Ostern 1722 wurde die Insel “entdeckt“, daher ihr Name. Mysteriös blieb bis heute, warum dort 900 Moai-Figuren entstanden - und wer sie später vom Sockel stürzte.

Carlos strahlt mich an - noch immer ungläubig, dass wir uns eben, nach 18 Jahren, auf der Osterinsel wiedergetroffen haben. Wir sollten eine Insel-Rundfahrt machen wie in alten Zeiten, schlägt er vor. Damals, in den 70er- und 80er-Jahren, besuchte ich fünfmal dieses mysteriöse Pazifik-Eiland, das die allermeisten nur aus dem Lexikon "kennen". Und Carlos war oft mein Begleiter bei den Ausflügen auf seinem heimatlichen Terrain; er zeigte mir die interessantesten Gegenden, erklärte die Geschichte und Kultur. "Du wirst sehen, es hat sich viel verändert hier, aber die Moais sind alle noch da", meint er nun lachend.

Moais werden die mehr als 900 geheimnisvollen Statuen genannt, die seit Jahrhunderten das Gesicht der Osterinsel prägen. Die ungelösten Rätsel um die steinernen Riesen - die meisten sind zwischen drei und sechs Meter groß - beschäftigen die Gehirne von Wissenschaftlern und die Fantasie von Touristen. Warum wurden die legendären Kolosse geschaffen? Wie ist es gelungen, sie kilometerweit zu transportieren und dann auf Steinplattformen (Ahus) aufzurichten? Welche Ursache gab es für den plötzlichen Stopp der Moai-Produktion, und wieso hat man die Giganten später umgestürzt? Fragen, die noch immer nicht schlüssig beantwortet werden können.

Die Osterinsel ist vulkanischen Ursprungs, knapp 164 Quadratkilometer groß und hat die Form eines Dreiecks. Erloschene Vulkane (höchste Erhebung: 507 Meter) markieren die grasbewachsene, hügelige Landschaft, die nur wenige bewaldete Gebiete aufweist. Ein vor den Wellen schützendes Korallenriff gibt es nicht, sodass die volle Wucht der Meeresbrandung auf das schroffe, schwarze Lavagestein der Küsten trifft. "Entdeckt" wurde die Insel zu Ostern 1722 von dem holländischen Seefahrer Jacob Roggevee; er gab ihr deshalb den Namen Osterinsel. Sie war von Polynesiern bewohnt. Nach einer dramatischen Geschichte gehört sie seit 1888 zu Chile. In den endlosen Weiten des Südpazifik gelegen, wird sie gern als einsamste Insel der Welt bezeichnet. Das chilenische Festland (mit dem nächsten Flugplatz) liegt 3765 Kilometer weiter östlich, die Insel Tahiti (Französisch-Polynesien) ist 4239 Kilometer westlich zu finden. Wer zur Osterinsel fliegen will, muss eine Boeing 767 der LAN Chile in der Haupstadt Santiago oder in Papeete (Tahiti) besteigen. Die Airline besitzt das Monopol auf diesen Strecken.

Rapa Nui (Entferntes Land) heißt die Insel bei ihren Bewohnern, auch Te Pito o te Henua (Nabel der Welt). Auf Spanisch, das ist hier die offizielle Sprache, sagt man Isla de Pascua, im Englischen Easter Island. Rapa Nui heißt auch die Sprache der Einheimischen, ein polynesischer Dialekt. Er ist Pflichtfach in den Schulen. Englisch sprechen nur wenige.

Hanga Roa ist die einzige Siedlung. Schon beim ersten Spaziergang durch den hübschen kleinen Ort an der Westküste fallen mir einige der Veränderungen auf, die Carlos angedeutet hat: die zahlreichen Autos - mehr als 1000 sollen es jetzt sein -, sowie eine Menge Motorräder und Mopeds. Etwa 100 Taxis bieten ihren Service an. Die wichtigsten Straßen sind gepflastert. Früher waren sie unbefestigt und mit rotem Vulkanstaub bedeckt. Neu auch die vielen Läden, Restaurants, Cafes - und Hunde.

Ein Stück Alltag, wie er früher war, sind die Pferde: Über 3000 laufen frei umher. Jedes aber hat einen Besitzer, für den das Tier ein Statussymbol ist. Da jagen wild aussehende junge Männer mit langen Haaren auf ihren Rössern durch die Siedlung, als gäbe es noch keine Fahrzeuge. Kinder und Jugendliche reiten nach der Schule - nun oft mit einem Surfbrett unterm Arm - zur nächsten Küste. Oder Pferde grasen zwischen den Moais. Nahezu alle der rund 5000 Insulaner wohnen in Hanga Roa, aber nur noch etwa die Hälfte von ihnen sind echte Rapa Nui, also Eingeborene polynesischer Abstammung. Sie gelten als freundlich und hilfsbereit, stolz und selbstbewusst, in Traditionen fest verwurzelt, doch auch aufgeschlossen und westlich orientiert. Die Bevölkerungszahl hat sich, besonders durch die Zuwanderung von Festlands-Chilenen, seit 1989 mehr als verdoppelt.

Zu Beginn der Insel-Tour fährt Carlos mit mir von Hanga Roa die Südküste entlang, wo wir zunächst auf etliche der ab Ende des 17. Jahrhunderts gewaltsam umgestürzten Steinkolosse treffen. Sie liegen auf dem Gesicht, ihr zylinderförmiger Pukao (Hut, Haarknoten oder Kopfschmuck?) aus rotem Felsgestein daneben, als wäre es eben erst geschehen. Stammeskriege waren vermutlich die Ursache. Eindrucksvolle Bilder einer untergegangenen Kultur. In den letzten 51 Jahren wurden 43 Moais von Archäologen wieder auf Altare, die heiligen Ahus, gestellt.

Auf einer holprigen Abzweigung der Küstenstraße erreichen wir schließlich den Vulkan Rano Raraku, die ehemalige Moai-Produktionsstätte. Hier wurden etwa im Zeitraum von 900 bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die tonnenschweren Statuen in mühevoller Arbeit aus dem grauen Felsen gehauen, dann zum großen Teil an die Küsten transportiert und dort auf Ahus gestellt, wahrscheinlich zu Ehren verstorbener Häuptlinge und zum Schutz der Bewohner.

An den äußeren und inneren Krater-Abhängen des Rano Raraku sind rund 400 Moais zu bewundern. Die meisten stecken bis zur Brust oder zum Hals in der Erde - ursprünglich standen sie in tiefen Gruben, bereit zum Abtransport. Aber im Laufe der Jahrhunderte hat die Natur die Gruben zugeschüttet, so dass bloß noch der Kopf dieser Giganten oder ihre obere Körperhälfte sichtbar ist. Andere blieben auf den Transportwegen liegen. Weil die Moai-Produktion plötzlich abbrach, kann man auch unfertige Statuen sehen, die noch mit dem Felsen verbunden sind, zum Beispiel gibt es am äußeren Abhang so einen Koloss von über 21 Meter Höhe. Auf der Innenseite des Vulkans sind die Moais dem Kratersee zugewandt.

"Eine Attraktion kennst du noch nicht, denn sie existiert erst seit elf Jahren", sagt Carlos, als wir den Vulkan verlassen. Es ist der Ahu Tongariki unweit des Rano Raraku, die größte Zeremonialplattform Polynesiens: 15 Moais stehen jetzt auf einem 180 Meter langen Ahu mit dem Rücken zum Meer, ebenso wie die Moais an der Küste. Die Tongariki-Riesen - der höchste misst 8,90 Meter - wurden von 1992 bis 1996 mit technischer Hilfe Japans wieder aufgestellt. Einst waren auch sie von ihrem Ahu gestürzt worden, und im Jahre 1960 hatte ein Tsunami sie dann sogar landeinwärts gespült.

An der Nordküste besuchen wir zwei kleine Strände, Anakena und Ovahe Beach, die einzigen der Osterinsel, wenn man die beiden winzigen Strände von Hanga Roa nicht mitzählt. Der schönste ist Anakena mit weißem Sand, einem Kokospalmen-Wäldchen sowie mehreren Moais. Pure Südsee-Romantik.

Rano Kau, der Vulkan an der südlichen Ecke des Insel-Dreiecks, hat zwar keine Moais, ist aber trotzdem ein populäres Ausflugsziel. Oben am rund 300 Meter hohen Kraterrand liegt die Zeremonialstätte Orongo mit ihren Felszeichnungen. Das war der Ort für den Vogelmann-Kult. Es stockt einem der Atem beim Blick zu den drei winzigen vorgelagerten Felseninseln, zur steilen Kraterwand und zum Kratersee.

Deutsch wird auf Easter Island übrigens auch gesprochen, denn zehn Bewohner stammen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Ein neues Zuhause an diesem Ende der Welt fand etwa der Österreicher Nikolaus Kaltenegger. Mit seiner einheimischen Frau leitet er das renommierte Hotel "Gomero". Besonders für seine Kinder sei die Insel ein sicheres Umfeld, schwärmt er: "Es gibt so gut wie keine Kriminalität, die Luft ist sauber."

Der Schweizer Josef W. Schmid, auch mit einer Insulanerin verheiratet, arbeitet als Touren-Führer. In der Schweiz zu wohnen, wäre ihm zu langweilig. "Rapa Nui ist weder auf den zunehmenden Tourismus vorbereitet noch auf die schnellen gesellschaftlichen Veränderungen", meint er sorgenvoll.

Stephanie Pauly aus Köln hatte aus Liebe zu einem Osterinsulaner ihre Existenz als Lehrerin in Deutschland aufgegeben. "Ich fühle mich als Vermittlerin zwischen den Kulturen", sagt sie.

Tourismus ist inzwischen die Haupteinnahmequelle der Osterinsel. Im vorigen Jahr kamen 50 000 Besucher. 1989, als ich mich zuletzt hier umsah, waren es nur 5000 gewesen. Es gibt etwa ein Dutzend Hotels und 25 private Pensionen. Nicht wenige Insulaner sind meisterhafte Holzschnitzer oder Steinmetze, sie fertigen kleine Moais sowie andere Souvenirs an. Ein Höhepunkt des Insellebens ist sonntags der Gottesdienst in der katholischen Kirche. Leidenschaftlich und im gleichförmigen Rhythmus werden die Choräle gesungen. Viele Informationen hält das Museum bereit, unter anderem über Rongo Rongo, die bisher nicht eindeutig entschlüsselte Bilderschrift.

Moais bewachen auch den Bootshafen in Hanga Roa. Ein Spaziergang von dort Richtung Norden führt zu den Statuen von Tahai. Hier steht der einzige "sehende" Steinriese. Vor einigen Jahren wurden dem 4,75 Meter großen Moai Augen aus weißem und rotem Gestein eingesetzt.

Wirtschaftlich geht es der Bevölkerung wesentlich besser als vor 18 Jahren. Doch das Leben ist nicht billig, denn nahezu alle Güter müssen vom chilenischen Festland eingeflogen oder mit dem Schiff herangeschafft werden. Surfen kann man nicht nur auf den Pazifik-Wellen, sondern nun auch in Internet-Cafes oder am eigenen Computer. Es gibt eine Radio- und eine Fernsehstation, via Satellit sind zwei TV-Sender zu empfangen. Eine Insel-Zeitung fehlt weiterhin.

Einmal im Jahr wird es auf der Osterinsel lebhaft: beim traditionellen Tapati-Festival im Februar. Der zweiwöchige kulturelle und sportliche Wettbewerb hat das Ziel, eine neue Königin zu krönen. Sie muss Jungfrau sein und möglichst eine reinrassige Rapa Nui. Ihre Funktion beschränkt sich aber auf das Repräsentieren. Glanzlichter des Festivals sind mitreißende Tanz- und Gesangs-Shows sowie eine bunte Straßenparade, für die fast alle Teilnehmer ihre Körper mit Symbolen der Insel-Mythologie bemalen. Lendenschurz bei Männern und ein Feder- oder Binsenrock bei Frauen sind dann die typischen Kleidungsstücke.

Die Osterinsel ist trotz aller Veränderungen geblieben, was sie von Anfang an war: eine total andere, stille Welt, ein faszinierendes Freilicht-Museum voller Geheimnisse.

Diesmal muss ich Carlos zum Abschied versprechen, nicht erneut 18 Jahre zu warten, bis ich wiederkomme. Was ich gern tue!