Hier treffen Kunst, Kultur und pfiffige Architektur auf die heißeste Hip-Hop-Szene der Republik.

Wieso Stuttgart noch immer ein Image-Problem haben soll, ist mir schleierhaft", sinniert meine Hamburger Freundin Helga. Wenn das kein Kompliment für die südliche Landeshauptstadt ist, die vor einigen Jahren vielleicht wirklich noch als die biedere Metropole zwischen Wald und Reben daherkam. Aber Stuttgart hat sich gewandelt, nicht nur städtebaulich. Auch bei den Bewohnern hat es irgendwie "klick" gemacht. Genuss und Lebensfreude gehören hier längst nicht mehr zu den schwäbischen Todsünden.

Als Hotspot - zumindest tagsüber - zeigt sich der Schlossplatz. Menschengewimmel, geschäftig oder müßig, dazwischen Klein- und Lebenskünstler aller Art. An den Säulen des Königsbaus hocken junge Leute auf den Treppen. Überhaupt hat sich das ganze Areal zu einem großen Open-Air-Treff gemausert, und auch die Cafes erobern sich immer mehr Außenterrain. Wir ergattern einen Tisch im schnörkeligen Musikpavillon. Helga lehnt sich zufrieden zurück, rührt im Cappuccino und genießt mal wieder ihren kleinen "Extra-Schuss Süden", wie sie es nennt. Südliches Flair weht ja tatsächlich über den sommerlichen Schlossplatz, zudem gibt es rundherum was zu gucken.

Vorn zwischen den Blumenrabatten strebt die Jubiläumssäule himmelwärts, plätschern zwei pompöse Brunnen vor dem Neuen Schloss. Multikulti aller Altersklassen lagert auf den Rasenflächen. Wo früher Schilder mit der Aufschrift "Betreten verboten" standen, gehen heute Großveranstaltungen mit Tausenden von Besuchern wie Sommerfest oder Pop-Konzerte über die Bühne.

Beim Königsbau wetteifern zwei Seiten eines neuen architektonischen Kontrasts um die Gunst des Betrachters: die Königsbau-Passagen als Konsumtempel und das Kunstmuseum. Dieser gläserne Kubus war bundesweit für Schlagzeilen gut. In dem Hort moderner Kunst spiegelt sich tags das Schloss, abends wirkt es wie eine Lichtinstallation. Toll auch der Blick vom Restaurant "Cube" im obersten Stock des Glaswürfels über die Stadt zu den besten Wohnlagen am Hang und auf die bewaldeten Hügel.

Die Flaniermeile der Königsstraße zieht sich zu beiden Seiten des Schlossplatzes hin - mehr als ein Kilometer Fußgängerzone am Stück und mindestens noch mal so viel autofreie Lebensqualität in den Seiten- und Querstraßen. "Hier könnte ich endlos rumbummeln", sagt Helga, die Hamburgerin, der besonders das Erlebnis einer kompakten City ohne lange Wege imponiert. Die Kessellage mit den begrünten Hängen ringsum macht Stuttgart überschaubar. Die wichtigsten historischen Gebäude, Museen und Sehenswürdigkeiten konzentrieren sich auf das Zentrum.

Wir verlassen unseren Logenplatz im Pavillon, schlendern hinüber zum Alten Schloss und schauen dort im Landesmuseum mal beim Keltenfürsten vorbei, genauer bei dem großartigen Schatz aus seinem Grab, das nahe Stuttgart gefunden wurde. Jetzt kurz um die Ecke zum Schillerplatz, wo der Namensgeber streng von seinem Podest herunterguckt, vorbei an der Stiftskirche, zum nächsten Top-Ziel, der Jugendstil-Markthalle. Vom offenen Bistro auf der Empore lässt sich das Marktgeschehen bei einem Prosecco von oben beobachten, im Marktrestaurant gibt's dann was Bodenständiges. Maultaschen ("Swabian Ravioli" auf Englisch) vielleicht oder Kässpätzle und ein Viertel Riesling, natürlich einen Stuttgarter.

Eine gute Gelegenheit, die Vielfalt der Schwabenmetropole hervorzuheben. Wer vermutet hier schon die heißeste Hip-Hop-Szene der Republik? Auch wenn sich Topstars wie "Die Fantastischen Vier" inzwischen verkrümelt haben, kehren sie immer wieder zu ihren Wurzeln nach "Benztown" zurück, und die Hip-Hop-Open locken jedes Jahr die Stars der Szene an den Neckar. Wer sich zum Tanzen, Chillen und was sonst ins Nachtleben stürzt, muss nicht lange suchen: Stuttgart zieht das Partyvolk mit der angeblich größten Klubdichte Deutschlands an. Was sich allein an der Theodor-Heuss-Straße an Bars und Lounges etabliert hat, muss keinen Großstadt-Vergleich scheuen.

Auch in Sachen hochkarätiger Kultur- und Sportereignisse kann sich Stuttgart schon lange sehen lassen. Selbstverständlich ist man stolz, dass die Stuttgarter Staatsoper zum sechsten Mal als deutsches "Opernhaus des Jahres" geadelt wurde. Auch das Schauspielhaus macht mit spektakulären Neuinszenierungen von sich reden, das Ballett genießt seit Jahrzehnten Weltruhm. Im Variete im Friedrichsbau wirbeln nach alter Tradition Akrobaten, Zauberer und Co. über die Bretter. Außerdem locken noch rund 40 private Bühnen - die Bandbreite reicht von Avantgarde bis zum Puppenspiel.

Natürlich ist Stuttgart auch Industriestadt, aber eine von Weltruf, bittesehr, um nur die teuren Karossen mit dem Stern oder die Porsche-Flitzer zu nennen. Nicht nur für Autofreaks ist das neue Mercedes-Benz-Museum Pflicht. Seine futuristische Architektur macht es schon äußerlich zum Erlebnis. Da kann Porsche nicht zurückstecken: Des Sportwagen-herstellers nicht weniger spektakulärer Museumsbau wird 2008 fertig sein. Schon geöffnet hat das Haus Le Corbusier in der Weißenhofsiedlung. Die 1927 von "jungen Wilden" wie Mies van der Rohe, Scharoun oder Le Corbusier entworfene Mustersiedlung aus weißen Würfeln war damals eine Sensation und lockt bis heute Architekten aus aller Welt hierher.

Zurück zur Markthalle. Frisch gestärkt schlendern wir durch den Schlossgarten zur Kulturmeile, der Alten und vor allem der Neuen Staatsgalerie mit ihrer hervorragenden Sammlung zeitgenössischer Kunst. Der provokante Stirling-Bau ist längst ein Stuttgarter Markenzeichen geworden. Über den Verkehrsknotenpunkt Charlottenplatz geht es zum Bohnenviertel, einem komplett sanierten Altstadtgebiet, einst Arme-Leute-Wohngegend, heute ein urbanes Quartier mit Antiquitätenläden, Trödlern, schrillen Boutiquen, Weinstuben und einer bunten Kneipenszene. Und wer sich nur mit einem Imbiss stärken möchte, sollte beim Brunnenwirt am Leonhardsplatz vorbeischauen; seine Currywürste und Spareribs sind Klasse, sollen allerdings auch schon das Schärfste sein, was das hier beginnende "Rotlichtviertele" zu bieten hat.

Für morgen steht das grüne Stuttgart an. Da sind die Aussichtspunkte von den Halbhöhenlagen angesagt und die Stuttgarter Stäffele, teils verwunschene Treppenwege, die steil hangwärts führen. Ganz sicher werden wir irgendwann im lauschigen Teehaus hoch über dem Stadtkessel eine Pause einlegen. Vielleicht fahren wir auch noch zum Fernsehturm. Einen besseren Aussichtspunkt gibt es nicht. Am Horizont sind die dunklen Höhen des Schwarzwalds auszumachen, die Schwäbische Alb ist nicht mal eine Autostunde von der City entfernt. Wer jetzt bei der Schwabenmetropole noch immer nur an "Kehrwoche", "Spätzle" und "Daimler" denkt, sollte dringend vorbeikommen.