Die schwedischen Seen gelten als Revier-Geheimtipp. Und die Schleusenmanöver sind auch nicht zu unterschätzen.

Die Mannschaftsbesprechung auf der "Nivius" verläuft anders, als sonst vor einem Segeltörn üblich. Es geht nicht so sehr um das Fahrtgebiet, um die Häfen, Wind und Wetter, sondern vor allem um eine Umlenkrolle. Skipper Matthias hält sie in der Hand und erklärt, was er damit vorhat: Sie soll dabei helfen, die vordere Festmacherleine bei Schleusenmanövern in Position zu halten und davon stehen der Crew etliche bevor.

Es geht 190 Kilometer weit auf dem Göta Kanal durch Schweden. Dabei muss die "Nivius" 91,8 Meter Höhenunterschied überwinden und 58 Schleusen passieren. Das ist nicht gerade die typische Route für eine schnelle Yacht. Im Göta Kanal ist langsames "Motoren" angesagt also Fahrt mit Maschinenkraft, was Segler eigentlich gar nicht schätzen. Daher musste sich die Crew schon einige Sprüche anhören: "Göta Kanal? Was wollt ihr da denn?", fragten Freunde irritiert. "Im Kanal kann man doch nicht segeln!" Allerdings gelten die schwedischen Seen als Revier-Geheimtipp. Und die Schleusenmanöver sind auch nicht zu unterschätzen. Wann haben Hochseesegler dazu schon Gelegenheit?

Nicht weit entfernt von Mem an der Ostsee steuert Matthias die "Nivius" in die erste Schleuse. Mitsegler Alexander springt an Land, um die Leinen festzumachen. Dann öffnet der Schleusenwärter die Klappen und sofort wird es laut: Tausende Liter Wasser bilden im Becken große Strudel. Die Strömung zerrt an der Yacht und drückt den Bug hin und her, während der Wasserspiegel Zentimeter um Zentimeter steigt. Doch die "Nivius" liegt sicher an der Mauer nur die Fender an der Bordwand quietschen leicht, während das Schiff höher kommt. Schließlich sind 3 Meter gegenüber dem Meeresspiegel gutgemacht - bleiben noch 88,8 Meter bis zum "Gipfel" der Kanaltour.

Fertiggestellt wurde der Kanal im Jahr 1832. Mit dem Aufkommen von Eisenbahn und Lastwagen verlor er im 20. Jahrhundert an Bedeutung - bevor er in den 1950er Jahren von Freizeitkapitänen entdeckt wurde. Heute ist der Kanal in Schweden eine der beliebtesten Touristenattraktionen, und viele Fahrradurlauber nutzen die Wege entlang des Kanals für Touren. Sie winken den Schiffen zu oder bleiben stehen und machen Fotos, denn es ist schon ein skurriler Anblick, wenn sich inmitten der grünen Landschaft im engen Fahrwasser zwei große Hochseeyachten mit ihren meterhohen Masten begegnen.

Immer wieder unterbrechen Schleusen die Weiterfahrt, mal mit einer Kammer, mal mit zweien hintereinander. Eine prima Gelegenheit, um das An- und Ablegen sowie das Manövrieren unter Motor zu üben mitunter auch vor Publikum: An der Schleuse von Söderköping stehen Dutzende neugieriger Urlauber und schauen der "Nivius"-Crew zu. Kurz darauf ist die Fahrt für diesen Tag vor einer Brücke dann jäh zu Ende: Es ist 18.00 Uhr, die Wärter haben Feierabend keiner mehr da, um die Klappbrücke zu bedienen. An einem Steg vor einer Kuhweide muss die "Nivius" festmachen nur gut, dass ausreichend Proviant an Bord ist.

Am Morgen darauf ist nach einigen Kilometern Fahrt der Roxensee erreicht endlich Gelegenheit, mal wieder die Segel zu setzen. Es herrscht eine mäßige bis frische Brise, und die "Nivius" gleitet flott durch die Wellen. Der Roxensee erweist sich größer als gedacht: Weit und breit ist kein anderes Schiff zu sehen, die Segler fühlen sich fast wieder wie auf der Ostsee mit dem Unterschied, dass es hier wie in den übrigen Seen Schwedens unzählige Untiefen und Felsen gibt. Während der Skipper mit Hilfe der Seekarte einen sicheren Kurs austüftelt und die Richtungsangaben dem Steuermann zuruft, hat dieser ständig ein Auge auf den Tiefenmesser. Die übrigen Segler halten derweil Ausguck nach Seezeichen, die vor Gefahrenstellen warnen.

Nach einigen Stunden ist in der Ferne die Schleusentreppe von Berg zu erkennen: Sieben Schleusenkammern reihen sich hier aneinander, um einen Höhenunterschied von 18,8 Metern auszugleichen. Die "Nivius" erreicht den unteren Hafen gerade noch rechtzeitig: Eine letzte Fuhre wollen die Wärter vor Feierabend noch durchschleusen. Ist eine Kammer geschafft, geht es gleich in die nächste. Doch irgendwann erscheint der Roxensee beim Blick zurück ziemlich tief unten. Das letzte Tor öffnet sich, die Treppe ist erklommen und der Skipper zufrieden: "Beim Schleusen macht uns jetzt keiner mehr was vor." Nach Überquerung des Vättersees passieren die Segler bei Forsvik den höchsten Punkt der Reise. Danach geht es auf dem Göta Kanal bis Sjötorp nur noch abwärts, was das Schleusen einfacher macht. Die Vor- Leinen müssen mit dem sinkenden Pegel nur nachgeführt werden.

Kurz vor Ende der Reise ist der Mannschaft dann ein Höhepunkt vergönnt. Der Wind weht schwach von achtern, auf dem Kanal ist gerade kein Verkehr. "Los, lass uns die Genua setzen", sagt Matthias. Rasch ist das Vorsegel hochgezogen, der Motor abgestellt und lautlos gleitet die Yacht über den Kanal. Der Skipper grinst triumphierend in die Runde: "Na, wer hat gesagt, im Kanal kann man nicht segeln?"

Informationen: Visit Sweden, Stortorget 2-4, SE-83130 Östersund, Schweden, www.visitsweden.com , www.gotakanal.se