Mauritius: Auch für Kinder ein faszinierendes Reiseziel. Mark Twain hielt die Insel im Indischen Ozean für das wahre Paradies. Das macht Lust, hier einmal selbst in bunter Exotik zu schwelgen.

Ob wir sie heute wirklich treffen werden? Hoffentlich. Denn Antonia fiebert diesem Moment regelrecht entgegen.

"Delphine - aber nicht im Zoo oder im Aquarium, sondern in freier Natur!" Mit diesem Versprechen hatten wir unsere sechsjährige Tochter geködert, vor Sonnenaufgang aus dem Bett zu kriechen, eineinhalb Stunden mit dem Taxi über die Insel zu kurven und noch vor dem Frühstück ein kleines, schnelles Motorboot zu besteigen, das uns hinaus aufs Meer bringen würde.

Alain wartet, wie verabredet, in der Tamarin-Bucht. Der Skipper und seine Mitarbeiter von "Dolswim Ltd." haben Erfahrung damit, Urlauber dicht an die flinken Meeressäuger heranzuschippern. "Wir fahren jeden Tag die Küste rauf und runter - dabei finden wir die Tiere fast immer."

Kurz nach 8 Uhr morgens startet unsere "Expedition" auf die andere Seite des Riffs. Zügig nimmt der Skipper Kurs Richtung Norden - bis er plötzlich über Funk verständigt wird, daß im Süden eine Delphin-Familie gesichtet wurde. Scharf dreht er bei, und schon reitet das Boot mit Vollgas über die Wellen. Salzige Gischt spritzt den Passagieren ins Gesicht, der schneidende Fahrtwind stiehlt einem fast den Atem. Doch das ist jetzt egal. Schließlich will niemand den Höhepunkt der Tour verpassen.

Wenige Minuten später sehen wir, etwa 500 Meter vom Strand entfernt, ein paar andere Boote auf dem Wasser treiben. Und dann sind auch sie da, die grauen Finnen der Delphine, die immer wieder aus dem Wasser ragen. Nicht nur Antonia ist jetzt hellwach: Die ganze Gruppe an Bord - Deutsche, Engländer, Holländer, Schweden und Franzosen - staunt über die hohe Zahl der Rückenflossen. Dreißig, vielleicht vierzig Tiere sind direkt in unserer Nähe. Wer will, kann jetzt mit Schnorchelzeug ins dunkle Naß springen.

Antonia ist das aber nicht geheuer: "Ich habe Angst vor dem tiefen Wasser. Außerdem sehe ich auch so etwas." In der Tat: Die schnellen Tümmler wirken eher neugierig als aufgescheucht, kreuzen immer wieder unsere Bahn - oder wir ihre. Manchmal scheinen sie uns sogar direkt in die Augen zu schauen, wenn sie im Vorbeischwimmen kurz ihren Kopf aus dem Wasser recken.

Um 10 Uhr ist der Trip zu Ende. Zeit für ein Frühstück. "Und, wie hat es dir gefallen?", frage ich meine Tochter. "Super", sagt sie, "auch das schnelle Boot fand ich toll. Das war fast wie eine Achterbahn auf dem Meer."

Sicher: Man muß nicht zwölf Stunden lang um die halbe Erdkugel fliegen, um einmal wilde Delphine zu sehen. Trotzdem war diese Möglichkeit ein Argument, als wir ein Urlaubsziel für den Herbst suchten. Dazu kamen aber noch ganz andere Sehnsüchte. Helle, saubere Palmenstrände. Ein warmes, türkisfarbenes Postkarten-Meer mit bunten Korallenfischen. Eine Inklusiv-Strandliege (mit Schirm) direkt am Meer. Eine kitschig am Horizont verglühende Abendsonne. Und ein fremderes Kulturerlebnis, als es die europäische Pauschalurlaubswelt bietet.

Kurz gesagt: Es sollte echte Exotik statt Mallorca oder Kanaren sein. Doch wohin - DomRep? Kuba? Thailand? Bali? Alles Ziele, bei denen die innere Uhr umgestellt werden muß. Und nach den Ferien mit Jetlag zurück in die Schule - das wollten wir dem Kind nicht zumuten.

So fiel die Wahl auf Mauritius, vornehmlich bekannt als Honeymooner-Destination und Fünf-Sterne-Flucht für Prominente. Die Insel im Indischen Ozean, etwa 1000 Kilometer östlich von Madagaskar gelegen und flächenmäßig zweieinhalbmal so groß wie Hamburg, ist auch für Familien durchaus interessant: Kinder fliegen zu bestimmten Saisonzeiten kostenlos mit ("Family Fare") und wohnen meistens recht günstig in den Hotels. Das Klima gilt als gemäßigt - im deutschen Herbst (dem mauritianischen Frühling) liegen die Temperaturen um 27 Grad in der Luft und 23 Grad im Meer. Der Zeitunterschied zu Deutschland beträgt nur zwei (im Winter drei) Stunden. Die Strände fallen flach ab und sind fast überall durch ein Riff vor hohen Wellen geschützt. Die Gefahr, sich mit Tropenkrankheiten zu infizieren, ist gering. Bei den Unterkünften gibt es jenseits der Nobel-Adressen auch gute Alternativen für Urlauber mit engeren Budgetgrenzen. Und man darf auf mehr Abwechslung hoffen als auf einem winzigen Malediven-Eiland, das zu Fuß in ein paar Stunden umrundet ist.

Obwohl geographisch und politisch zu Afrika gehörend, haben zwei Drittel der 1,2 Millionen Einwohner indische Vorfahren. Das unterscheidet Mauritius von einem anderen Traumziel der Region, den etwas weiter nördlich im Meer versprenkelten Seychellen. Plantagenbesitzer, die nach dem Verbot der Sklaverei neue Arbeiter brauchten, begannen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Gastarbeiter aus Bombay und Kalkutta nach Mauritius zu locken. Und von denen kehrten später nur die wenigsten zurück.

Aus Indern, Kreolen (so heißen die Nachfahren afrikanischer Sklaven) sowie einigen Asiaten und Europäern bildete sich im Laufe der Jahre ein buntes, freundliches Vielvölker- und Religionsgemisch, das 1968 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen wurde - und schnell nationales Selbstbewußtsein gewann. Man lebt heute in friedlicher Koexistenz, respektiert die Sitten und Gebräuche der jeweils anderen und versucht, mit viel Fleiß die Wirtschaft voranzubringen. Zuckerrohr, Textilien und Tourismus sind die Haupt-Devisenbringer.

Der Schriftsteller Mark Twain notierte in sein Reisetagebuch, Gott habe erst Mauritius geschaffen und dann das Paradies - das war vor mehr als 100 Jahren. Ohne Zweifel ist die Insel noch heute sehenswert mit ihren tollen Buchten und Lagunen. Aber sie ist auch ein dichtbesiedelter Kleinstaat, der sich jahrzehntelang mit einer landwirtschaftlichen Monokultur über Wasser halten mußte. Die Orte - allen voran die quirlige Hauptstadt Port Louis - werden zur Rushhour vom Autoverkehr fast erdrückt, und bei Fahrten durch bestimmte Gegenden ist außer meterhohem Zuckerrohr manchmal kaum etwas zu sehen.

Viele einstmals heimischen Pflanzen und einige Tiere wurden im Laufe der Jahrhunderte durch die Menschen und ihre Mitbringsel verdrängt. Als einer der ersten starb der plumpe Dodo aus, ein flugunfähiger Großvogel, den portugiesische Seefahrer gern als Proviant an Bord nahmen. Dennoch ist er allgegenwärtig - als Plüschsouvenir, das in jedem Laden hängt. Bevor die Menschen kamen, war Mauritius mit tropischem Regenwald reich gesegnet. Heute sind nur noch im Südwesten einige wenige der riesigen Hartholzbäume zu finden, die einst das Dach des Dschungels bildeten. Ansonsten herrschen Nutzhölzer und Zierpflanzen aus Asien, Australien, Madagaskar oder vom afrikanischen Festland vor: Tamarinden, der rote Flamboyant und Filaos (Kasuarinen) zum Beispiel. Bei den Pflanzen ist es ähnlich wie bei den Menschen: Ihre Wurzeln haben sie auf Mauritius zwar nicht - aber sie gedeihen unter der tropischen Sonne zu einem interessanten, bunten Vielerlei.

Für Kinder, die einmal etwas "Dschungel-Feeling" bekommen möchten, eignet sich am besten ein Ausflug in den "Vanilla Crocodile Park". Dort gibt es nicht nur mehr als 1000 Krokodile zu bestaunen, sondern auch einen kleinen "Nature Walk", der wie ein Pfad durch den Urwald wirkt. Besonders beeindruckt jedoch die große Schildkröten-Aufzuchtstation. Denn hier gibt es sie noch, die urzeitlichen Riesenschildkröten, die einst überall auf den Inseln westlich von Afrika beheimatet waren.

Leider sind Ausflüge über Land mit vielen Kurven und stetigen Brems- und Ausweichmanövern verbunden. Das macht ein Kindermagen nicht immer mit. Nach den ersten Negativerfahrungen reduzieren wir unser Landprogramm auf jene Ziele, die wir uns fest vorgenommen hatten: die Hindu-Kultstätte Gran Bassin (es fehlen die Affen, die da frei herumstreunen sollen); der Casuela Bird Park (ein großer Tier- und Vogelpark); die Waterfront und das Briefmarkenmuseum (mit "Blauer Mauritius"!) in Port Louis; und Grand Baie, das Touristenzentrum im Norden, mit seinen Restaurants und Geschäften.

Den Rest der Zeit verbringen wir dort, wo Mauritius am schönsten ist - im, am und auf dem Wasser. So gehen die Tage mit Leichtigkeit dahin, unterbrochen nur von Bootsausflügen, kleinen Unterwassersafaris mit Schnorchel und Taucherbrille, ersten Wasserski-Versuchen und dem Bauen von Sandburgen, die sich prima mit Korallenbruch verzieren lassen. Und wenn's mal langweilig zu werden droht, sind schnell ein paar Spielkameraden für Antonia gefunden - daß viele Kinder hier nur Französisch oder Englisch sprechen, ist ihr zum Glück egal.