Dieses Dorf kennt anderswo üblichen Rummel nicht. Seine Gäste pflegen eine kultivierte Muße. Manchen zieht es am Morgen in die Berge.

Arturo Rhodes ist ein interessanter Mann: groß, schlank, mit einem sehr englischen, sehr aristokratischen Kopf. Er trägt gern rote Halstücher, und auf die Farbreste an seinen Hemden und Händen ist er stolz. Arturo lebt seit 25 Jahren als Maler im Künstlerdorf Deia`, in einem urigen Steinhaus hoch über dem Ort und noch höher über dem Meer. Dort, wo Mallorca noch ganz still und wirklich "anders" ist.

Als Arturo, der Bonvivant, Anfang der 80er-Jahre an die Westküste der Insel kam, trafen sich in den Galerien, Bars und Cafes von Deia` noch mindestens 40 ortsansässige Maler, Bildhauer und andere Künstler. Heute mögen es fünf oder sechs sein, vielleicht auch zehn, die ihr Brot mit Kunst verdienen. Es kommen neue, es gehen andere, sagt Arturo, aber viele sind es nicht mehr, die für immer bleiben.

Und dennoch ist Deia` noch immer geprägt von eigenwilliger, vielleicht sogar exzentrischer Atmosphäre, dort am Rande der Insel gelegen. Es wirkt fast schon wie jenseits von Mallorca.

Dichter und Maler haben sich hier schon vor 60, 70 Jahren angesiedelt, versteckt zwischen Palmen, Olivenhainen und Orangenplantagen. Bis heute ziehen immer wieder Lebenskünstler wie Arturo nach, der seine Bilder - zum Beispiel "weibliche Buddhas" und andere "Energie"-Motive - bis nach Neuseeland verkauft und seine schöpferischen Pausen gern in den Cafes am Ort verbringt. Dort hängen viele seiner Bilder.

Der britische Gentleman-Schriftsteller Robert von Ranke-Graves - seine Mutter stammte aus Deutschland - war vielleicht der Erste, der das Flair der wildromantischen Nordwestküste entdeckte. Er kam vor 80 Jahren und machte die verschlafenen Dörfer zwischen dem Meer und der Serra de Tramuntana vor allem in England bekannt.

Immer mehr Künstler folgten ihm, dem neuerdings ein Museum in Deia` gewidmet ist. Und irgendwann zogen auch Wohlhabende aus aller Welt in die Steinhäuser, die seit alten Zeiten wie kleine Festungen auf den Hügeln thronen und früher immerhin den Piraten von der Seeseite getrotzt hatten. Heute ist Grund und Boden in Deia` sündhaft teuer.

Trotzdem, auch das eines der vielen Wunder von Mallorca, ist das Dorf "heil" geblieben: kein Platz für Touristenbusse oder Souvenirbuden. Und schon gar kein Rummel, der auch nur annähernd mit dem im benachbarten Valldemossa vergleichbar wäre, wo es täglich Tausende in die Kartäuserkammer zieht, in der Frederic Chopin und George Sand ihren unglücklichen "Winter auf Mallorca" verbracht haben. Man kennt sich und man grüßt sich in Deia`.

Joanna zum Beispiel gehört dazu, die schöne Töpferin aus Chicago, die früher Christians Bar betrieben hat und jetzt ein Studio in der Nebenstraße hat, die zur Kirche führt.

Und einer, der als Künstler und Frauenheld gleichermaßen erfolgreich ist: David Templeton, gut aussehender und genialer Maler, beliebter Musiker und großartiger Hobbykoch, hat einmal dem spanischen Kronprinzen die Freundin ausgespannt. Jahrelang porträtierte er jeden Mittwoch Don Roberto, wie Ranke-Graves hier genannt wurde. So ist sein Ansehen in der kleinen, feinen Gesellschaft von Deia` kaum noch zu toppen.

Auch ein Künstler, nämlich Lebenskünstler ist Werner Kellermann, der Wanderführer aus der Pfalz, der seit 14 Jahren aktiven Mallorca-Urlaubern die Naturschönheiten der Tramuntana zeigt. In diesen Wochen zieht er fast jeden Morgen mit den Gästen des Hotels "Es Moli" um neun zu einer Tagestour in die Berge. Im Rucksack Wein, Schinken, Käse und natürlich Pa Amb Oli, das typische Tomatenbrot der Mallorquiner.

Werner heißt auch englisch Michael. Viele seiner Wandergäste kommen von der großen Insel, und die haben ihn irgendwann umgetauft, weil sie Werner nicht so gut aussprechen können. Ihm ist das egal. Jetzt, in knapp 1000 Meter Höhe, unterhalb des Pui dès Teix, atmet er tief durch. Er ist mit sich und der Welt im wahrsen Sinn des Wortes hoch zufrieden. Die würzige, jodhaltige Luft macht durstig und hungrig. Zwei Stunden ist er mit seiner Gruppe schon gelaufen, fast nur bergauf, vorbei an alten Köhlerhütten, stillgelegten Kalkbrennereien und vermoosten Backöfen, an denen sich noch vor 30 Jahren die Frauen aus den abgelegenen Bergsiedlungen getroffen haben. Im Schatten der Pinien und Steineichen lassen sich die Wanderer ihr Picknick schmecken.

Die Geschichte des Hotels "Es Moli", Ausgangsort dieser und anderer Wanderungen, ist so spannend wie die des Künstlerdorfes, an dessen Rand die behagliche Viersterne-Herberge liegt. Die Historie reicht über 500 Jahre zurück.

Die Besitzer hatten zum Landadel gehört und neben ihrem Stammsitz eine Mühle betrieben; darauf weist der mallorquinische Name bis heute hin. Eine Familie aus dem Rheinland wandelte 1966 die Finca in eines der schönsten Hotels der Westküste um. Es sollte ein Refugium werden für die stillen Kenner und Liebhaber der Insel, und es wurde vor zehn Jahren, zumindest kurzzeitig, auch ein "Paradies", wie es sich Millionen Menschen erträumen. Denn hier und im Hotel "Residencia", das mitten im Ort liegt, wurde die ZDF-Serie "Hotel Paradies" gedreht. Zum "Es Moli" gehörte schon immer ein veritabler Garten Eden, ein kleiner Park, der eine botanische Weltreise erlaubt: Sago- und Drachenpalmen wachsen dort, Mispel- und Feigenbäume, Gelber Bambus und Peruanischer Pfeffer. Und noch mehr Paradiese gehören dazu: "La Muleta" heißt der hoteleigene Badeplatz am Meer, der sich über acht Terrassen in eine abgelegene Bucht kuschelt. Und das Gourmetrestaurant "Ca`n Quet", dem gediegenen Stil des Hauses angemessen, ist über einen verwunschen wirkenden Weg vom Hotel aus zu erreichen.

Vormittag in Deia`. Die Gassen liegen ruhig, Zeit für Gespräche in den Galerien oder für einen Cafe con leche und einen Ensaimada, die mallorquinische Form des Kopenhageners. Der beste Platz, den Dorfkosmos zu überblicken, ist die Bar "Sa Fonda" gegenüber vom Gemischtwarenladen. Katzen schnurren auf der Steintreppe in der Sonne, der Polizist und der Briefträger tauschen den neuesten Klatsch aus. Auch Arturo und David blinzeln bei einem Drink in den noch jungen Tag. Später setzt sich Toni dazu, ein Herr im besten Sinne, ein kleiner Grande aus einer vergangenen Epoche. Es freut ihn jedes Mal, wenn jemand beteuert, dass man ihm seine 90 Jahre nicht ansieht.

Man redet über Kunst und über die alten Zeiten. Tonis Eltern hatten eine Pension, in der die Maler oft genug nur ihre Bilder in Zahlung geben konnten. Und wen hat er nicht alles getroffen: Ava Gardner, Peter Ustinov, Alec Guinness waren seine Freunde. Michael Douglas wohnt nicht weit von Deia`, dem Dorf, das er so gern wie kein anderes hat. Und was macht der Baukran dort drüben? Es heißt, Andrew Lloyd Webber lässt sich dort ein Haus bauen.

Die Herren im "Sa Fonda" beeindruckt das wenig. Toni, der Grandseigneur der Runde, wohnt in einem Patrizierhaus an der Hauptstraße, die nach dem österreichischen Erzherzog Ludwig Salvator benannt ist. Das war ein Mann nach dem Geschmack der Leute von Deia`: Seine Liebe zu Mallorca und noch mehr zu vielen Frauen auf der Insel bietet Stoff bis heute. "S'Arxiduc", wie sie ihn hier, nicht weit von seinen berühmten Landsitzen, nennen, hatte sogar ihre Majestät die Kaiserin Elisabeth von Österreich, die legendäre "Sissi", für die wilde Küste und ihre wehrhaften Dörfer zu begeistern gewusst.

Mit der Prominenz, da sind sich die Künstler und Lebenskünstler im "Sa Fonda" und überall in Deia` einig, ist es wie mit dem wirklichem Reichtum: Man hat genug, aber man redet nicht darüber . . .