Ende Mai steht Les Saintes-Maries-de-la-Mer Kopf: Wenn Roma und Sinti ihre Schwarze Sara ehren.

Les Saintes-Maries-de-la-Mer. Der Kirche von Les Saintes-Maries-de-la-Mer am Rande der Camargue-Sümpfe in Südfrankreich sieht man sofort an, dass sie vor mehr als 1000 Jahren schon als Bollwerk gebaut wurde, in das sich die Menschen bei Piratenüberfällen flüchten konnten. Der dumpfe Glockenklang, der an diesem Maimorgen über das Städtchen am Mittelmeer hallt, scheint zum düsteren Bild der dunklen Kirche zu passen - wären da nicht die vielen bunt gekleideten Menschen, die berittenen Hirten, Priester und Ministranten. Es ist schließlich ein ganz besonderer Tag, dieser 25. Mai: Höhepunkt der alljährlichen Wallfahrt der Roma und Sinti zu ihren Heiligen, vor allem zu ihrer Schutzpatronin, der Schwarzen Sara. In die Glockenschläge mischt sich, immer lauter werdend, das Beten und Singen der Menge. Mit wehenden Fahnen ziehen die Menschen durch die Gassen des Städtchens zu den Steinwällen, die bei Sturm die Meeresbrandung hindern, in die Straßen zu klatschen. Immer wieder werden die Gebete und Lieder von spontanen Zwischenrufen unterbrochen. "Vive la Sainte Sara, vive les Saintes Maries!" schallt es tausendfach aus der Menge, die langsam auf den Strand zieht, durch den Sand ans Wasser. Ohne sich von den Wellen aufhalten zu lassen, gehen die Pilger weiter, allen voran im vollen Ornat der Bischof von Arles und die Pfarrer des Städtchens. Dann kommen die Reiter, die Gardiens, die cowboyartigen Hirten, die das ganze Jahr die Herden schwarzer Stiere in den Sümpfen ringsum bewachen. Ihnen folgt die lange Schlange der Landfahrer, deren beide höchste Festtage hier am 24. und 25. Mai begangen werden. Aus Frankreich, Spanien, Belgien oder Holland, aus der Slowakei, Ungarn und Rumänien und von noch weiter her sind sie gekommen. Die Väter heben ihre aufs Feinste herausgeputzten Töchterchen auf die Schultern, damit sie die Statuen der Heiligen Marien besser sehen, vielleicht ihre Händchen auf die Figuren legen können. Frauen mit Schmuck in den Haaren und großen Ohrringen heben ihre bunten Röcke, als sie ins Meer schreiten, betend und singend den Reitern folgend. Die bleiben erst stehen, als das Wasser den Pferden bis zum Bauch reicht. Auch die Männer, die kostbar gekleidete und geschmückte Statuen der heiligen Marien tragen, bringen ihre schwere Last ins Wasser. Ehrfurchtsvoll macht die Menge Platz, als eine besonders große Statue herangebracht wird: die Heilige Sara. Aber die Camargue macht nicht nur Ende Mai von sich reden. Dieses faszinierende Feuchtbiotop des Rhône-Deltas begeistert Besucher das ganze Jahr hindurch: mit all den Lagunen, auf denen sich die Sonne spiegelt, mit den Sumpfwiesen, auf denen die Herden schwarzer Stiere und weißer Wildpferde weiden, mit den vielen Wasserarmen, wo sich Seidenreiher und bunte Bienenfresser tummeln, mit den ungezählten Tümpeln, in denen Hunderte rosafarbener Flamingos Nahrung suchen. In der Summe der Dinge ein einzigartiges Naturparadies. In der alten Stadt Arles im Norden teilt sich die Rhône in zwei Hauptmündungsarme, die Grand Rhône und die Petit Rhône. Zwischen diesen Strömen Reisfelder und Salicorniaflächen, Lagunen, Sandstrände und Tamariskenbüsche. Hier und da liegt ein "Mas", ein Landgut, unter weit ausladenden Schirmpinien. Dann wieder stehen ein paar weiß gekalkte, schilfgedeckte Hütten in der Landschaft. Diese Cabanes, einst Unterkünfte der Gardiens, werden heute vielfach als komfortabel hergerichtete Ferienhäuschen vermietet. Aber einmal im Jahr , Ende Mai eben, platzt das Städtchen, das in der hier noch lebendigen provencalischen Sprache "Li Santi Mario de la Mar" genannt wird, aus allen Nähten. Nach uralter Überlieferung landeten einst hier an der Küste der heilige Lazarus mit Maria Magdalena, Maria Salome und Maria Jacobäa sowie der Dienerin Sara. Sie gingen an Land und begannen mit der Christianisierung. Und seit alters her gilt die laut Überlieferung aus Ägypten stammende Sara als Schutzpatronin des fahrenden Volkes. Schon im 6. Jahrhundert gab es Wallfahrten zu der Kirche in Les Saintes-Maries-de-la-Mer. Seit Jahrhunderten pilgern die Roma und Sinti im Mai zu Tausenden hierher in die Camargue. Nicht nur mit Caravans und Wohnmobilen, manche auch noch mit bunt bemalten hölzernen Pferdewagen, wie sie schon Vincent van Gogh gemalt hat. Wer dann nicht beizeiten sein Quartier reserviert hat, muss draufzahlen oder Unterkunft weitab vom Festort suchen. Für zehn Tage wird Les Saintes-Maries-de-la-Mer zum Heerlager des fahrenden Volkes. Sippen treffen sich, Freundschaften werden erneuert, Verlobungen geschlossen, Hochzeiten gefeiert, Kinder getauft. Überall Musik, Gesang, Tanz. Wahrsagerinnen haben Hochkonjunktur. Nach einem festlichen Gottesdienst in der uralten Kirche, zu dem die Einheimischen in ihren arlesischen Trachten genauso strömen wie die dunkelhäutigen Pilger, zieht die Prozession durchs Städtchen bis ins Wasser der Bucht vor der Stadt. Der Zug erinnert an die Landung der Heiligen und den Beginn der Christianisierung in der Provence. Ausgelassen wird anschließend gefeiert; die "Gitanes" singen und tanzen bis tief in die Nacht. Besucher bekommen in diesen Tagen diverse Programme geboten, um das eigenartige Sumpfland im Rhône-Delta kennenzulernen. Das reicht von Exkursionen mit Geländewagen zur Vogelbeobachtung bis zum Besuch einer "Ferrade": Da wird die stets im Frühjahr fällige Brandmarkierung der schwarzen Jungstiere als großes Spektakel inszeniert. Vor den Schaulustigen treiben Gardiens die Tiere weit draußen zwischen den Sümpfen auf einen Platz, auf dem einfache Tribünen aufgebaut sind. Die Taureaux werden per Lasso eingefangen, und blitzschnell fährt ihnen der glühende Eisenstempel ins Fell. Informationen : Office de Tourisme, B.P. 34, 5 Avenue van Gogh, F-13723 Les Saintes-Maries-de-la-Mer, Telefon: 0033/4/90 97-82 55, Fax -71 15.