Die Strecke ist hart und anstrengend. Man bewältigt steile Anstiege und kämpft mit schmerzenden Muskeln. Doch wer durchhält, wird belohnt: mit einzigartigen Naturschönheiten.

Dass mit unserer Gruppe etwas nicht ganz stimmte oder zumindest ein wenig auffällig war, merkten wir am ersten Abend. Neun Stunden hatten wir hinter uns, steile Anstiege und sturmzerzauste Kämme, wir waren durch zähen Morast gestapft und über Wurzelwerk gestolpert, kurz: hatten mit all den kleinen Gemeinheiten gekämpft, die man ab dem zweiten Wandertag überhaupt nicht mehr registriert, zu Beginn einer Tour aber unglaublich anstrengend findet. Derart anstrengend, dass man ständig "Was mache ich eigentlich hier?"-Einwürfe verräterischer Hirnregionen in Schach halten muss. Sara klagte über ihr Knie, und eigentlich wollten wir nur noch duschen und essen und anschließend vor uns hin dämmern.

Im Barn Bluff Hut flackerte das Kaminfeuer. Und still war es. Sämtliche Mitwanderer saßen, lagen und hingen in unterschiedlich komatösen Zuständen auf Sofas und Kissen verteilt im Wohnzimmer. Sara sank seufzend auf einen Stuhl. Wickelte die Hose hoch, sah ihr Knie, jammerte leise. Davon wurde der Erste wach. Dann der Zweite. Dann der Dritte, der Nächste, und plötzlich war Sara umzingelt von sämtlichen Mitgliedern der "Cradle Mountain Hut Trekking Group 20.04". Nie zuvor hat ein geschwollenes Knie in diesem Teil Tasmaniens so viel Interesse erregt. Früher, so hört man allenthalben und liest man in der Literatur, früher war es ja so, dass man sich seine Reisegefährten aussuchen durfte. Jason hatte seine Argonauten, John Steinbeck seinen Hund Charlie, und ob Kara Ben Nemsi es ohne seinen getreuen Hadschi Halef Omar je ans Ziel geschafft hätte, darf erheblich bezweifelt werden.

Seit die schönsten Routen des Planeten aber vor Überwanderung geschützt werden müssen, sind diese Zeiten leider vorbei. Um die sensible Flora und Fauna zu bewahren, dürfen Strecken wie der tasmanische Overland Track nur noch von einer begrenzten Anzahl Trekkern pro Tag betreten werden. Auf diese Weise bin ich schon mit Japanern gewandert, die zu Hause in Tokio Pendler in überfüllte U-Bahn-Wagen drücken. Ich war mit schwulen New Yorker Szene-Köchen im neuseeländischen Dauerregen unterwegs und mit durchgeknallten Saddhus in Ladakh. Und dieses Mal also...

"Sind die Bänder", sagt Gordon. Er drückt auf Saras Knie, sie schreit auf. "Eher der Meniskus", vermutet Margareth. Michael tippt aufs Außenband; die anderen überlegen noch. Frag drei Ärzte, und du bekommst drei Diagnosen. Wenn man sieben Ärzte fragt, bekommt man übrigens sieben. Und bei sieben frühpensionierten Ärzten bekommt man obendrauf noch sieben mal 40 Jahre Anekdoten aus dem munteren Praxisalltag. Wie die arme Sara jetzt gerade. Klugerweise beschließt sie, dass es soeben überhaupt nicht mehr wehtut. Worauf sieben Ärzte von ihr ablassen, ihre Chill-out-Positionen einnehmen und sich die nächsten 20 Minuten über die schlimmsten Knieverletzungen ihres Berufslebens unterhalten. Ist ganz schön anstrengend, so ein erster Wandertag. Und der Overland Track ist - das konstatieren wir hier gleich mal sofort: eine der schönsten Wanderrouten der Welt. Ohne Wenn und Aber! Auf einer Gesamtlänge von 84 Kilometern krabbelt der Pfad über das Rückgrat Tasmaniens, das hier aussieht wie eine "Best of"-Zusammenstellung der bezauberndsten Weltenwinkel: Felsen wie in Arizona, Gipfel wie im Allgäu, Luft wie in Irland und Licht wie in Norwegen. Dazu Wälder wie in Finnland. Und Ebenen wie in Montana.

Bestaunen kann man dies entweder auf eigene Faust oder in einer geführten Gruppe, auf jeweils fünf bis sieben Tagesetappen. Hat man sich für einen "guided walk" entschieden, darf man in den Zimmern großzügig ausgestatteter Hütten übernachten ("independent hikers" tun dies in eher spartanischen Sammellagern). Man muss weder Schlafsack noch Essen mitbringen. Warme Duschen gibt es. Kaminfeuer. Und feinen Rotwein. Was alles nicht zu verachten ist, weil es ziemlich kalt werden kann. Wie an unserem zweiten Morgen auf dem Track.

Sechs Uhr früh, Tasmanien ist mit einer Schicht Raureif glasiert, auf der die Pfoten der Wallabies kleine Tupfer hinterlassen. Das da hinten, der Fels, der so aussieht, als gehöre er eigentlich in den amerikanischen Südwesten - das ist der Barn Bluff. Das Gezackte dahinter: der Cradle Mountain. Und das da unten sind Holzbohlen. Auf dem Overland Track kann man sich nicht verlaufen, weil lange Abschnitte der Strecke mit einer Art Steg ausgelegt sind, was sehr sinnvoll ist. Tritt man nämlich einen Schritt neben das Holz, macht es "Schmpftz!", und man steht bis zum Schienbein im Morast (weil man den sicheren Bohlenboden aus diversen Gründen auch mal verlassen muss, sieht am Ende eines langen Marschtages alles unterhalb der Knie aus wie etwas, das Archäologen aus den Grabkammern der Pharaonen gekratzt haben). Die ältesten Bohlen sind 30 Jahre alt und wirken, als seien sie etwa 1710 montiert worden. Die jüngsten wurden erst im vergangenen Winter verlegt. Weil die weißen Siedler Tasmaniens Tierwelt auf eine paar kümmerliche Restarten zusammengeschossen haben, muss man auf dem Overland Track nun nichts mehr fürchten. Und weil man sich auch nicht verlaufen kann, beginnt man schon nach wenigen Minuten, seinen Gedanken nachzuhängen.

An diesem Morgen führt der Weg über weites, offenes Land, das aussieht wie eine Montage aus Südafrika und Rohan aus "Herr der Ringe". Man geht über eine strohhalmgelbe Ebene und hinein in eine Wand fahler, geisterhaft schwebender Eukalyptusbäume, vorbei an kreisrunden Tümpeln, in deren Blau sich die Wolken spiegeln. Man geht durch Haine aus Pandami, die aussehen wie außer Kontrolle geratene Yukka, man geht durch vermooste Fichten- und Buchenwälder, in denen kein Lichtschein den verwurzelten Boden zu erreichen scheint. Man geht und geht, und im Laufe des Tages wird das Gehen allmählich zur Meditation. Wegen der Bohlen muss man auch nicht darauf achten, wo man hintritt, man läuft einfach weiter und weiter, und irgendwann verschmilzt das Geräusch der Füße auf den Holzbohlen mit dem Pochen des Herzens, und auf einmal ist man eins. Eins mit sich und eins mit der Welt.

Dass sich diese Wandertrance ziemlich oft einstellt, liegt auch an den frühpensionierten Ärzten. Ihre Tage zu Hause verbringen sie offensichtlich mit zehnstündigen Trainingseinheiten in schwierigem Gelände, anders ist das Mördertempo dieser Menschen nicht zu erklären. Manchmal sehen wir sie noch kurz bei der Mittagspause, an den meisten Tagen aber erst in der Hütte. Dann erzählen sie sich haarsträubende Geschichten aus einem Arbeitsalltag, in dem deutsche Australien-Touristen sehr häufig im Mittelpunkt stehen: in giftige Quallen geraten, halb verdurstet in der Wüste aufgefunden oder vom Krokodil gefressen - alles ist im Angebot. Ein paar Flaschen Rotwein später muss jeder ins Bett, weil ja kurz darauf beim Frühstück schon wieder Anekdoten ausgetauscht werden sollen. Zum Glück verhallt später alles in den Weiten vor einem.

Tasmanien vermittelt einen subtilen Eindruck von Zerbrechlichkeit, so, als könne es kaputt gehen, wenn man zu feste auftritt oder zu laut redet. Seine Weite wirkt nicht erdrückend, seine Stille nicht beängstigend. Es ist ein Land, das man atmen hören kann, wenn man ihm zuhört. Man muss ihm dabei nur Zeit lassen. Und sich selbst auch.

Am letzten Tag passiert es dann. Zwei unvorsichtige Rückwärtsschritte beim Fotografieren, eine dumme Wurzel, und drei Minuten später hat der rechte Knöchel mal lässig zehn Zentimeter Umfangvorsprung vor dem linken. Gordon tippt auf Prellung, Margareth glaubt an Bänderdehnung, alle anderen diskutieren. Ich beschließe, dass es überhaupt nicht mehr wehtut. Und stapfe tapfer weiter bis zum Boot, das am Ende des Overland Tracks auf die "Cradle Mountain Hut Trekking Group 20.04" wartet.