Costa Rica: Zwischen Karibik und Pazifik mehr als 60 Naturparks erkunden. Regenwald, Vulkane, und eine einzigartige Tierwelt: Das sind die Attraktionen jenes Landes, auf das Deutschland zum WM-Auftakt trifft.

Kommt. Da hinten liegt eine Boa constrictor!" Carlos Mairena alarmiert die Touristen, die gerade auf der Terrasse der Dschungelherberge frühstücken. Sie lassen ihren Kaffee stehen und folgen dem Gästeführer an den Rand des Urwaldes.

Carlos deutet auf einen Mimosenbaum, unter dem sich die zwei Meter lange Schlange zusammengerollt hat. Das Reptil zischt und zeigt seine spitzen Zähne. "Keine Angst, diese Schlange ist für Menschen harmlos", beruhigt ein anderer Einheimischer. Er packt die Boa hinter dem Kopf und setzt sie, nachdem alle sie begutachtet haben, neben dem Restaurant der "Selva Bananito Lodge" wieder aus. "Hier kann sie jetzt Mäuse fangen", sagt der Mann und grinst.

Die Lodge liegt nahe der Karibikküste Costa Ricas in einem rund 1000 Hektar großen Privatreservat, das der deutschen Familie Stein gehört. Es grenzt an das fast unerschlossene Biosphärenreservat Amistad, das größte Naturschutzgebiet in Mittelamerika. Noch mit 81 Jahren betreibt Vater Rudi Stein Viehwirtschaft auf dem Land, wo die berüchtigte United Fruit Company einst Bananen anpflanzte. Sohn Jürgen leitet das kleine Urwaldhotel. Die nächsten Nachbarn sind einige Indianerfamilien, die zwei Kilometer entfernt im Urwald wohnen.

Durch die Fußball-WM ist dem mittelamerikanischen Staat die weltweite Aufmerksamkeit sicher. Wer beim Auftaktspiel Costa Rica gegen Deutschland gewinnt, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. "Wir gewinnen 2:0 ", zeigt sich ein Taxifahrer überzeugt. "Deutschland hat kein Weltniveau mehr", sagt der Mann abschätzig. Fremdenführer Carlos Mairena tippt auf 5:5 unentschieden. "Deutschland gewinnt 10:0", flachst sein Chef Jürgen Stein.

Von der Terrasse des Restaurants und der Gästehäuser lassen sich mit dem Fernglas zahlreiche wilde Tiere beobachten. Im nahen Teich lauert ein Kaiman auf Beute. Den vorbeihüpfenden Pfeilgiftfrosch verschmäht das kleine Krokodil jedoch. Eine Brüllaffenfamilie hangelt sich lautstark durch die Wipfel von Mahagonibäumen. Farbenfrohe Regenbogentukane krakeelen in den Bäumen und die unscheinbare Schlichtdrossel schmettert ihr fröhliches Lied. Kolibris schwirren hektisch von Blüte zu Blüte, um Nektar zu saugen. Aus dem Urwald ist das Krächzen von roten Aras zu hören, die in einer Baumhöhle ihre Jungvögel aufziehen. Geier stürzen sich auf die Reste eines Waschbären, die ein Ozelot übriggelassen hat. Nach dem frühen Sonnenuntergang senden Tausende von Glühwürmchen Lichtblitze in die Finsternis des lärmenden Urwaldes.

Auch in Costa Rica wird der Lebensraum all dieser Tiere bedroht - durch Rodungen skrupelloser Geschäftemacher. Denen hat Jürgen Stein den Kampf angesagt. So verklagte er erfolgreich einen Mann, der mehrere Hektar illegal in dem Privatreservat abgeholzt hatte. Seither müssen er und seine Mitarbeiter mit Todesdrohungen leben. Doch der Hotelier läßt sich nicht einschüchtern. "Der Tourismus kann helfen, den Regenwald zu erhalten", glaubt Stein. Denn das Geschäft mit (ökologisch interessierten) Urlaubern ist inzwischen die wichtigste Einnahmequelle Costa Ricas.

Die Vielfalt von Flora und Fauna lockt Gäste aus aller Welt in das Land, das nur etwa so groß ist wie Niedersachsen. Rund ein Viertel Costa Ricas, das sich zwischen Karibik und Pazifik erstreckt, steht unter Schutz. Es gibt um die 60 Nationalparks und Reservate, die zum Teil durch Wanderwege erschlossen sind. Immer beliebter werden die Canopy-Touren: Dabei schweben Touristen, an Drahtseilen hängend, durch die Baumkronen und betrachten den Urwald aus der Affenperspektive. Viele Besucher kommen allein der Vögel wegen, von denen es in Costa Rica 852 verschiedene Arten gibt. Hobby-Ornithologen fiebern danach, einen Tukan oder den farbenprächtigen "Göttervogel" Quetzal zu beobachten, der nur noch vereinzelt in den Bergwäldern vorkommt.

Rund 20 000 Deutsche leben in Costa Rica. Viele von ihnen verdienen ihr Geld im Tourismus - so auch die Biologin Barbara Hartung. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie als Führerin im regenreichen Nationalpark Tortuguero, der an das karibische Meer grenzt. Mit seinen natürlichen Kanälen und Lagunen gilt er als besonders artenreich. Einst landeten hier Piraten und Seefahrer. Sie sammelten Meeresschildkröten ein, die am Strand ihre Eier ablegten. Mit dem Panzer nach unten stapelten sie die Tiere als lebenden Proviant auf den Schiffen. Bis vor einigen Jahren wurden die Schildkröten bestialisch abgeschlachtet und zu Suppe verarbeitet. "Doch inzwischen stehen sie unter Schutz", freut sich Hartung. Sie paddelt mit Urlaubern durch die weitverzweigten Wasserwege des Nationalparks, in dem 2400 verschiedene Bäume und Pflanzen wachsen. Auf einer ihrer Touren beobachtete sie sogar einen Jaguar, der durch den Fluß schwamm.

Fast lautlos nähert sich das Kanu dem Ufer, ohne die Tiere zu aufzuschrecken. In der Baumkrone einer blühenden Wasserkastanie halten Klammeraffen Siesta, nachdem sie sich mit Blättern und Früchten satt gefressen haben. Im Schilf duckt sich ein Blaureiher, Eisvögel schießen senkrecht ins Wasser, um Fische aufzuspießen. Schildkröten hocken auf schwimmenden Baumstämmen, poppig bunte Giftfrösche hüpfen von Blatt zu Blatt. Neben der von Palmen gesäumten Küste und den Urwäldern zählen die aktiven Vulkane zu den Attraktionen Costa Ricas. Besonders beliebt: der markante Arenal am Rande des gleichnamigen Sees. Immer wieder faucht dieser Vulkan wie eine Lokomotive und spuckt tonnenschwere Gesteinsbrocken mehrere hundert Meter in die Höhe. Nachts ist zu beobachten, wie glühende Lava die kahlen Abhänge hinabfließt. Ein ganz anderes Bild bietet sich einige Kilometer südlich von hier in den beliebten Reservaten von Monteverde und Santa Elena. Diese mit Flechten und Lianen überwachsenen Zauberwälder hängen zumeist in Wolken. Doch die einst himmlische Ruhe ist auf Grund des großen Touristenandrangs vorüber. Neue Hotels schießen wie Unkraut aus dem Boden - zu viele, wie manche Naturschützer meinen. Die Zahl der täglichen Besucher, die im Monteverde-Reservat Einlaß finden, wurde inzwischen begrenzt.

Wenig bekannt und daher kaum besucht sind noch die Schutzgebiete im Norden des Landes - wie der Nationalpark Santa Rosa mit seinen Trockenwäldern und einsamen Stränden - oder das Gebiet um den Rincón de la Vieja. Am Fuße des 1800 Meter hohen, aktiven Vulkans liegen blubbernde Schlammtümpel, die mit Dampf aus dem Erdinneren gespeist werden. Flüsse haben tiefe Schluchten in das Bergmassiv gegraben. Wasserfälle ergießen sich bis zu 30 Meter tief in natürliche Schwimmbecken. Über dem smaragdgrünen Wasser tanzen handgroße Morphofalter, am Ufer raschelt ein Gürteltier im Unterholz. Ein Platz, der dem Paradies nahe kommt.

Etwas weiter nördlich hat sich das Schweizer Ehepaar Agi und Guido Sutter seinen Traum von einem selbstbestimmten Leben erfüllt. Einige Kilometer abseits der legendären "Traumstraße" Panamericana kauften die beiden vor zehn Jahren die 68 Hektar große Finca Cañas Castilla. Sie züchten Vieh, bauen Obst und Gemüse an und vermieten Bungalows an Individualtouristen. Die Häuser liegen an einem Fluß, der unweit entfernt in den Nicaraguasee mündet. Ein Bad scheint verlockend. "Besser nicht ins Wasser gehen", warnt der gelernte Bauingenieur Guido. "In dem Fluß wohnt ein Krokodil, mit dem wir seit Jahren friedlich zusammenleben." Daß ihre Hühner immer wieder von Schlangen gefressen werden, daran haben sie sich auch schon gewöhnt.