Bordausschank: Was in luftiger Höhe gefragt ist. Im Flugzeug zählt der rote Trank zu den beliebtesten. Warum das so ist, bleibt rätselhaft.

Warum ein Flugzeug fliegen kann - das lernt fast jedes Schulkind im Physikunterricht. Doch ein anderes Rätsel der Luftfahrt wartet noch immer auf eine Lösung: Warum wird im Flugzeug so gern Tomatensaft getrunken?

Mit knapp 70 Tonnen Startgewicht hebt die Boeing 737-800 vom Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel in Richtung Palma de Mallorca ab. Zum Gewicht tragen auch ungefähr 50 Kilo Tomatensaft in Tetra-Packungen bei. "Auf Flügen von und nach Hamburg ist Tomatensaft besonders gefragt", sagt Nedim Demirci, Flugbegleiter in der Air-Berlin-Maschine. Ähnlich sei das mit Düsseldorf.

Als Demirci und seine Kolleginnen Carolin Lenz und Patrycja Jachec den Getränkewagen durch den Gang schieben, wird die Erfahrung bestätigt. Tomatensaft ist an diesem Vormittag bei den insgesamt 186 Passagieren heiß begehrt. "Das ist manchmal wie eine Kettenreaktion", sagt Chefstewardess Lenz. "Wenn ein Fluggast nach Tomatensaft fragt, will ihn der nächste auch." "Ich habe immer etwas Flugangst", gibt Urlauberin Kerstin Tiedke aus Ludwigslust zu. "Tomatensaft beruhigt mich." Das sieht auch ihre Schwester Anett Doblies so. Sie fühlt sich "durch die schöne Farbe inspiriert".

Doch mit der Farbe haben die Flugbegleiter auch negative Erfahrungen gemacht. "Einmal hatte ich auf einem Ägyptenflug mein weißes Hemd voller Tomatensaft-Flecken, weil mich jemand versehentlich angerempelt hatte. Ich mußte danach die ganze Zeit mein dickes Jackett tragen - auch nach der Landung bei mehr als 30 Grad", erinnert sich Demirci.

Nicht nur die Passagiere, sondern auch die Crew-Mitglieder wissen den roten Saft zu schätzen: "Meist kommen wir selbst nicht zum Essen. Und dann nimmt einem der Tomatensaft ein wenig das Hungergefühl." Übrigens: Man kann den Saft auch wunderbar warm machen. Das ist dann fast wie eine Suppe. "Zusammen mit einem Brötchen ist das fast schon eine richtige Mahlzeit", sagt die erfahrene Chefstewardess.

Als kurz vor der Landung der Bordverkauf beginnt, fragt ein Fluggast, ob es denn den Tomatensaft nicht zum Mitnehmen gebe. Gern würde er dafür auch bezahlen. "Zu Hause mag ich keinen Tomatensaft. Aber der hier an Bord muß eine ganz besondere Sorte sein", bemerkt Klaus Marten. Doch Tomatensaft gehört nicht zum Verkaufssortiment, und die Sorte ist auch nichts besonderes. Zum Trost bieten ihm die Flugbegleiter noch einen Becher zum Soforttrinken an. Als die Boeing 737 auf Mallorca ankommt, ist der Tomatensaftvorrat bis auf fünf Packungen verbraucht. Auf dem Flughafen warten aber schon Vorräte für den Rückflug.

Daß Tomatensaft an Bord ein Renner ist, bestätigt auch die Lufthansa. "Im vergangenen Jahr wurden bei uns rund 1,4 Millionen Liter Tomatensaft getrunken", berichtet Sprecherin Amelie Lorenz. Allerdings hat die Linienfluggesellschaft ebenfalls noch keine Marktforschung darüber angestellt, warum das so viel ist. Eine Erklärung: "Da auf vielen Flügen nur kleine Snacks serviert werden, ist Tomatensaft wohl als ein Sattmacher gefragt", meint Lorenz.

Rätsel gibt die Tomatensaft-Frage selbst Ernährungsexperten und der Getränkeindustrie auf. Weder die Wissenschaftlerin Claudia Thienel vom aid-Informationsdienst in Bonn noch der Verband der Fruchtsaftindustrie haben auf Anfrage eine plausible Erklärung parat.

Und so bleibt es letztlich wohl vor allem eine Frage des Gaumens. Denn der findet den roten Gemüse-Drink womöglich nur in großer Höhe himmlisch. Und sonst eher nicht.