Wenn Licht und Wasser ihren Zauber fast rund um die Uhr entfalten - dann, so sagt man, tanzt zwischen Grebbestad und Mollösund der Fisch.

Alter Schwede, was für ein Licht, was für eine magische Stimmung. Es ist gleich zehn Uhr am Abend und du sitzt auf dem Balkon von "Skaldjurs Cafe" in der Bucht von Havstensund und glaubst es kaum. Noch immer schaust du in die Sonne. Noch immer glitzert das Meer in rötlichem Gold. Du schlürfst frische Muscheln, lässt dir noch einen Teller mit Krabben bringen, trinkst in aller Ruhe ein zweites oder drittes Glas Weißwein.

Eine kleine Armada bunter Segelboote gleitet um eine Felsnase, hält auf die roten Holzhäuser am Steg zu. Mindestens zehn Blondschöpfe, in dicke Rettungswesten eingepackt, springen von Bord, und eine Schar träger Möwen macht ihnen nun kreischend Platz. So sieht schwedische Idylle im Sommer aus, im Juni vor allem, wenn ein sanfter Wind die Wallandersche Melancholie für ein paar Wochen praller Lebenslust hinter den Horizont weht.

Neun Monate, eigentlich sogar zehn, wirkt das Licht und damit auch die Stimmung in diesem Land wie gedimmt. Und dann, als ob der liebe Gott und Astrid Lindgren gemeinsam am Schalter gedreht hätten, leuchtet Schweden auf, strahlt für ein paar Tage, für ein paar Wochen, für einen kurzen intensiven Sommer der Heiterkeit, mit einem Wort: Es ist Mittsommer!

In jedem Dorf, auf fast jeder Schäreninsel steht um die Zeit zwischen dem 20. und dem 24. Juni herum die Majstäng, der Baum, um den in die längsten Nächte des Jahres getanzt und gesprungen wird. Die Kinder tragen Blütenkränze auf dem Kopf, und auch die Alten schmücken sich mit Zweigen. Es lebt dann wieder ein Stück ursprüngliches Schweden auf, wie es noch in den Bildern von Carl Larsson (1853-1919) lebendig wird. Jetzt ist auch die Zeit der Hafenfeste, der Picknicks, die am frühen Abend beginnen und, wie der Tag selbst, nicht enden wollen. Es ist die Saison, in der alles, was laufen und fröhlich sein kann, ans Licht, ans Wasser, an die Küsten strebt, nach Bohuslän zum Beispiel, in das kleine Land der Fischer, Skipper, Segler, Austern- und Hummerfänger, der Typen und Käuze zwischen der großen Stadt Göteborg und der norwegischen Grenze.

Staffan Greby in Grebbestad ist so ein Typ. Er war Ingenieur, hat Straßen durch die Felsen dieser grandios zerfaserten Küstenlandschaft gebaut. Und dann war er Blaumuschel-Farmer, angeblich der erste in Schweden. Danach hat er aus einem Fischimbiss auf dem Holzsteg eine der berühmtesten Wirtschaften von Bohuslän gemacht, das "Greby's". Immer noch, obwohl es schon längst nicht mehr dem Namensgeber gehört, kommen die Leute sogar aus Stockholm, um hier feinstes Seafood zu genießen. Staffan selbst hat es vor ein paar Jahren als Hummerkoch bis ins amerikanische Fernsehen gebracht.

Inzwischen handelt er mit Knäckebrot aus Tang, leitet eine Austernakademie und hält das Erbe seines Großvaters hoch. Der hieß Victor, war Zeitungsdrucker und hatte 1922 mit einigen anderen Honoratioren aus Grebbestad die Idee, das 500-Seelen-Dorf nicht nur schön, sondern auch bekannt zu machen. Das Ergebnis hieß zunächst "Tag des Badeortes". Doch nur wenig später, als ein deutscher Feriengast von der Fastnacht daheim erzählte, war jenes Traditionsfest geboren, das über 80 Jahre hin als "Grebbestad Carnevalen" zur Legende geworden ist. Jedes Jahr im Juli, immer drei Wochen nach Midsommar, tanzt hier der Fisch.

Im "Qskär", wo die Wände seit eh und je mit Seilen, Netzen und einem Haifischgebiss, das ein Freund seines Großvaters aus der Südsee mitgebracht hat, dekoriert sind, erzählt Staffan von alten und neuen Zeiten. Fischpudding steht auf der Karte, auch Muschelsuppe und die Langusten, die Robert Olsson, der erfolgreichste Fischer aus Grebbestad, heute Morgen angelandet hat. Meistens liefert er seinen Fang komplett auf einen Lastwagen, der die Ware nach Göteborg zur Auktion bringt. Wir waren einen Tag und eine Nacht draußen mit ihm, auf seinem Boot "Ferder".

Stellan Johansson hat seine Fischerlaufbahn hingegen längst hinter sich. Wir haben ihn in Hamburgsund getroffen, ein paar Kilometer südlich von Grebbestad. Stellan geht munter auf die 80 zu, aber er könnte noch immer in jedem Wikingerfilm eine tragende Rolle spielen. Auch er war mal Wirt, den Namen seines früheren Lokals trägt heute sein Boot. Mit der "Nolhotten" schippert er Feriengäste durch die Schärenwelt und rund um Hamburgö, die Hamburginsel, und dabei spinnt er Seemannsgarn von der feinsten Art.

Stellan kennt viele Fakten und Anekdoten zu den Wikingern. Aber wie der Sund und die Insel zu ihrem Namen gekommen sind, das weiß er nicht genau. Humburg oder Homburg, alte Begriffe für starke Strömung, sollen Pate gestanden haben. An der Fähre, die gratis und rund um die Uhr zwischen Hamburgsund und Hamburgö pendelt, verkauft die Stockholmer Studentin Ylva T-Shirts, besonders oft und besonders gern an Hamburger.

Blauer Himmel über Land und Meer. Segler, die von den hohen Brücken und den Aussichtsorten auf den Felsen wie hingetupft in das glitzernde Wasser wirken. Es ist eine beruhigende, eine stille amphibische Landschaft zwischen den Orten. Hin und wieder begegnen uns Radler, Wanderer oder, direkt am Wasser, Kajakfahrer, die Rast machen. Man grüßt sich und freut sich auf die nächste Bucht. Es gibt deutlich mehr Mücken als Menschen in diesem Land. Oder, wie Gerhard Polt es ausgedrückt hat: "Der Schwede wimmelt nicht."

Das tut er nicht einmal in einem so bekannten Seebad wie Fjällbacka. Rote Holzhäuser, weiße Villen, eingekeilt zwischen Meer und steiler Felswand. Hier wurde "Ronja Räubertochter" gedreht, und auf den Schären vor dem Dorf hat Ingrid Bergman über viele Jahre den Sommer genossen, weit weg von Hollywood. Die Leute in Fjällbacka haben ihrem berühmten Stammgast von damals ein Denkmal gesetzt, eine Büste auf dem Ingrid-Bergman-Platz, nicht halb so schön wie in "Casablanca" sieht sie dort aus.

Smögen und Lysekil, weiter südlich gelegen, sind für Göteborg, was Kampen oder Timmendorf für Hamburg sind: Schon am Donnerstagabend reisen die Jungen und Schönen zum Beispiel nach Lysekil an, bevölkern dort Discos, Eiscafes und "Jönssons Katt", den beliebtesten Pub und Biergarten mit Blick auf Stadt und Hafenpromenade. Aber hier wie im noch etwas schickeren Smögen, wo die Shops "of course" und die Kneipen "why not" heißen, fühlen sich auch die gesetzteren Herrschaften in den Hotels und Restaurants aus der Gründerzeit des Badetourismus wohl.

Zurück in die Stille, in die Schären, in die Fischerdörfer. Was für ein Kontrast: Nehmen wir nur Mollösund auf der Insel Orust, wo Berit und Gunnar Mattson, Aussteiger aus Göteborg, "Emma's Cafe" zu einer Institution gemacht haben: eine urige Herberge in einem Holzhaus am Hafen, zu dem ein Feinschmecker-Restaurant direkt auf dem Steg gehört. Segler und andere Genießer schwatzen miteinander von Tisch zu Tisch, von Boot zu Boot, freuen sich über die Sommerpracht ringsherum und über den Kellner aus Indien, der bei jedem Lob über das Essen sofort bereit ist, das Rezept zu besorgen.

Fjällbacka, Mollösund, Skärhamn auf der Insel Tjörn und Varekil am Halsefjord: Sehnsuchtsorte, Bilderbuch-Schweden in einem Sommer voller Sinnlichkeit. Nach sonnensatten Tagen und Nächten zuckeln wir, stop and go, bei Kungälv auf der Europastraße nach Süden. Und auf einmal, im Stau kurz vor Göteborg, hast du das Gefühl, dass auch der Schwede sehr wohl wimmeln kann. Aber was soll's, es ist einer dieser milchig-hellen Abende - und im Autoradio spielen sie Abba rauf und runter.