Der Direktanbieter setzt trotz Masse auf Klasse und legt bei seinen Angeboten Wert auf Qualität.

Exakt 1150 Luftballons, einen für jedes Jahr seit der ersten urkundlichen Erwähnung ihrer Heimat, ließen die Rengsdorfer am Neujahrstag steigen und begrüßten das Jubiläumsjahr mit Böllerschüssen. Gleich vier Tage später gab es in dem beschaulichen Örtchen am Rande des Westerwalds das nächste Jubiläum: Erstmals in der 28 Jahre alten Firmengeschichte war der größte Arbeitgeber vor Ort dem Ansturm seiner Kundschaft nicht mehr gewachsen: Das Callcenter überlastet, die Server abgestürzt - es ging nichts mehr bei "Berge & Meer".

Verursacht worden war der Zusammenbruch durch den Discounter Aldi, der am 5. Januar erstmals Urlaubsschnäppchen angeboten hatte. Mehr als eine Million Menschen versuchten spontan, eine der fünf Reisen zu ergattern. Die Woche Mauritius für 999 Euro war nach wenigen Stunden ausgebucht.

Die deutsche Nr. 1 im Reise-Direktvertrieb, die Berge & Meer Touristik GmbH, hat Übung in Großaktionen, doch das Aldi-Phänomen überstieg selbst ihre Kapazitäten. Der große Run auf Sonderangebote hatte diesmal nicht an einem Mittwoch in den Filialen, sondern an einem Freitag im Internet stattgefunden.

Aldi ist der jüngste und neben Tchibo der bekannteste der 100 Partner, für die "Berge & Meer" Reisen organisiert. Etwa achtmal pro Jahr wird der Touristik-Profi in Zukunft für den Discounter Reisen zusammenstellen, die zum Kundenprofil passen - bei jeder Aktion maximal fünf. Mehr will Geschäftsführer Reiner Meutsch noch nicht verraten. Dass ihm weder die Konkurrenz noch die Fachpresse den Erfolg gönnt, beeindruckt den 51-Jährigen wenig. Er ist vom Preis-Leistungs-Verhältnis seiner Produkte überzeugt. Und vom Vertriebsweg, der ohne Vermittlung und damit ohne Provisionen an Dritte auskommt. Da er den Einkauf außerdem knallhart kalkuliere, könne seine Firma "Vier-Sterne-Qualität zu Zwei-Sterne-Preisen" anbieten. Verdient werde über die Masse der verkauften Produkte. "Wir warten eben nicht, bis der Kunde zu uns kommt. Wir gehen zum Kunden."

Der Direktvertrieb erwies sich als Erfolgsrezept. 27 Jahre jung war der Diplom-Kaufmann Klaus Scheyer, als er die Firma 1979 gründete. Später stieg sein Jugendfreund Reiner Meutsch ins Unternehmen ein. Zusammen machten sie aus der 16-Mann-Firma ein Unternehmen mit 400 Mitarbeitern, das im vergangenen Jahr mit knapp 600 000 Gästen einen Umsatz von 220 Millionen Euro generierte.

Der erste Kunde war das Bundeswehr-Sozialwerk, das Soldaten zur Erholung nach Korsika schickte. Später kamen Versandhäuser wie Heyne, Wenz und Otto dazu, die in ihren Katalogen Reisen anboten, die "Berge & Meer" für sie organisierte. "Eine Geschichte vergesse ich nie", erzählt Meutsch. "Als wir in der Saison 1992/93 im Otto-Katalog für 399 Mark eine einwöchige Reise nach Bad Kleinkirchheim anboten, reisten in nur vier Monaten 15 000 Menschen in den 4000-Einwohner-Ort in Kärnten." Logistisch eine Meisterleistung, die dem Veranstalter große Anerkennung einbrachte.

Als dann in den 90er-Jahren das Fernsehen als Vertriebsweg entdeckt wurde, organisierte "Berge & Meer" Formel-1-Events für RTL und Zuschauer-Reisen für Sat.1. Der große Durchbruch kam 1996, als Tchibo in den Reisemarkt einstieg und mit der Firma eine Kooperation einging. Tchibo brachte den Kundenstamm, Meutsch die erprobten Vertriebswege. Mittlerweile kann man mit dem Kaffeeröster die ganze Welt bereisen. 446 Reisen finden sich allein in dieser Woche auf seiner Homepage. 180 Reiseverkehrskaufleute sind im Callcenter in Rengsdorf beschäftigt. Bei Großaktionen werden zwei Überlauf-Callcenter zugeschaltet. Bei der Aldi-Aktion mussten erstmals Wartezeiten angekündigt werden. "Normalerweise nehmen wir 95 Prozent der Anrufe innerhalb von sechs Sekunden an." Und das, obwohl man neben den Partner-Reisen auch noch selbst etwa 1000 Produkte pro Jahr anbietet.

Neben Masse war Klasse stets das zweite Standbein. Mit Tchibo als Partner wurde die Qualität "doppelt wichtig", weil der Ärger ja nicht in Rengsdorf gelandet wäre, sondern in der Hamburger Zentrale des Filialunternehmens. "Wir überlassen nichts dem Zufall", meint Meutsch, der 16 Mitarbeiter in der Qualitätssicherung beschäftigt. Sie überprüfen vor Ort, was die Produktmanager eingekauft haben, und schauen zehn Tage, bevor der erste Gast anreist, nach, ob sich auch nichts verändert hat. Sollte sich etwa eine Baustelle aufgetan haben, wird der Kunde informiert. Er kann umbuchen oder kostenlos von der Reise zurücktreten.

Und was wird 2007 Meutschs größtes Abenteuer sein? "Eine einwöchige Flugsafari durch die Wüste Namibias." Den Hin- und Rückflug bestreitet er, wie es sich für den Geschäftsführer eines Pauschal-Veranstalters gehört, in einer Chartermaschine, in der auch etwa 100 "Berge & Meer"-Gäste sitzen werden, die eine Rundreise im Bus gebucht haben.