Moseltal: Deutschlands ältestes Weinbaugebiet. Eine Genußreise durch zweitausend Jahre Geschichte - gewürzt mit launigen Anekdoten und edlen Tropfen. So schmeckt der Herbst im Südwesten.

How awful. What a tragedy!" Die englische Lehrerin aus Kent ist ganz blaß geworden. Gerade noch hatte sie Burg Lahneck als ein prachtvolles Bauwerk gelobt, das "erhaben über der Stelle thront, wo sich die Lahn in den Rhein ergießt". Und nun muß sie erfahren, daß hier Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Landsmännin Idilia Dubb elendig zu Tode kam, als bei der Erkundung des Bergfrieds eine morsche Treppe brach und sie sich gerade noch in eine Fensternische retten konnte. Ihr verzweifeltes Winken hatten die Menschen im Tal völlig falsch verstanden und nur fröhlich zurückgewinkt. "Handys gab's ja noch nicht", bedauert der Reiseleiter. Erst Jahre später fanden Arbeiter das Skelett der armen Idilia.

Von diesem Schock müssen Miss Bell und ihre Mitreisenden sich erst einmal erholen. Und wo gelingt das besser als an der nahen Mosel, wo sich wie auf einer Perlenschnur ein beschaulicher Weinort an den anderen reiht.

Kobern-Gondorf ist so ganz nach dem Herzen der Romantiker. Der Besichtigung des Marktplatzes mit dem sprudelnden Tatzelwurmbrunnen schließt sich ein Spaziergang durch Weinhänge zur frühgotischen Matthiaskapelle an. Die Route führt weiter über Hatzenport nach Moselkern an der Mündung des Eltzbachs. Schon aus der Ferne grüßen die Türme, Giebel, Zinnen und Erker der auf einem Bergsporn gelegenen Burg Eltz. Und gleich gegenüber thront Burg Trutzeltz.

"Unser Riesling wird immer beliebter", freut sich ein Winzer, mit dem wir ins Gespräch kommen. "Die Amerikaner sind ganz wild darauf. Genießen Sie ihn, solange Sie hier an der Quelle sind." In Zeltingen geht es gegen Abend hoch her. Das halbe Dorf spielt in der "Moseloperette" mit. Da geht es natürlich um Liebe und Wein, Happy End garantiert. "Traritrara, die Post ist da", trällert die hübsche Winzerin, und ein vielstimmiger Chor fällt in den Refrain ein. Das Publikum prostet begeistert den Laiendarstellern in prächtigen Kostümen zu. In diesem sanfthügeligen Landstrich, den die Mosel wie ein silbernes Band durchfließt, mutiert selbst der größte Muffel zum fröhlichen Genießer.

"Ubi bene - ibi patria!" Alle Orte, an denen die Römer gute Lebensbedingungen vorfanden, erklärten sie kurzerhand zu ihrem Vaterland. So hatten sie auch keine Mühe, das liebliche Moseltal mit seinem milden Klima zu annektieren. Und als um das Jahr 300 n. Chr. der Soldatenkaiser Probus hier die ersten Reben anpflanzen ließ, schlug die Stunde der Moselweine. "Ein Prosit auf die Römer, die unsere Region in einen blühenden Weingarten verwandelten", freut sich Winzer Markus Longen, der in Longuich ein Wein-Kulturgut betreibt. Die Lagen befinden sich in Nachbarschaft der "Villa Urbana", die sich einst ein reicher römischer Bürger baute und deren luxuriöse Badeanlage in jüngster Zeit mustergültig restauriert wurde.

"Der liebe Gott hat nicht gewollt, daß edler Wein verderben sollt. Drum hat er uns nicht nur die Reben - nein - auch den nöt'gen Durst gegeben." Dieser launige Trinkspruch des großen Philosophen Nikolaus von Kues, alias Cusanus, der im Jahre 1401 hier zur Welt kam, prangt an der Wand eines Hauses in Bernkastel-Kues. In den engen Gassen des vielleicht berühmtesten Moselstädtchens drängen sich vom Alter verzogene Fachwerkhäuser. Hauptattraktion ist das Spitzhäuschen mit dem Weinkeller aus Schiefergestein und dem Dachspeicher. Kultstatus genießen die "Bernkasteler Badstube" und der "Kueser Kardinalsberg". Kaum ein Gast zieht seines Weges, ohne mindestens eine Flasche dieser edlen Tropfen im Gepäck.

Ein weiterer Hingucker in der Gegend ist Traben-Trarbach, das zu beiden Seiten der Mosel durch seine Mischung von rustikalem Fachwerk und eleganten Jugendstilbauten besticht. Urige Weinkeller und "Straußwirtschaften" laden zum kühlen Trunk ein. Dieser Brauch geht zurück bis ins achte Jahrhundert, als Karl der Große den Mosel-Winzern das Privileg einräumte, vier Monate im Jahr ihre Weine auszuschenken. Meist weist ein bescheidener Kranz aus Rebenholz den Weg.

"Igitt", empört sich eine würdige Dame aus Norddeutschland, als sie hört, daß in Piesport anläßlich des römischen Kelterfestes im Oktober die Trauben von in antike Gewänder gehüllten Dorfbewohnern buchstäblich "mit Füßen getreten" werden. "So trieben es die alten Römer und versorgten ihre Kaiser mit bester Moselqualität", erklärt ein Kellermeister. "Aber seien Sie versichert, daß unser kräftig-würziger Wein außerhalb dieses Festes unter Berücksichtigung sämtlicher hygienischer Auflagen gekeltert wird."

Neumagen, das römische Noviomagus, glänzt nicht nur mit dem Etikett "ältester Weinort Deutschlands", sondern will auch der Ort der Bekehrung Kaiser Konstantins zum "rechten Glauben" gewesen sein. Auf derKonstantinhöhe soll dem Imperator anno 312 Jesus Christus erschienen sein und ihm den Sieg über seinen Widersacher Maxentius verkündet haben. Bei Ausgrabungen wurde das berühmte "Neumagener Weinschiff" gefunden, dessen Kopie im Landesmuseum in Trier ausgestellt ist.

Weinselig geht es weiter an den Ufern der Mosel in Richtung Trittenheim. Das berühmteste Gewächs, das "Trittenheimer Altärchen", macht durch riesige Lettern am Rebenhang auf sich aufmerksam. Sehenswert in dem romantischen Ort sind die Pfarrkirche St. Clemens aus dem 18. Jahrhundert und die St. Laurentiuskapelle in den Weinbergen.

"Trier, das einstige Augusta Treverorum, war Roms feinste Adresse in Germanien!" Die dunkelhaarige Frau mit den lebhaften Gesten unterhält ein Geschäft am Trierer Hauptmarkt und gibt wertvolle Hinweise, wie sich die älteste Stadt Deutschlands dem Besucher am besten erschließt.

"Vergessen Sie nicht, daß zweitausend Jahre Geschichte auf Sie herabblicken", sagt sie zum Abschied. Der traditionelle Rundgang beginnt an der Porta Nigra, der antiken nördlichen Stadtbefestigung. In diesem ehrwürdigen Gemäuer weiht ein römischer Centurio mit Federbusch und blitzendem Schwert seine "Mannen" gerade in die Kunst der Verteidigung ein: "Du da hinten bist ein kräftiger Bursche und fähig, große Steine zu werfen", ruft er mit Donnerstimme und greift einen jungen Touristen aus Bremen heraus. Und wenn nach Einbruch der Dunkelheit im geheimnisvoll ausgeleuchteten Amphitheater die Gladiatorenkämpfe beginnen, beben die Ränge unter den anfeuernden Ave-Rufen aus der "kaiserlichen Loge" und von den Rängen, wo das Volk dem Spektakel beiwohnt. In den Kaiserthermen, der größten Bäderanlage außerhalb Roms, waltet der Tribun Mallobaudis seines Amtes und deckt vor staunendem Publikum eine mörderische Intrige auf.

Trier gleicht einem aufgeschlagenen Geschichtsbuch. Nach dem Niedergang Roms ergriffen die Bischöfe Besitz von der Stadt, gefolgt von nicht minder prachtliebenden Kurfürsten. Ein Wahrzeichen des christlichen Trier ist der kolossale Dom St. Peter, an den sich die fragile gotische Liebfrauenkirche schmiegt. Als weiteres Kleinod gilt das verspielte, im Stil des Rokoko erneuerte Kurfürstliche Palais am Palastgarten, gegen das sich in reizvollem Kontrast die monumentale, unter Kaiser Konstantin erbaute Palastaula abhebt.

Doch was wäre ein Aufenthalt in Trier ohne einen Blick ins Geburtshaus des wohl prominentesten Sohnes der Stadt? In einem schönen Bürgerpalais in der Brückenstraße 10 erblickte am 5. Mai 1818 Karl Marx das Licht der Welt. Eine ständige Ausstellung dokumentiert den Werdegang des Begründers der Sozialistischen Internationale und den Einfluß seiner Theorien. Für die Besucher der Volksrepublik China gehört die Gedenkstätte zum Pflichtprogramm. Dabei übergehen die Dolmetscher gern das Abiturzeugnis des Idols, denn es enthüllt, daß Marx nur ein ganz mittelmäßiger Schüler war.