Das “glückliche Grunzen“ wird mit Drachen, Tänzern und einem prächtigen Feuerwerk gefeiert.

Die Zeit des Hundes geht zu Ende. Familie Lo Kong hat zum Ausklang des alten Jahres eingeladen. Im astrologischen Zyklus der Chinesen, der sich am Mondkalender orientiert, übernimmt am 18. Februar das Schwein die Regie. Lo Kong Yin Ho arbeitet als Krankenschwester in einer Ambulanz, ihr Mann pflegt als Gärtner den Hongkong-Park. Sie wohnen mit ihren drei Kindern, ihren Eltern und zwei Verwandten in einer 80 Quadratmeter großen Hochhauswohnung, zu der eine geräumige Dachterrasse gehört. Die Familie und ihre Freunde freuen sich auf das schönste Fest im Jahr. Und sie sind stolz, dass ihre Stadt, dieses Traumziel der Globetrotter, wieder boomt.

Zehn Jahre nach der Übergabe durch die Briten an die Volksrepublik ist die aufregendste Metropole des Fernen Ostens mehr denn je im Trend. Einige Jahre haben Taifune das Tourismusgeschäft durchgerüttelt. Auf die Skepsis angesichts des Abzugs der Briten folgte die ökonomische Asienkrise, die bis 2001 anhielt. Kaum war diese Lähmung überwunden, brach wegen SARS eine Art Hysterie aus, die fast alle beliebten Ziele in Ostasien beeinträchtigte.

Aber Hongkong-Chinesen sind noch zuversichtlicher als ihre Landsleute im "mainland", wie sie das große China nennen. Sie versuchten gar nicht erst, Shanghai zu kopieren, die Mega-City, die viel Glanz, aber wenig Herz hat. Stattdessen setzten sie zum einen auf neue Attraktionen wie ein Disneyland der Superlative, eine gigantische Gondelbahn, die stündlich 3500 Passagiere nach Lantau, auf die größte der vorgelagerten Inseln, bringen kann, sowie die "Symphony of Lights", eine atemberaubende Laserlicht-Show, die jeden Abend 33 Wolkenkratzer verzaubert. Und zum anderen haben Touristen auch bei ihrer Suche nach Exotik, nach dem alten Asien viele Erfolgserlebnisse - etwa in dem vom Rauch unzähliger Duftspiralen geschwängerten Man-Mo-Tempel, wo der Gott des Krieges und der Gott der Literatur unter einem Dach verehrt werden, in den Gassen des Antiquitätenviertels rund um die Hollywood Road oder im Teehaus Luk Yu an der Stanley Street; alte Herren bringen hierher immer noch ihre Singvögel zum Frühstück mit.

Diese Mischung aus futuristischen Visionen und einer jahrtausendealten Tradition lässt die Besucherströme anschwellen wie in der Zeit vor allen Krisen. Die meisten Touristen - über 200 000 kamen vergangenes Jahr allein aus Deutschland - fahren von Kowloon mit den betagten Schiffen der Star Ferry Line den Wolkenkratzern entgegen und sind wohl alle begeistert. Staunend schauen sie anschließend vom Oberdeck der Straßenbahn, die seit über hundert Jahren an der Küste von Hongkong Island entlangzuckelt, in das Gewimmel der altchinesischen Gassen und auf die modernen Paläste des großen Geldes, sehr preiswert ist diese Reise durch Zeiten und Kulturen.

Zu Schönheit und Vielfalt Hongkongs, zum ausgeprägten und lebhaft zelebrierten Traditionsbewusstsein seiner Einwohner und zu den Widersprüchlichkeiten der Stadt passen die alten Neujahrsbräuche ebenso wie die High-Tech-Events, mit denen der Wechsel von einem Tier zum anderen gefeiert wird. Frau Lo Kong wird bald beginnen, gründlich die Wohnung zu putzen und dabei ein paar Bambuszweige ans Rohr des Staubsaugers binden, als Erinnerung an den Brauch der Alten, das Haus vor dem Neumond mit Besen aus glückbringendem Bambus zu reinigen. Herr Lo Kong hingegen wird seine Schulden im Wettbüro und beim Zigarettenhändler begleichen - so geht jeder auf seine Art "sauber" ins neue Jahr. Beide haben kleine rote Umschläge von ihren Chefs bekommen, die ein paar Hongkong-Dollar enthielten: Lai See, "glückliches Geld". Auch sie selbst verteilen am Tag des neuen Mondes solche "red packets", an ihre Kinder und an die Putzfrau.

Zum "glücklichen Grunzen", wie man hier den Einstieg ins Jahr des Schweins nennt, werden sie sich Kung Hei Fat Choi wünschen. Auf Deutsch: "Dein Reichtum sei gesegnet." Und vorsichtshalber werden sie tagelang Melonenkerne kauen, und das nur, weil der chinesische Name dafür wie jener für Silber klingt.

Wir sind durch Zufall zu der Einladung bei den Lo Kongs gekommen. Herr Lee, der Taxi fahrende Neffe des Hausherrn, hat sie uns vermittelt. Vor der Reise waren wir gewarnt worden, dass während der Neujahrstage in Hongkong wie überall in der chinesischen Welt "tote Hose" sei; alle Geschäfte und die meisten Restaurants hätten geschlossen. Und wirklich hält sich auf der Nathan Road, der goldenen Meile von Kowloon, drei Tage lang das sonst übliche Gedrängel in Grenzen. Für Touristen gibt es dennoch viel zu sehen, Geschäftsleute allerdings werden in diesen Tagen kaum Termine bekommen, denn die meisten Chinesen ziehen sich dann traditionell in ihre Familien zurück. Sie besuchen die Tempel ihres Viertels, und hoffen, dass die Werte, für die das Schweinejahr steht - Harmonie, Glück, Erfolg in der Liebe sowie in Familie und Beruf - die nächsten zwölf Monate lang tragen.

Chinesen denken pragmatisch, ganz besonders die in Hongkong. Zur Sicherheit betet man also nicht nur im Tempel, sondern wirft auch Apfelsinen mit Wunschzetteln möglichst hoch in dafür bestimmte Bäume; und die müssen natürlich im Geäst hängen bleiben, um von dort ihre Wirkung tun zu können. Ebenso wettet man dieser Tage mit so großen Summen, wie sie wohl nirgendwo sonst gesetzt werden, auf Pferde. Auch Herr Lo Kong wird am 18. Februar wieder nach Shatin fahren und mindestens zehn Prozent seines Lohnes auf einen todsicheren Tipp setzen. An einem Nachmittag setzen allein auf dieser Rennbahn über hunderttausend Menschen mehr um, als auf allen deutschen Rennplätzen im ganzen Jahr erwirtschaftet wird.

Auf der Terrasse bei Familie Lo Kong rühren inzwischen vier, fünf Frauen in einem riesigen Topf, der auf dem steinernen Ofen steht. Darin köchelt es seit Stunden vor sich hin. Der Boden des Topfes wurde, wie die Tradition es vorschreibt, mit Seegurken bedeckt, darüber hat man dann fette Schweinehaut, gebratene Hühner und geröstete Enten gelegt und schließlich aufgefüllt mit einer scharf gewürzten Brühe. Bis alle Teller verteilt und gefüllt sind, vertreiben wir uns die Zeit mit dem Naschen von kandierten Wasserkastanien und Winterkürbis. Solche Süßigkeiten symbolisieren an Neujahr den Zusammenhalt der Familie.

Auch Hongkong-Besucher, die weder Zeit noch Gelegenheit für ein Neujahrsfest im chinesischen Familienkreis finden, können den Einstieg in den neuen Mondkalender aufregend miterleben. Höhepunkte sind die Paraden, bei denen vielfüßige Drachen und Tausende von Tänzern und Trommlern durch die illuminierten Straßen ziehen und das wohl schönste und teuerste Feuerwerk der Welt sich entlädt.

Wer zwölf Monate lang auf den Hund gekommen war - er stand für Bescheidenheit und wenig Aufregung - kann jetzt viel Schwein erwarten. Das Jahr 4074 nach chinesischer Rechnung soll ein Jahr des Wohlstands und der Freundschaft werden. Dafür jedenfalls steht besagtes Haustier, eines der ältesten des Menschen. Ein Schweineglück werden sie also haben, die Lo Kongs und ihre sieben Millionen Nachbarn.