Einmal im Monat: die Reisekolumne von Uwe Bahn.

Warum können die Ostfriesen keine Eiswürfel machen? Weil sie das Rezept vergessen haben! Was haben wir gelacht, Ende der 60er-Jahre, als die ersten Ostfriesen-Witze auftauchten. Ein böser Schüler aus Ammerland hatte sie erfunden, Borwin Bandelow sein Name. Er war Mitarbeiter der Westersteder Schülerzeitung "Die Trommel", heute ist er ein bekannter Professor für Psychiatrie. Und viele Ostfriesen werden auf seiner Couch die Spätfolgen seiner Witze therapieren lassen. Männer mit Veilchen-Augen, die beim Teetrinken den Löffel in der Tasse ließen. Frauen, die eine Chilischote auf den Fernseher legten, für ein schärferes Bild.

Und ausgerechnet damals, als eh schon ganz Deutschland sich den Bauch hielt, tauchte der Ostfriese Otto auf und beseitigte den Rest Mitleid für das Volk am Deich. Einhellige Meinung: Zwischen dem 53. und 54. Breitengrad im Nordwesten Niedersachsen, da wohnen die Deppen der Nation.

Auch wenn Otto aus Emden kommt, besonders gelitten hat die Stadt Leer. Ich war gerade dort und habe noch deutlich die Nachwehen gespürt: "Ganz schön voll hier in Leer!" Nein, ich wollte wirklich keinen Scherz machen, nur zum Ausdruck bringen, dass ein geschäftiges Treiben in den Straßen herrscht. Aber die Frau von der Tourismuszentrale verbiegt ihr Gesicht: "Nein, nicht schon wieder!" Ich verstehe sie.

Kaum hatte sich die ostfriesische Provinz von den Witzen erholt, gab es diese Pressekonferenz mit Giovanni Trapattoni und seiner "Flasche leer". Der Trainer meinte zwar das Adjektiv, aber wer rief nicht im Unterbewusstsein sofort Leer ab, das kleine Städtchen im Osten Frieslands.

Als wäre die Stadt nicht genug gebeutelt. Gebeutelt, nicht geteebeutelt, um gleich weiteren Ostfriesenwitz-Assoziationen vorzubeugen. Ach ja: Leer ist auch nicht die Stadt, deren U-Boot-Flotte am Tag der offenen Tür sank. Vergessen Sie's einfach.

Ich habe die Stadt lieben gelernt. Und ihre Einwohner, die nicht etwa Leerer, sondern Leeraner heißen. Einen Tag verbrachte ich in Leer, eine Woche hätte ich bleiben können. Die historischen Altstadtgassen sind frei von Drogerieketten und Jeansboutiquen. Hier gibt es noch nicht zwanzig Prozent auf alles bis auf Tiernahrung. Stattdessen ostfriesische Gemütlichkeit, mit Teestuben und Tante-Emma-Läden. In einem kleinen Spielzeuggeschäft durfte ich so lange "Spitz pass auf!" spielen, wie ich wollte. Das Glockenspiel im Rathausturm hat eine Melodienvielfalt, als sei Mozart auferstanden und gekommen, um hier in Leer sein Lebenswerk zu vollenden.

Gespeist habe ich im Museumshafen. "Zur Waage" hieß das Restaurant, das sich hinter einer Barockfassade die Seele aus dem Leib kochte. Meine Waage zeigte später, wie gut mir das Essen geschmeckt hatte. Ich kann Ihnen nur raten: Fahren Sie nach Leer.

Das ist nicht nur eine schöne Reise, sondern auch ein Stück Wiedergutmachung für alles, was wir ihnen angetan haben. Den Ostfriesen. Leer versteht sich als "Tor Ostfrieslands". Und das weiß ich vom Fußball: Die Leute wollen Tore sehen! Womit wir wieder bei Trapattoni wären: Leer ist Flasche voll! Würde er sagen.