Es sieht einfach aus, doch Töne aus einer “Bagpipe“ herauszubekommen, erfordert Geduld - manchmal sind die Klänge fast nicht zu ertragen.

Der Mann hat das Lungenvolumen eines Industriestaubsaugers - und das erste Mal richtig dicke Backen gemacht, als er sieben Jahre alt war. Jetzt ist Stewart Harris aus der Ortschaft Luss am Loch Lomond vor den Toren Glasgows über dreißig, jahrzehntelang hat er sich dieses gewaltige Lungenvolumen antrainiert und seine Technik perfektioniert. Bei jeder Gelegenheit tutet er mit voller Kraft in das Mundstück seines Dudelsacks: am Seeufer von Loch Lomond, beim Sonntagspicknick in den Bergen bei Lochgoilhead, bei Hochzeiten in Glasgow oder Edinburgh und in seinem Kilt-Laden im schottischen Städtchen Alexandria. Der Mann liebt Dudelsäcke und ist inzwischen selbst zu einer typisch schottischen Sehenswürdigkeit mit gewisser Berühmtheit geworden: Er gilt als ein bisschen schräg, doch auf alle Fälle originell. "Zu Beginn kriegst Du keinen Ton raus", erinnert sich Harris, "und um eine Melodie hinzubekommen, musst du als Neuling sechs bis neun Monate trainieren, jeden Tag eine Stunde."

Diesmal hat der Wind irgendwo hinter dem Hügel bei Lochgoilhead die Melodie gestohlen, die Dudelsack-Töne davongetragen, neu sortiert und anderswo wieder fallen gelassen. Aus der Hymne "Scotland the Brave" ist 200 Meter weiter, vermengt mit ein bisschen Vogelgezwitscher, ein neues Lied entstanden. Lange bleibt der Spieler unsichtbar, und nur seine Musik kreist an diesem Morgen über der Landschaft, als gäbe es so etwas wie einen Soundtrack zu dieser Landschaft, der jeden Schritt aus dem Off begleitet: Harris spielt immer Dudelsack, wenn er mit seiner Familie zum Picknick hierherfährt und es sich alle im Moos gemütlich gemacht haben.

Der Hüne mit der Riesenlunge ist nicht nur begeisterter Dudelsackspieler, sondern auch einer der letzten rund hundert "Bagpipemaker" Schottlands. Seine Instrumente lieferte er in alle Welt - sogar an Karneval-Kombos in Brasilien. "Schon als Kind habe ich dem damaligen Dudelsackbauer-Meister von Luss bei der Arbeit zugesehen und von ihm gelernt. Erst habe ich das Spielen beherrschen wollen. Aber später wollte ich selber Dudelsäcke bauen. Und noch später habe ich die alte Werkstatt von ihm übernommen." Gemeinsam mit einem Gesellen baute er dort jedes Jahr in einem alten Feldsteinhaus außerhalb von Luss bis zu 100 dieser urschottischen Instrumente zusammen. Sie gingen an Dudelsack-Fans, die dafür umgerechnet zwischen 800 Euro (für das Einsteigermodell) und 10 000 Euro (für die Luxusversion mit Intarsien aus Elfenbein und reinem Silber) bezahlten. Wenn das Wetter schön war, fand die Endkontrolle bei einem Familienausflug im Freien statt. Gesellten sich ein paar Zuhörer dazu, störte Harris das nicht im Geringsten. Im Gegenteil, ein bisschen Publikum kann nie schaden, findet er.

Harris spielt immer noch gerne vor Leuten, aber derzeit nur noch zum Spaß und nicht mehr zur Endkontrolle. Denn seine Werkstatt eine knappe Autostunde nördlich von Glasgow ist kürzlich einem Feuer zum Opfer gefallen, die Fertigung ruht deshalb. Eine Wiedereröffnung ist zwar geplant, aber der Termin dafür steht noch nicht fest. In seinem Laden in Alexandria, wo er Kilts verkauft, steht der Dudelsack-Experte derweil Liebhabern des Instruments Rede und Antwort, gibt ihnen Tipps, spielt ein Ständchen, und ganz Verwegene dürfen sogar mal selbst versuchen, dem seltsamen Ding Töne zu entlocken.

Plötzlich rudert er mit den Armen, als suchte er die richtige Haltung, schwenkt den Dudelsack in die günstigste Position und pumpt den Oberkörper auf, bis die Hemdknöpfe abzuspringen drohen: So als ob er sämtliche Luft der Umgebung eingesaugt hätte und die Wände des Ladens sich jeden Moment zu ihm hinbiegen müssten. Langsam pustet Stewart die Luft wieder aus und mit ihr die Worte: "Du musst immer wieder Atemübungen machen, bis du richtig gut bist." Dabei haben die Schotten nicht mal erfunden, worauf sie am liebsten tuten: Vermutlich stammt der Dudelsack aus Kleinasien und wurde dort bereits vor über zwei Jahrtausenden gespielt. Im Mittelalter war er in weiten Teilen Europas verbreitet, und noch heute wird er vor allem in Süd- und Südosteuropa, in Nordwestspanien und Teilen Frankreichs malträtiert. Über 100 verschiedene regionale Sackpfeifenarten soll es geben - in der öffentlichen Wahrnehmung alle verdrängt von der schottischen Variante. Und dem Krach, den ein maßgebastelter Dudelsack verbreitet.

Das Dumme an diesem Sack ist, dass er nicht von alleine tutet und man ihn auch nicht leicht dazu bringt: Mit Blockflötenerfahrung und Jogger-Lunge ist dem karierten Ding mit dem Rohr daran auch bei größter Mühe viele Versuche lang kein halbwegs brauchbarer Ton abzuringen. Leider. Dabei sieht alles so einfach aus. Das Nachmachen aber erfordert Geduld und die Demut des Anfängers, schmerzvoll falsche Klänge zu ertragen. Obendrein braucht man tolerante Nachbarn.

Ohne das gibt es nur einen Ausweg: Den Dudelsack zuhause im Wohnzimmer an die Wand nageln. Das schont die Lunge, sieht dekorativ aus und - hat nicht jeder. Wer lieber ein anderes Mitbringsel haben möchte: Nebenbei verkauft Stewart Harris in seinem Kilt-Shop Schottland-Souvenirs. Am zweitbesten läuft dort ein Plüsch-Nessie. Kassenschlager aber sind derzeit Röcke, Schals und Krawatten im Tartanmuster des McGregor-Clans - "Rob Roy"-Look für alle. Wer aber für Krawatten nichts übrig hat und trotzdem Geld ausgeben will, kann tiefsinnige Sprüche auf Klebefolie fürs Autoheck erstehen, wie "Kiss me - I'm scottish" oder "If it's not scottish - it's not much".