Deutsches Eck: Zwei Millionen pilgern jährlich zum Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Einst Provokation, fungiert das große Reiterstandbild heute als “Denkmal der Vereinigung“.

Das mächtige Gesäß des 14 Meter hohen, kupfernen Rosses am Deutschen Eck in Koblenz weist gen Paris - ganz gezielt. Denn bei der Einweihung des mit 37 Metern bis heute höchsten Reiterdenkmals Europas war die "Erbfeindschaft" zum französischen Nachbarn noch groß in Mode.

Was damals, 1897, als ungeheuerliche Provokation galt und von Kaiser Wilhelm I. genüßlich zelebriert wurde, amüsiert heutzutage Besucher aus beiden Ländern. Wo die Ahnen sich als Feinde wähnten, stehen Franzosen und Deutsche nun europäisch brüderlich Seit' an Seit'. Besucher aus aller Herren Länder bestaunen, welche Wandlung die Geschichte bringen kann: O tempora, o mores! Zwei Millionen Menschen kommen pro Jahr hierher, überwiegend Deutsche. Tendenz deutlich steigend.

Am Fuße des Kaiser-Wilhelm-Denkmals, wo sich Vater Rhein und Mutter Mosel vereinen, wird ein spontanes Fest gefeiert. Wie fast jeden Tag. Zwei Busladungen japanischer Schülerinnen stehen kichernd am Eiscafe Schlange, eine Gruppe russischer Veteranen bewundert die landschaftliche Schönheit der Region Koblenz, zwei Italiener halten Händchen, die Schuhgröße 256 des deutschen Kaisers hoch zu Pferde musternd, und Jugendliche aus Deutschland fotografieren sich gegenseitig vor den Wappen ihrer Bundesländer.

Während es sich über Geschmack und die martialische Dominanz des Kolosses lautstark streiten läßt, stehen fast alle Besucher einige Meter weiter schweigend vor drei viel kleineren Mauerteilen: Anläßlich der Deutschen Einheit aufgestellt, dokumentiert der zerschmetterte Schutzwall der DDR in Verbindung mit dem pompösen Standbild Eckpfeiler der deutschen Geschichte.

Am 31. August 1897 in Erinnerung an den Sieg über Napoleons Armee bei Sedan 1871 eingeweiht, 1945 von amerikanischen GIs vom Sockel gebombt und 1993, nach der Einheit, neu gebaut, kann sich Schwarz-Rot-Gold wieder sehen lassen. Am 18. Mai 1953 vom damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss zum "Denkmal der Einheit" erklärt, fungiert der kaiserliche Reitersmann nunmehr als "Denkmal der Vereinigung". Am Deutschen Eck weht unsere Flagge nicht über allem, sondern neben anderen ganz einträchtig. Echt gut sieht das aus.

"Von den rund zwei Millionen Besuchern hier am Deutschen Eck kommen gewiß zwei Drittel aus dem eigenen Land", weiß Romy Zahren, stellvertretende Geschäftsführerin der Koblenz-Touristik, bei einem Ortstermin. Wurden vor 15 Jahren noch Andenken in den deutschen Farben mit eher spitzer Hand verkauft, werden Fahnen, Landkarten, Münzen, Statuen und natürlich auch reichlich Nippes nun ganz normal angeboten. "Was ist dabei?", entgegnet Miriam Weincke (21) aus dem Bergischen Land. Just hat sie zwei farbige Stoffaufnäher mit der Silhouette Deutschlands erstanden.

"Das hier ist Geschichte zum Anfassen", ergänzt Annika Delftmeier, Studentin aus Halle. "Wenn aus erbitterten Feinden wahre Freunde werden, ist das eine gute Erfahrung." Das Denkmal an sich sei ihrer Meinung nach "wenig cool", aber lehrreich. "Außerdem ist es ein angenehmes Zeichen, daß hier neben Europa auch die USA mit einem Flaggenmast vertreten sind", ergänzt ihr Kommilitone Lars Wieten. "Eigentlich müßte es nicht Deutsches, sondern Europäisches Eck heißen."

Details über das Denkmal liefern Reiseführer oder, viel lebendiger, die Touristenführer. Viktoria hält Wilhelm I. die Krone entgegen, als Symbol der Kaiserproklamation in Versailles. Am Rande triumphiert der (preußische) Adler über das (französische) Gewürm. Der Marschallstab ist zwei Meter lang, und die Stellung des Pferdes ist, siehe oben, alles andere als Zufall.

Manfred Gniffke aus Koblenz führt seit zwei Jahrzehnten Besuchergruppen zum Deutschen Eck und zum Reiterstandbild. "Es ist deutlich zu spüren, daß die Deutschen normaler mit ihrem Patriotismus umgehen", sagt Gniffke. "Besonders die Jugendlichen gehen viel unverkrampfter und natürlicher mit dem Vaterland um." Mit Pickelhaube oder gar Hitlerbart habe er hier noch niemanden gesehen. Bei aller Unbekümmertheit indes zeigten sich alle "irgendwie beeindruckt" vom geschichtsträchtigen Charakter des Platzes. Tenor: So lange ist das doch alles noch gar nicht her.

"Letztlich ist der ursprüngliche Anlaß, die nationale Hybris des späten 19. Jahrhunderts sowie die martialische Drohgebärde längst ad absurdum geführt", meint Romy Zahren. Natürlich könne man nicht jeden der jährlich etwa 1,5 Millionen deutschen Besucher befragen, dennoch habe sich aus vielen Gesprächen eine Grundstimmung ergeben. "Deutschland ist wie eine Perle an einer Kette", so habe es eine Schülerin aus Sachsen-Anhalt auf den Punkt gebracht, "die in Ruhe ihren Platz in diesem Europa anstrebt."

Dabei scheint sich das Deutsche Eck in Koblenz mitsamt dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal zu einem nationalen Magneten zu entwickeln - nicht nur für die jüngere Generation. Auch ältere Menschen stehen nachdenklich vor der enormen Wucht des Standbildes, erklimmen dann die Steinstufen des Sockels sowie die Wendeltreppen darüber, um aus 23 Metern einen guten Blick zu haben. Von unten auf die kupferne Figurengruppe, von oben auf die Landzunge. Eben genau dort, wo die Mosel den Rhein küßt.