Die berühmten Felsentempel von Abu Simbel erlebt man in nur zwei Stunden. Man kann sie allerdings auch tagelang studieren.

In Abu Simbel brennt die Luft. Jeden Morgen zwischen halb acht und halb zehn, wenn die Touristenbusse aus Assuan nach dreistündiger Konvoi-Fahrt ihre Ladung aus aller Herren Länder in der nubischen Wüste abwerfen, ist hier die Hölle los. Überfluten Menschenmassen den Tempelvorplatz. Krähen sich Fremdenführer die Stimmbänder heiser. Posieren Besucher vor den Tempeln Ramses' II. und seiner Lieblingsfrau Nefertari. Drängeln sich schwitzende Leiber in die stickigen Höhlen der Tempelkammern.

Diesen Wahnsinn kann und sollte man umgehen. Schließlich geht es um das Eindrucksvollste, was Ägypten zu bieten hat - einen Tempel, der vor 3200 Jahren allein mit Hammer und Meißel 64 Meter tief in einen Felsen getrieben wurde und der wie kein anderes Bauwerk zuvor oder danach den Pharao auch optisch zum Gott erhob. Die rund zwanzig Meter hohen, monolithisch ausgehauenen Kolossalstatuen Ramses' II. demonstrierten Stärke und Macht des pharaonischen Reiches und sollten die Nubier an seiner Südgrenze einschüchtern bis in alle Ewigkeit.

Zwei bis drei volle Tage buchen deshalb Leute, die das Prachtstück ausgiebig und ohne Stress bewundern wollen. Wer gegen zehn Uhr nämlich das Gelände betritt, ist dem Morgenspuk schon entronnen und fast allein im Besucherzentrum. Detailliert und anschaulich ist dort zunächst die spektakuläre Rettungsaktion aufbereitet, mit der die Unesco vor 40 Jahren die Tempel vor dem buchstäblichen Untergang in den steigenden Fluten des Nasser-Sees rettete. 18 500 Tonnen Tempelwand schnitten Spezialisten (auch deutsche) seinerzeit aus dem Fels heraus, setzten die riesigen Blöcke mit enormem technischen Aufwand um und fügten alles unter einer unsichtbaren Stahlbetonkonstruktion akribisch wieder zusammen. Seit 1967 stehen die Tempel von Abu Simbel 64 Meter höher und 180 Meter weiter landeinwärts.

Wunder aber gibt es noch mehr. Denn abgesehen von der spektakulären Fassade wurde das Bauwerk auch so genial und präzise errichtet, dass zweimal im Jahr, am 21. Februar und 21. Oktober (dem Krönungs- und dem Geburtstag von Ramses), das Licht der aufgehenden Sonne 62 Meter tief bis ins Allerheiligste dringt. Dort küsst sie nacheinander die Gesichter dreier Figuren wach, wobei sie jeweils für fünf Minuten die Götter Amun-Ra und Re-Harachte bescheint. Den dazwischen sitzenden Ramses hingegen beleuchtet sie stolze 18 Minuten. Dafür verbleibt Ptah, der Gott der Unterwelt, ständig im Dunkeln. Heute hat sich das Lichtspiel um jeweils einen Tag nach hinten verschoben - ein Ergebnis der Rettungsarbeiten, aller Akribie zum Trotz.

Führer Mohammed zeigt Graffiti, mit denen sich Ägyptenreisende im 19. Jahrhundert an Abu Simbel vergingen. So zum Beispiel Fürst Pückler-Muskau. Der gravierte seinen Namen in die Brust der dritten Statue von links - wer hätte solch Frevel von Hoheit erwartet? Maximilian, Herzog von Bayern und Vater von Sissy, benahm sich nicht besser.

Auch den Anch erklärt Mohammed. Das ist der Schlüssel zum Tempel, den der Wächter stets bei sich trägt. Für die alten Ägypter war er zugleich auch der Schlüssel des Lebens.

Aus vielen Details entsteht ein Bild von Abu Simbel, viel genauer als beim flüchtigen Kontakt. Die Konturen erhalten Fleisch, der Kopf speichert deutlich mehr, weil er frei ist von zeitlichem Druck und körperlichem wie geistigem Stress. In aller Ruhe bummelt man zu verschiedenen Tageszeiten und bei wechselndem Licht über die Anlage und durch die Tempel. Genießt die Ruhe der Nachmittage, an denen man streckenweise ganz allein unterwegs ist. Und besucht natürlich auch die abendliche Sound- und Light-Show unter dem umwerfenden Sternenhimmel der Wüste. Dann werden die hügelartigen Silhouetten der beiden Tempel zur multimedialen Projektionsfläche für alle wichtigen Geschichten rund um Abu Simbel und den wohl größten aller Pharaonen.

Der Luxus des ausgiebigen Besuchs von Abu Simbel freilich wird erst möglich durch ein Quartier vor Ort, und das "Seti First Hotel" dürfte die dafür stilvollste Basis sein. Die schmucke Anlage mit zweigeschossigen Häusern im nubischen Stil wurde 1999 ziemlich genau an jener Stelle erbaut, wo seinerzeit das Camp der Ingenieure stand, die das schwierige Unesco-Projekt leiteten. Direkt am Ufer des Nasser-Sees und mit Blick auf die Wüste lässt sich bei 35 Grad und Sonne satt auch im Winter ganz vortrefflich faulenzen. Und bei himmlischer Ruhe Kraft tanken für den nächsten Gang zu Ramses und Nefertari.