Die Schriftstellerin wäre in diesem Jahr 100 geworden. Ihre Figuren leben weiter - in Vimmerby.

Tante Berg kommt bestimmt gleich wieder. Die Tür zu ihrem Haus steht offen. Die Teetasse hat noch niemand abgeräumt. An Blomgrens Tankstelle bekommt ein alter VW-Käfer gerade seinen Sprit. Der schwarze, chromblitzende Volvo aus den 1950ern ist als nächstes dran. Draußen auf der Krachmacherstraße hat sich Karlsson vom Dach unbemerkt unter die Besucher gemischt. "Kannst Du fliegen?", fragt er einen kleinen Jungen, der schüchtern auf den Boden schaut und Mamas Hand noch fester hält. "Schau mal", muntert Karlsson den Kleinen auf. Der Junge hebt den Kopf und wird neugierig, als Karlsson auf seinen dicken Bauch drückt und so den Propeller auf seinem Rücken anwirft. Unterdessen versucht Pippi Langstrumpf die beiden Dorfpolizisten davon zu überzeugen, dass sie kein Kinderheim braucht, weil sie ja schon eines hat: ihre Villa Kunterbunt. Die findet sich ebenso wie die Krachmacherstraße, die Mattisburg von Ronja Räubertochter und viele andere Motive aus Astrid Lindgrens Kinderbüchern im Erlebnispark "Astrid Lindgrens Welt" im südschwedischen Vimmerby.

Verbieten ist hier verboten. Die Kinder dürfen überall hinein, alles anfassen und ausprobieren. Von der Volksschule über den Marktplatz, das Hotel bis zu den krummen Kopfsteinpflastergassen hat "Astrid Lindgrens Welt" das Städtchen maßstabsgetreu nachgebaut. Inzwischen kommt, wie gerufen, Pippis Vater, der Seeräuber, mit seinem Piratenschiff aus Taka-Tuka-Land und erklärt den beiden etwas dusseligen Polizisten, dass seine Tochter sehr wohl alleine in der Villa Kunterbunt leben kann. Das Publikum klatscht begeistert, und alle tanzen vor Freude.

60 junge Schauspieler inszenieren jeden Tag ohne festen Terminplan die Geschichten von Karlsson vom Dach, Pippi Langstrumpf, Ronja Räubertochter und all den anderen Kinderhelden auf dem 120 000 Quadratmeter großen Gelände. Die Bühne ist da, wo sie gerade stehen: Auf dem Piratenschiff, vor der Villa Kunterbunt, in und auf der Mattisburg oder einfach mitten im Gelände. Pünktlich zum 100. Geburtstag der Schriftstellerin bietet der Erlebnis- und Theaterpark jetzt auch Ferien auf Saltkrokan. Auf einer Rundfahrt über die nachgebaute Insel begegnen den Besuchern die Familie Melcherson mit dem Hund Bootsmann in ihrem Ferienhaus.

Drei Vimmerbyer Familien kamen 1981 auf die Idee, der berühmtesten Tochter ihres Städtchens ein lebendiges Denkmal zu setzen. So entstand der Freizeitpark "Astrid Lindgrens Welt", heute eine städtische Aktiengesellschaft, die mit jährlich 385 000 Besuchern mehr als 85 Millionen Kronen (rund neun Mio. Euro) umsetzt. Verglichen mit deutschen Freizeitparks sind die Eintrittspreise zivil. Mit 240 Kronen (rund 25 Euro) pro Erwachsenem und 160 Kronen pro Kind zwischen drei und zwölf Jahren ist für einen Tag alles bezahlt. Nirgends scheppern und dröhnen geldgierige Automaten. Alles, was man hört, sind lachende und spielende Kinder. Keine Attraktion kostet zusätzlichen Eintritt. Elementare Erlebnisse reichen, um die Besucher in "Astrid Lindgrens Welt" zu begeistern: ein Baum zum Balancieren, Steine, über die man durch einen Bach springen kann, ein Kletterhaus mit Rutschen oder das große Haus. Hier sind Stühle, Tisch, Wände und Fenster so hoch, dass sich Erwachsene wie Kleinkinder fühlen.

"Wir bewahren ihr Erbe", verspricht Marketingchef Nils-Magnus Angantyr. Ein Aufsichtsrat, in dem auch Astrid Lindgrens Tochter sitzt, passt auf, dass "Astrid Lindgrens Welt" in Vimmerby die ihre bleibt. Alles sieht so aus, wie es die 2002 verstorbene Schriftstellerin und Kämpferin für die Rechte der Kinder in ihren Büchern beschrieben hat: die Mattisburg von Ronja Räubertochter, die drei roten Bauernhäuser von Bullerbü, Michels Hof mit den großen Holztieren zum Klettern oder Lottas Küche.

Mit dem Astrid Lindgren Kulturzentrum hat der Park seiner Schöpferin ein eigenes Denkmal gesetzt. Die Ausstellung in Astrid Lindgrens Näs (Internet: www.astridlindgrensnas.se) erzählt mit nachgebauten Objekten, Fotos und Dokumenten das bewegte Leben der Schriftstellerin. Der Rundgang beginnt in der Küche des elterlichen Bauernhofs, wo man manchmal die kleine Astrid singen hört. Hier hat sie, wie sie später sagte, Geborgenheit und Freiheit erfahren, jene Elemente, aus der ihre Lebenskraft, ihre Zuversicht und ihre Kreativität wachsen konnten.

An anderer Stelle sieht man die Straßenbahn, mit der die Schriftstellerin durch das verschneite Stockholm fuhr, oder man schaut durch das Fenster in ihre Wohnung. Hier schrieb sie ihre Bücher und setzte ihre Liebe zur Natur und ihre kindliche Lebensfreude in politisches Engagement um. Ein Film vermittelt Astrid Lindgrens Botschaft. Ein Leben voller Fantasie und ohne Gewalt, das die Menschen einfach sein lässt. Fröhlich, unbeschwert und angstfrei. So, wie es in "Astrid Lindgrens Welt" gezeigt wird.