Françoise führt uns durch Paris und folgt dabei den Spuren der berühmten Frau. Ihr bewegtes Leben zeichnet ein neuer Film nach: “La Vie en Rose“ eröffnete jetzt die Berlinale.

Non, je ne regrette rien . . ." Zart und zornig, trotzig und triumphierend klingt das Lied, eine bewegende Liebeserklärung an das Leben mit all seinen Wundern und Nackenschlägen: "Nein, ich bereue nichts." Genau an dieses, ihr berühmtestes Chanson erinnert die Statue der Edith Piaf: Eine sehr kleine, schon ältere Frau, alles andere als eine Schönheit, steht da mit durchgedrückten Beinen in ihrem unförmigen Sackkleid, wie festgewachsen, hebt das Gesicht zum Himmel und reißt die Arme empor: Seht her, ich bin's! Gebrochen, aber nicht besiegt. Ich hab' mich durchgeboxt, bis ganz nach oben.

An der Place Edith Piaf im Herzen des 20. Bezirks erscheint Paris ein bisschen wie aus dem Bilderbuch: Poissonerie, Boucherie und Boulangerie präsentieren überaus appetitlich Fisch, Fleisch und Brot, schwarz gelockte Jungs kurven auf ihren Skateboards zwischen den grünen Laternen herum und in der "Bar Edith Piaf", in der nur ein Spiegel mit ihrem Porträt und ein paar Bilder an die Sängerin erinnern, lassen Männer in Lederjacken schon am Nachmittag die Sektkorken knallen.

Hier in Belleville kam sie am 19. Dezember 1915 als Edith Gassion auf die Welt. "Aber nicht auf den Stufen des Hauses Rue de Belleville 72, wie die Legende und die Gedenktafel am Haus behaupten", sagt Françoise Mikcha, die Reiseführerin. "Sondern ganz normal im Kreißsaal des Hopital Tenon ganz in der Nähe."

Françoise, die in bestem Deutsch anschaulich zu erzählen versteht, sprüht vor Anekdoten rund um die Sängerin. "Als Kind habe ich nur Piaf und Trenet gehört." Doch nicht, dass sie die große Französin nur blind bewunderte. "Edith Piaf war großzügig, tyrannisch, enthusiastisch, ehrgeizig, unsicher - ein Genussmensch und Workaholic zugleich, eine sehr komplizierte Persönlichkeit."

Paris sah anders aus vor fast einem Jahrhundert. In Belleville lebten Arbeiter und Leute, die vom Land kamen und Arbeit suchten. Die Straßen starrten vor Schmutz, Kinder liefen in Lumpen herum, man hatte wenig zu essen. Aber es gab auch Hilfsvereine, die sich um die Ärmsten kümmerten. Viel ist nicht geblieben aus jener Zeit.

Das Viertel, in dem Edith mit Unterbrechungen bis etwa 1934 lebte, ist heute geprägt von den Flüchtlingen, die sich nacheinander ansiedelten: Russen, Spanier, Nordafrikaner, Asiaten. Menschen aus 80 Nationen versuchen heute, miteinander zurechtzukommen. In der Rue de Belleville wechseln marokkanische Metzgereien, thailändische Nagelstudios, chinesische Reisebüros und vietnamesische Schnellrestaurants einander ab. Nur ganz oben am Berg, bei der Metrostation Pyrenees, halten sich noch die französischen Spezialitätengeschäfte mit ihren Dutzenden von Käsesorten, den Pasteten aus dem Elsass und den Hühnern, garantiert "de mon village" - aus meinem Dorf.

Hier sang Edith mit 15 auf den Straßen und in Cafes. Manchmal fuhr sie aber auch hinüber in die besseren Viertel, in den 8. und den 16. Bezirk etwa. Dort, an der Ecke Rue Troyon und Avenue Mac Mahon, wurde sie von Louis Leplee für seinen Nachtclub "Le Gerny's" entdeckt. "Piaf" - zu Deutsch "Spatz" - nannte er sie. Einmal soll Maurice Chevalier unter den Gästen gewesen sein und begeistert gerufen haben: "Sie hat es! Sie hat es im Bauch!"

Von den verwinkelten Gassen und Straßen des armen Ostens geht es zu den breiten Avenuen und den protzig-prachtvollen Marmorfassaden rund um den Triumphbogen: Solche Kontraste machen den Reiz dieser Stadtführung aus. Kreuz und quer ziehen wir durch Paris, entlang den Stationen eines bewegten Lebens: Da ist Pigalle mit seinen Sexshops und bunten Neongewittern, einstmals die Heimstatt der Künstler und Ganoven, wo die meisten Cafes eigene Orchester unterhielten und wo Edith für immer den Rausch für sich entdeckte: Alkohol, Männer, Beifall. Da ist das "Les Pleyes" und das legendäre "Olympia" am vornehmen Boulevard de Capucines, jene Musikhallen, auf deren Bühnen sie später umjubelt wurde. Und da ist die großbürgerliche Wohnung am Boulevard Lannes, hier war sie oben angekommen. Eine Tafel erinnert an das "Mädchen aus der Gosse".

Die erfolgreichen 40er- und 50er-Jahre stehen im Mittelpunkt für das Museum der "Freunde von Edith Piaf" in der Rue Crespin du Gast. 6000 Mitglieder zählt der Verein weltweit. Bernard Marchois, der 64-jährige Vorsitzende, zeigt Bühnenkleider, Goldene Schallplatten, Briefe, die sie geschrieben hat, und Porzellanteller, die bei ihr an der Wand hingen. Die zwei kleinen Räume sind vollgestopft mit Büsten, Bildern und Plakaten. Viele zeigen die Frau, die 300 Chansons aufgenommen und 80 selbst geschrieben hat, allein auf der Bühne. Überaus zerbrechlich wirkt diese 1,47 Meter große Frau, dem erbarmungslosen Licht der Scheinwerfer ausgesetzt.

Monsieur Bernard Marchois - zurückhaltend, mit dicken Brillengläsern, er trägt Jeans und Pullover - ging als Jugendlicher bei Edith Piaf ein und aus: "Manchmal hat man ihr Lachen noch drei Häuser weiter gehört. Aber im nächsten Moment hieß es: So. Jetzt wird gearbeitet. Und sie war wie ausgewechselt."

Gegenseitig spielen sich jetzt Stadtlotsin Françoise und Verehrer Bernard Geschichten zu: Wie die Piaf nachts erbarmungslos Mitarbeiter zu sich zitierte und neue Liedertexte verlangte. Wie sie bei der Dietrich zu Hause saß und Pullover strickte, während Marlene ihrem Jean Gabin eine Suppe kochte. Und wie sie an dem Tag, als ihr Geliebter Marcel Cerdan bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, in New York auftrat und für ihn sang.

Die späten Jahre waren grausam. Sie wechselte rastlos Männer und Wohnungen, erlitt mehrere Autounfälle und wurde morphiumsüchtig. Am 10. Oktober 1963 starb sie schließlich in Südfrankreich.

Piafs Grab auf dem Père Lachaise, wo auch Oscar Wilde, Frederic Chopin, Jim Morrisson und andere Berühmte begraben liegen, ist die letzte Station des Rundgangs. Ein Strauß Rittersporn auf dem Granitblock, Rosen und Orchideen liegen daneben. "Natürlich war auch ihr Tod was Besonderes", beschließt Francoise ihre Führung. "Edith Piaf gehörte Paris. Deshalb gab man den Tod nicht bekannt, bevor der Leichnam heimlich in die Hauptstadt geschafft worden war. Erst dort stellte der Arzt den Totenschein aus: Gestorben am 11. Oktober. In Paris."