Indien: Mit dem Luxuszug durch Rajasthan reisen, während draußen Moscheen und Tempel wie im Film vorbeigleiten.

s gibt Städte, die hatten wohl einfach Glück. Hätte nicht der indische Großmogul Schah Jahan beim Tod seiner Lieblingsfrau unsägliche Seelenqualen durchlitten - Agra wäre womöglich eine unbedeutende Provinzstadt mit einem riesigen roten Fort am Ufer des Yamuna-Flusses geblieben. Und sicher würden Touristen dann lieber einen großen Bogen um Agra machen, zumal die schnell wachsende Bevölkerung die Stadt inzwischen in einen hektischen Moloch verwandelt hat.

Waren es vor zwei Jahrzehnten noch knapp 500 000, so ist die Einwohnerzahl inzwischen auf drei Millionen gestiegen. Immer tiefer frißt sich die Betonwüste in die Landschaft, unzählige graue Wohnsilos nehmen die grüne Oase am Yamuna-Fluß immer enger in die Zange - dort, wo sich das architektonische Meisterwerk erhebt, das zum Wahrzeichen ganz Indiens geworden ist: das Taj Mahal.

Mehr als fünf Millionen Besucher pilgern jährlich nach Agra. Kaum ein Urlauber wird Indien verlassen, ohne das prächtige Grabmal bestaunt zu haben, das der Großmogul Mitte des 17. Jahrhunderts seiner Frau Mumtaz Mahal errichten ließ, der "Perle des Palastes", die bei der Geburt ihres vierzehnten Kindes gestorben war. Im Minutentakt schaufeln Busse und Taxis die Touristen von den großen Bahnhöfen der Stadt hinüber zu den Parkplätzen am Mausoleum, wo Wächter die Menge in lange Warteschlangen pressen, die sich zäh und langsam vorwärts schieben - vorbei an unzähligen fliegenden Händlern und Souvenirständen.

Gut so. Da bleibt keinem Besucher viel Zeit, auf die häßlichen Narben zu achten, die die Umweltverschmutzung, die Abgase und saurer Regen in den weißen Marmor des Weltkulturerbes gefressen haben. Die kunstvollen Intarsien aus Achat, Jaspis, Perlmutt und Lapislazuli blättern von den Wänden; die kostbaren Edelsteine sind längst durch billige Glasimitationen ersetzt worden.

Dennoch: Die Pilgerfahrt zum Taj Mahal bleibt für die meisten Urlauber das Highlight einer Rundreise durch Nordindien - auch für die Passagiere des "Palace on wheels", dem wohl berühmtesten Zug Asiens. Während die Gäste noch Agras Sehenswürdigkeiten bestaunen, wartet der Palast auf Rädern auf einem Nebengleis der Central Station an der Mathura Road - ein Luxuszug, der die Urlauber während einer Woche zu den schönsten Städten Rajasthans bringen soll: 14 elfenbeinfarbene Waggons mit 52 Abteilen zu je zwei Betten.

Der Palast auf Rädern ist ein Relikt aus jener Zeit, als die Maharadschas, einst die glanzvollen Herrscher des Vielvölkerstaats, in ihren komfortablen Schienenkarossen durchs Land reisten. Oder sich mitsamt ihres pompösen Hofstaates zur Tigerjagd fahren ließen. Doch im Jahre 1947 - aus der englischen Kronkolonie war gerade eine Republik geworden - war es aus mit der Maharadscha-Pracht. Die Rajputen-Herrscher mußten abdanken. Ihre Salonwagen landeten auf dem Abstellgleis - bis Tourismus-Manager sich ihrer erinnerten.

Die Täfelungen aus Mahagoni, Palisander und Teakholz wurden erneut auf Hochglanz poliert, Türen und Fenster mit Brokatvorhängen drapiert - eine Renaissance vergangener Herrlichkeit für zahlungskräftige Urlauber. Dann erschienen die altgedienten Vehikel den Veranstaltern nicht mehr zeitgemäß. Nach historischen Vorbildern entstanden neue Waggons: klimatisiert, jedes Abteil mit Minibar, Dusche und Toilette, ganz aus Marmor.

Seitdem können sich zahlende Passagiere wie Mini-Maharadschas fühlen. Zum Empfang gibt es Champagner und ein Menü aus gebackenem Tandoori-Huhn in Curry, Lamm in Kokosnußmilch, gewürzt mit Mandeln und Ingwer, Safran und Kardamom, mit süßem Chutney und scharfem Chili. "Hot and spicy", warnt der Kellner im Speisewagen. Er trägt eine Livree, dazu roten Turban und weiße Handschuhe.

Von der Cantonment Station, einem Vorort der Hauptstadt Delhi, rattert der feine Zug gen Westen Richtung Rajasthan, größtes Bundesland des indischen Subkontinents, schon an der Grenze zum Nachbarstaat Pakistan. Rajasthan, das ist das Land der Farben und Kontraste. Wüste und Steppe wechseln mit prächtigen Städten und grünen Reisfeldern. Kinder laufen neben dem Zug her, wenn er im Schneckentempo durch ein Dorf rollt. Frauen in leuchtenden Saris bieten bei jedem Halt Früchte an - Mangos, Melonen und Papayas. Die Passagiere, vorwiegend Engländer und Amerikaner, sitzen in mit rotem Samt bezogenen Sesseln der Bar- und Salonwagen und schauen in die Landschaft, die wie ein Film vor den Abteilfenstern abläuft. Moscheen und Hindu-Tempel gleiten vorüber. Frauen schneiden Getreide auf Feldern, Bauern treiben Kamele und Büffel an, die Holzpflüge durch die ausgedörrte Erde ziehen.

In den Zugkabinen hat der Steward unterdessen die Betten gemacht. Eine Woche lang wird er sich ausschließlich um das Wohl der Gäste in seinem Wagen kümmern. Er wird ihnen den "early morning tea" servieren und später das Frühstück. Jeden Nachmittag, wenn die Passagiere von ihren Ausflügen zurückkehren, hat er die Abteile aufgeräumt, den Staub vom Vortag aus den Kleidern gebürstet und die Betten frisch bezogen.

Rajasthan, das ist eine Reise in das Indien der Märchenbilder, in ein Land mit prachtvollen Festungen und Palästen. Mit Städten, die fast wie eine Fata Morgana erscheinen, wenn sie plötzlich aus der ockerfarbenen Steppe auftauchen: Jaisalmer zum Beispiel, die goldene Stadt in der Thar-Wüste mit ihren prunkvoll verzierten Handelshäusern. Oder Udaipur mit den weißen Sommerpalästen der Maharadschas am Wasser des Pichola-Sees. Oder Jodhpur, die blaue Stadt, überragt von den Mauern eines mächtigen Forts. Und natürlich Jaipur, Rajasthans Hauptstadt, ein steinernes Kunstwerk in den Farben rot und rosa.

Ein "großer Bahnhof" erwartet die Passagiere bei der Ankunft: Musikanten bearbeiten ihre Trommeln, Mädchen verteilen Blumenkränze, Elefanten stellen die Rüssel auf zum Trompetenstoß. Ihre Ohren sind mit bunten Mustern bemalt, und der Mahout auf dem Rücken der grauen Riesen trägt eine Uniform aus goldglänzendem Brokat, als würde der Maharadscha höchstpersönlich die Gäste zur Stadtbesichtigung empfangen.

Jaipurs Altstadt ist die architektonische Vision des Maharadschas Jay Singh, der dieses Städtewunder im 18. Jahrhundert bauen ließ - mit Tempeln und Palästen, mit einem futuristisch anmutenden Observatorium aus Treppen, Türmen und seltsamen Instrumenten, um den Lauf der Gestirne zu berechnen, mit hohen Stadtmauern und Arkadengängen. Im Zentrum Jaipurs erhebt sich das Hawa Mahal, das Wahrzeichen der Stadt, weltbekannt als "Palast der Winde". Eine Fassade nur, mit über 900 Erkern, Türmchen und Balkonen, erbaut allein zum Zeitvertreib der Haremsdamen, die von hier aus den Prozessionen ihres Herrschers zusehen konnten, ohne selbst gesehen zu werden.

All die Baudenkmäler wirken wie Metaphern einer Welt zwischen Sein und Schein, die ihren Abglanz in die heutige Zeit wirft. Die festlichen Umzüge der Maharadschas sind Vergangenheit. Moped-Armadas knattern durch die Straßen, stinkende Busse und Mini-Taxis bahnen sich lärmend ihren Weg durch Gassen, in denen die Luft beißend ist von Abgasen. Familien, deren ganze Habe in einen Pappkarton paßt, kampieren am Straßenrand. Und zwischen den heiligen Kühen bieten fliegende Händler ihre Waren an, strecken bettelnde Kinder den Fremden ihre dünnen Arme entgegen. Das sind Bilder, die auch die ganze Farbenpracht Rajasthans nicht wegwischen kann.