neuseeländer wie die Iren: Über das Wetter können sie sich immer unterhalten - sei es der Sturm, der von der Küste heranjagt, oder der jüngste Erdrutsch.

Wer als Tourist auf einem aktiven Vulkan tanzen möchte, dem sei White Island empfohlen. Das Eiland, 50 Kilometer nordöstlich vor Whakatane in der Bay of Plenty gelegen, ist Neuseelands einziger aktiver Inselvulkan. Dort dürften sich Besucher wie auf einen anderen Planeten versetzt fühlen: Eine Insel ohne Vegetation, dafür mit brodelnden Schlammtümpeln, gelben Schwefelbergen und einem schillernden Krater, in dem giftig-grünes Wasser kocht. Eine düstere und abweisende Insel, die zum Himmel stinkt - aber zugleich ein faszinierender Ort, der einen Einblick in die Urzeiten der Erdgeschichte gewährt. Oder schaut man hier womöglich direkt in den Vorhof der Hölle?