Agadir statt immer wieder Kanaren? Für einen Urlaub im marokkanischen Ferienzentrum gibt es gute Argumente.

Sie sind alle kleine Fußballgötter: die Jungen am Strand von Agadir. Wieselflink an der Außenlinie, trickreich im Zweikampf und perfekt am Ball. Sie jagen das runde Leder durch den aufwirbelnden Sand und schießen aus allen Rohren. Bei jedem Torschuß jubeln sie, reißen die Arme hoch und freuen sich wie die Weltmeister. Ein paar vorbeikommende deutsche Touristen in Badehosen und T-Shirts bleiben stehen, sehen ihnen verzückt zu und klatschen Beifall. Die Jungen unterbrechen ihr Spiel, gestikulieren wild durcheinander und rufen: "Beckenbauer! Beckenbauer!"

Abdul lächelt und sagt: "Beckenbauer ist für sie der Größte." In perfektem Deutsch erläutert er: Fußball sei der Lieblingssport der Marokkaner. Sie schauten sich jeden Sonnabend die Bundesliga im Fernsehen an. Deutsch hat er bei den Urlaubern gelernt. Seit 14 Jahren arbeitet der 42jährige Berber am Strand, vermietet Kamele an die Touristen. 3000 Dirham braucht er im Monat zum Leben und für die Miete. Das sind umgerechnet 300 Euro.

Urlaub in Marokko. Dem nordafrikanischen Königreich, das nur 14 Kilometer Wasser von Europa trennen. Es ist eine Reise in eine andere Welt. Ein Land, in dem es nach Safran, Zimt und Kümmel duftet, ein Land, das in seiner Vielfältigkeit von Farben, Licht, Landschaft und der Fremdartigkeit seiner Menschen die Sehnsucht aller Reisenden weckt. Die Mittelmeerküste ist 500 Kilometer lang, die Atlantikküste bis weit in den Süden hinein 3000 Kilometer. Im Hinterland ragt das Atlasgebirge in den blauen Himmel, mit einem Dutzend Gipfeln von mehr als 4000 Metern Höhe. Ein Land mit den unterschiedlichsten Städten: dem melancholischen Tanger, der Fünf-Millionen-Metropole Casablanca, dem geheimnisvollen Marrakesch, dem ehemaligen Piratennest Essaouira und dem modernen Ferienzentrum Agadir an der südlichen Atlantikküste - Marokkos jüngste Stadt. Nach dem verheerenden Erdbeben 1960 wurde Agadir wieder neu aufgebaut. Als Badeort für den internationalen Tourismus mit 240 000 Einwohnern, 50 modernen Hotels mit 20 000 Betten, teils mit üppig grünen Parkanlagen, mit riesigen Pools und Wellnesszentren. Mit vielen Cafes und Restaurants, Bars und Nachtclubs, Beach- und Sportanlagen. Eine Alternative zu den nur 500 Kilometer südwestlich gelegenen Kanaren, dem bevorzugtem Winterziel der Deutschen?

"Aber ja", sagt Wolfgang Burczyk. Der weitgereiste Schiffsingenieur aus Hamburg-Wandsbek macht mit seiner Partnerin Jutta Forthmann Urlaub am Strand von Agadir. "Hier ist es bei weitem nicht so voll wie auf den Kanaren, der Strand ist wesentlich schöner als auf Teneriffa, die Leute sind nicht so abgebrüht wie in Spanien, das Publikum ist vom Alter her gemischter." Jutta Forthmann ergänzt: "Faszinierend ist das Hinterland mit seiner völlig anderen Kultur. So etwas kann kein Urlauber auf den Kanaren erleben." Ihre einzige Einschränkung: "Am Abend ist es etwas kühler als auf Teneriffa. Zum Essen empfiehlt es sich, nicht auf der Terrasse sitzen zu bleiben, sondern ins Restaurant zu gehen."

Dreimal war Klaus Storch mit seiner Frau Antonia auf Teneriffa. Doch der Unternehmer aus Rosenheim hat jetzt Marokko als sein neues Urlaubsziel entdeckt. "Wir sind Golfer und ärgern uns immer über die hohen Preise auf den Kanaren", sagt er. 50 Prozent zahlt er in Agadir weniger. "Auch das Hotel ist wesentlich preiswerter als auf Teneriffa", sagt Antonia Storch. Für zwei Wochen zahlt sie pro Person "all inclusive" 999 Euro.

"Ich muß zugeben, daß Agadir eine klare Alternative zu meiner Heimatinsel ist. Auch hier in Marokko scheint meistens die Sonne, die Winter sind trocken, nur selten regnet es", meint der auf Teneriffa geborene Javier Martin Tabarly, Direktor des Riu-Hotels "Tikida Dunas". Seit zwei Jahren leitet er das direkt am Strand gelegene Vier-Sterne-Haus.

Der schöne feinsandige Strand ist zehn Kilometer lang und 100 Meter breit. Ein Traumziel für Sonnenanbeter, Jogger, Reiter und Surfer. Nur knapp ein Drittel des Strandes ist bisher mit Hotels bebaut, eine lange Düne trennt den touristischen Teil vom Königspalast. Der junge Monarch kommt mehrere Male im Jahr von der Hauptstadt Rabat nach Agadir, läßt sich über den Stand aktueller Bauprojekte informieren und räumt Probleme persönlich aus dem Weg. "Der Tourismus liegt ihm sehr am Herzen", bestätigt Hamza Choufani, der deutsche Honorarkonsul. In den nächsten vier Jahren sollen weitere Hotels gebaut werden, die Zahl der Betten wird sich auf 40 000 verdoppeln. Geplant sind ein moderner Yachthafen und außerhalb der Stadt eine neue touristische Zone. Außerdem ein "Robinson Club", mit den Bauarbeiten soll im kommenden Herbst begonnen werden. TUI-Sprecher Robin Zimmermann: "Auch wir haben uns vorgenommen, Marokko aus dem Dornröschenschlaf wachzuküssen."

Im Jahr 2010, so hofft der König, werden jährlich zehn Millionen Touristen Marokko besuchen. Heute sind es knapp vier Millionen. Der König ist sein bester Tourist im eigenen Land. Zum Urlaub nach Agadir bringt er Frau und Sohn mit und genießt den modernen Badeort in vollen Zügen. Er fährt leidenschaftlich gerne Jet-Ski. Manchmal taucht er - umgeben von Bodyguards - am Strand auf, unterhält sich mit Urlaubern oder besucht den Hafen und hört sich die Sorgen der Arbeiter an. "Seine Majestät ist sehr beliebt. Bei der Jugend kommt er besonders gut an, weil er die Reformen vorantreibt und etwas für sein Volk tut", sagt Konsul Choufani.

Doch die Reformen gehen nur langsam voran. Die Behördenwege sind kompliziert, der Zoll auf eingeführte Waren beträgt mindestens 50 Prozent. Marokkanisches Geld darf weder aus- noch eingeführt werden. Investoren kommen deshalb erst zögernd ins Land. In Agadir haben sich jetzt zwei kleine deutsche Unternehmer niedergelassen, die ihre Zukunft im Tourismus sehen. Lucian Philippien aus Duisburg, ein ehemaliger Binnenschiffer, hat sich eine Motoryacht gekauft und verchartert sie zum Hochseeangeln an Urlauber. Der Hamburger Gerrit Handl betreibt mit einem Freund eine kleine Pension mit drei Surflehrern, die Touristen im Wellenreiten unterrichten.

Zu einem Vermögen hat es Gewürzhändler Malik gebracht. Der Marokkaner arbeitete 20 Jahre in Bremerhaven und kehrte jetzt mit seiner deutschen Frau und zwei Kindern nach Agadir zurück. Im Souk, dem großen Markt von Agadir, verkauft er Safran, Ingwer, Chili und die Mischung Ras El Hanut. "Ich habe eine Eigentumswohnung und zwei Geschäfte", sagt er und fügt optimistisch hinzu: "Mir geht es gut. Ich glaube an das neue, moderne Marokko." In acht Jahren soll der Durchbruch für freien Handel ohne Zoll mit Europa geschafft sein.

Nur wenige Kilometer hinter Agadir, auf dem Weg nach Marrakesch oder ins Bergdorf Imouzzer im Hohen Atlas oder nach Essaouira, der blauweißen Künstlerstadt 150 Kilometer nördlich am Atlantik, holt uns die Vergangenheit Marokkos wieder ein. Wüstenähnliche Landschaften, seit fünf Jahren ohne Wasser, dann endlose Aganien-Wälder mit Ziegen in den Bäumen. Die Tiere fressen die saftigen Blätter und vitaminreichen Früchte von den sogenannten Ziegenbäumen - ein einmaliges Phänomen auf der Welt. Aus den Früchten der Aganienbäume wird Öl gewonnen - das beste, was es gibt.

Stopp im Berberdorf Smimoue. Freundlich lächelnd kommen die Menschen aus ihren einfachen Häusern, um uns zu begrüßen. Einige wenige lassen sich bereitwillig fotografieren, strecken die Hand aus und bitten um ein paar Dirham. Vor allem die Kinder lächeln gerne in die Objektive der Touristen, bieten ihnen Steine zum Verkauf an und sind dankbar für ein kleines Trinkgeld. Strenggläubige Moslems jedoch sind fotofeindlich, verschleierte Frauen und Betende reagieren schockiert auf Kameras. Das Leben in den Berberhäusern ist einfach und karg. Nur Dörfer mit mindestens 1500 Einwohnern haben eine Grundschule, ein kleines Krankenhaus mit einem Arzt und einer Krankenschwester. Das Dorf trägt den Namen des Einwohners, der als erster im Ort gewohnt hat. Der Bürgermeister der kleinen Gemeinde wird vom Volk gewählt, auch von den Frauen. Sechs Jahre sollen die Kinder zur Schule gehen, aber viele Eltern ignorieren die Pflicht, schicken die Kleinen lieber zur Arbeit.

46 Prozent der Marokkaner sind auch heute noch Analphabeten. 57 Prozent sind Berber, 31 Prozent Araber und ein paar wenige schwarze Marokkaner. Sie sind die Nachkommen der einstigen Sklaven, die nach Amerika verkauft wurden und wiedergekommen sind. Das Durchschnittseinkommen beträgt zwischen 2500 und 4000 Dirham, umgerechnet 250 bis 400 Euro. Fünf Millionen Marokkaner sind arbeitslos, bekommen nichts.

"Trotzdem verhungert keiner bei uns", sagt Mazza. Der Reiseleiter ist Berber und hat Tourismus studiert. "Trinkgelder und Almosen haben bei uns einen besonderen Stellenwert. Das Wort betteln kennen wir nicht. Trinkgelder gibt es für eine Leistung. Etwa wenn ein Kind sich von einem Urlauber fotografieren läßt. Almosen gibt es jeden Freitag nach dem Gebet in der Moschee. Almosen ersetzen praktisch die Sozialhilfe. Der Koran bestimmt, daß jeder für den andern da ist."

Unser Weg führt uns in einen Ort mit Zukunft: in den blauweißen, von den Portugiesen geprägten Sardinenhafen Essaouria, 150 Kilometer nördlich in Agadir. Ein Ort der Maler, der Dichter, der Wissenschaftler. Hier hat Orson Welles die Außenszenen für seinen "Othello" gedreht. Über dem Ort liegt eine ruhige heitere Stimmung, kein Gedränge, keine ausgestreckten Hände. Auf den schäumenden Atlantikwogen ein paar Surfer, auf den Terrassen der Cafes Urlauber, die sich von der Sonne bräunen lassen. Am Nachmittag wird der Wind stärker, fegt durch die Souks des Städtchens. Es heißt: Der Wind jagt jeden davon, der nicht in Essaouris geboren ist. Wir fahren nach Agadir, drei Stunden durchs Atlasgebirge und schließlich am Atlantik vorbei direkt in die Stadt. Draußen am Palast ist ein Teil des Strandes gesperrt, Polizei patrouilliert - der König ist da.