Michael Pasdzior

S

chon als Kind war ich gerne auf Amrum. Mindestens einmal im Jahr fahre ich hin, es lohnt sich immer wieder. Sand, Dünen und Meer haben eine magische Anziehungskraft - und glaubte ich, nun endlich alle lohnenden Seiten zu kennen, wartet dann doch wieder eine Überraschung.

Das kleine, beschauliche Hotel "Ütjkiek", am nördlichen Rand von Norddorf gelegen, hatte ich bislang übersehen. Dabei ist es bereits seit 25 Jahren in Betrieb und somit fast eine Institution.

Schon beim Betreten des Flurs spürt der Gast die tiefe Verbundenheit des Eigentümers mit dieser Immobile. Gerd Schults Familie stammt von Amrum, als Kind war er oft in diesem Haus, das seiner Großtante gehörte. Als sie 1980 verstarb, drohte der Verkauf des Objekts. Ergo übernahm Schult selbst das Haus - im Alter von 22 Jahren. Damit schloß sich für den Jung-Koch (er lernte im "Landhaus Stricker" auf Sylt) der Familienkreis: Seine Ururgroßeltern hatten 1910 den Grundstein gelegt. Zunächst war das Friesenhaus mit Reet gedeckt, seit einem Brand im Jahr 1925 liegen feste Schindel auf dem Dach. Vor dem Feuer gerettet wurden damals nur eine alte Holztruhe mit Fotos und eine Friesentracht. Kurz nach dem Wiederaufbau wurde das Haus zur Vermietung angeboten. Zwischendurch war es ein Auffanglager für Flüchtlinge und fungierte danach auch mal als Kinderheim. Nach weiteren Umbauarbeiten wurde es schließlich von der Großtante als Hotel geführt.

Sorgfältig und liebevoll dekoriert, geben die vielen Accessoires dem Flur und den Zimmern heute ein gemütliches Aussehen. "Ich bin ein großer Fan von Flohmärkten und stöbere dort gern herum", berichtet Schult über die Herkunft der alten Sammelsurien wie Bügeleisen, Schiffsglocke und Spinnrad. Zu den zahlreichen Fotos aus dem Familienalbum an den Wänden erzählt der Hausherr gern die dazugehörigen Geschichten. Außerdem hängen dort Gemälde des Amrumer Malers Gerhard Martens. Sie zeigen hauptsächlich Schiffs- und Meermotive. "Ich besitze die größte Sammlung auf der Insel", sagt der Gastgeber stolz. In den Zimmern, alle im dänisch-rustikalen Landhausstil eingerichtet, finden sich zudem viele gerahmte Postkarten, die vom Badeleben vergangener Zeiten erzählen. All das erzeugt fast ein Ambiente wie im Heimatmuseum.

In der ebenso akribisch gestalteten Stube wird gefrühstückt und zu Abend gegessen. Da das Insel-Reizklima den Gast erfahrungsgemäß ermüdet, wird bereits pünktlich um 18 Uhr serviert. Das Menü besteht aus drei Gängen. Schult kocht sie nach überlieferten Hausmannsrezepten als bürgerlich verfeinerte Küche. Besonders beliebt ist sein Labskaus, das er mit Corned Beef vom Truthahn und ohne Rote Bete zubereitet. Aber auch "Kapuster", ein Karottenmus, und die Buttermilchsuppe wie das Sauerkraut mit einer leichten Hummersauce und Steinbeißer sind gefragt. Auf Fleisch von Rind und Schwein wird ganz verzichtet, und man vermißt es tatsächlich nicht. Gleiches gilt für Aschenbecher: Das Hotel ist ein Haus für Nichtraucher.

"Meest wel di feel üüb't öömreng Lun, mä sin witj Dünen, San net Strun" steht auf Friesisch auf dem Holzbalken in der Stube geschrieben. Das bedeutet: "Magst wohl Dich fühlen auf Amrumer Land, mit seinen weißen Dünen und seinem schönen Strand."

Das fällt den "Ütjkiek"-Gästen ziemlich leicht.