Nur jetzt gelangt man in den Petersdom, ohne lange Schlange stehen zu müssen. Und die stets überfüllten Vatikanmuseen sind viel leichter zugänglich als sonst.

Römer überlassen ihre Stadt im Hochsommer gern den Touristen. Sie flüchten vor der Sommerhitze, die vor Museen Schlange stehenden Urlaubern auf den Pelz brennt, und räkeln sich lieber an den Stränden zwischen der Toskana und Sizilien. Außerhalb der Hauptsaison zeigt sich die Ewige Stadt ohne Stress mit dem Charme des Alltagslebens. Im Winter herrschen so milde Temperaturen, dass die Bars am Pantheon den Aperitif im Freien mit Blick auf das rege Treiben und den in eine Kirche verwandelten Tempel servieren.

In Roms berühmtestem Eiscafe "Giolitti" herrscht auch im Februar Hochbetrieb. Abgeordnete aus dem wenige Meter entfernt gelegenen Parlament treffen sich hier zum Espresso und drängen sich vor der breiten Theke mit dem besten Eis der Stadt.

Dank Billigflugangeboten versiegt der Strom an Touristen nie ganz. Im Winter fallen Besucher mit dem typischen staunenden Blick aber in der Mehrheit der Römer kaum mehr auf. Nach dem Ende der Weihnachtszeit mit ihren zahlreichen Märkten und vor dem Start der Städtereisesaison im Frühjahr gehört die Piazza Navona wieder für eine Weile ihren Bewohnern. Der ansonsten mit Ständen von Malern angefüllte Platz präsentiert sich für ein paar Monate in seiner ursprünglichen Form als Salon für Römer, die sehen und gesehen werden wollen. Junge Frauen balancieren auf hohen Hacken den Kinderwagen über das Kopfsteinpflaster. Carabinieri fahren als Einzige mit dem Wagen und wichtigem Gesichtsausdruck über die Piazza, um das Gefühl der Sicherheit zu geben, die in Rom abgesehen von Taschendieben ohnehin nicht gefährdet ist. So erinnert die Piazza Navona wieder an die Zeiten, in denen sie für Wasserspiele geflutet wurde oder Wagenrennen um das aus der Antike erhaltene Oval veranstaltet wurden.

Wer die Gemälde des Barockmalers Caravaggio in der benachbarten Kirche San Luigi dei Francesi bewundern will, muss sich um diese Jahreszeit nicht erst langsam durch den Besucherpulk nach vorne schieben. Am Campo de' Fiori auf der anderen Seite der Hauptverkehrsader Corso Vittorio Emanuele wacht auch in diesen Tagen der von der Inquisition als Ketzer hingerichtete Dominikaner Giordano Bruno mit finsterem Blick unter seiner Kapuze hervor über den Gemüsemarkt. Die Händler bieten an dem Platz rund um die Bronzestatue wieder mehr Gemüse und weniger Schürzen mit Michelangelo-Motiven an. Zur Mittagszeit hinterlassen sie ein eilig von der Müllabfuhr abgesaugtes Meer aus Orangen und Überresten der typisch römischen kleinen Artischocken. Am Nachmittag trifft sich die in dieser Gegend wohnende gut betuchte Linke, die in Italien wegen ihres Hangs zum Understatement auch "radical chick" genannt wird. Abends füllen sich die Lokale rund um den Platz des von antiklerikalen Römern als Märtyrer verehrten Giordano Bruno mit jungen Leuten, die die Nacht zum Tag machen. Um nächtliche Partys auf dem Campo de' Fiori einzudämmen, verbot die Stadtverwaltung vor Kurzem den Außer-Haus-Verkauf von Getränkeflaschen ab 21 Uhr und den Alkoholausschank ab zwei Uhr morgens. Am Ende der Nacht rückt trotzdem weiterhin die Müllabfuhr mit fahrbaren Saugautomaten an und säubert den Platz von Gläsern, Flaschen und Dosen. Dann kommen noch vor dem ersten Morgenlicht die Marktverkäufer.

Im wegen seiner Lage auf der anderen Tiberseite Trastevere genannten Viertel beginnt der Tag für Müllmänner in grünen und orangefarbenen Overalls und andere Frühaufsteher mit einem Cappuccino in der "Calisto-Bar" an der gleichnamigen Piazza. Gegen die morgendliche Kälte genehmigen sich einige der Männer mit Leuchtstreifen um Bauch und Arme einen "caffè corretto". Ohne mit der Wimper zu zucken "korrigiert" der Barmann schon morgens um sieben Uhr den Espresso mit einem Schuss Grappa oder Sambuca zum Aufwärmen. Auch die Rentnerin von nebenan, die sich den Luxus des Kaffees außer Haus eigentlich nicht leisten kann, bekommt hier einen Cappuccino, bevor sie auf der nächsten Piazza in die Basilika Santa Maria in Trastevere zur Frühmesse unter mittelalterlichen Mosaiken geht. Am späteren Morgen genießen Bewohner des bis vor Kurzem als Geheimtipp geltenden Viertels in der Sonne an Tischen vor dem gegenüberliegenden Cafe einen Espresso und lesen Zeitung. Durch die engen Gassen des einstigen Arbeiterviertels, in dem früher Gerbereien und andere übel riechende Handwerksbetriebe untergebracht waren, ist es nicht mehr weit bis zum Vatikan.

Sonntag mittags versammeln sich große Menschenmengen, um den Papst von seinem Balkon das Angelusgebet sprechen zu hören. Jedoch ohne lange Schlange stehen zu müssen, gelangen Besucher im Winter an den streng auf Kleidungsetikette achtenden Wachen vorbei in den Petersdom. Bei kühleren Temperaturen kommen weniger ahnungslose Touristinnen vor, die schulterfrei oder im Minirock Michelangelos Pietà bewundern wollen. Für sie und Träger kurzer Hosen halten die Souvenirläden Hosen und Umhänge aus Papier bereit, mit denen sie in den heiligen Hallen verbotene Blößen bedecken können. Selbst die chronisch überfüllten Vatikanmuseen sind zu dieser Jahreszeit leichter zugänglich als sonst. Die Schlange am Eingang zieht sich nicht an den hohen Vatikanmauern entlang um mehrere Ecken des kleinsten Staats der Welt hin.

In den Andenkenläden im mittelalterlichen Viertel Borgo Pio zwischen Petersdom und Tiber suchen im Winter vereinzelte Nonnen nach Rosenkränzen in verschiedenen Farben und Materialien. Kurienbischöfe aus aller Welt in langen schwarzen Soutanen mit lila Knöpfen eilen achtlos an den bunten Auslagen vorbei. Liebhaber von Kitsch begeistern sich für Postkarten mit Hologramm-Bildern des jetzigen oder früheren Papstes. Römer suchen während des Winterschlussverkaufs in den eleganten Boutiquen rund um die Via Condotti nach dem richtigen Outfit. Im Sommer stehen Touristen selbst vor den Luxusläden Schlange. Abergläubische Italiener und solche, die es werden wollen, garantieren ihre Rückkehr zu einem nächsten Besuch in der Ewigen Stadt, indem sie rückwärts eine Münze in den Trevi-Brunnen werfen.