Thüringer Bäder sind traditionsbeladen, aber in der Wende von der Plan- zur Marktwirtschaft quasi neu erstanden. Nun übertreffen sie sogar viele andere.

Erfurt. Gäbe es für lautes Bohren einen Preis - den Thüringer Bädern stünde er zu. Was in Friedrichroda, Bad Liebenstein und Bad Salzungen seit 13 Jahren gebohrt worden ist, um in Tiefen des Erdballs vorzustoßen und seine flüssigen Schätze abzuschöpfen, hat niemand zeitlich gemessen. Manche Anwohner behaupten aber, das Bohren habe jahrelang gar nicht mehr aufgehört. Sie lachen über das, was Goethe einfiel, der um 1780 im Thüringer Wald wanderte und festhielt: "Über allen Wipfeln ist Ruh." Aus Krach und Staub ist die neue Thüringer Bäderlinie entstanden, attraktiv und vielfältig. Zugute kam allen Projekten, dass die Erfahrungen anderer Wellness-Einrichtungen ausgewertet und übertroffen wurden. Besucher wünschen sich hier die von Goethe gepriesene Ruhe, schätzen die Besinnlichkeit dieser üppig bewaldeten, sanft hügeligen Region und wollen zwischen Meditieren und Erholung ihren Spaß haben. Sie möchten etwas für ihre Gesundheit tun, aber auch gut essen und es vor dem Schlafen bei einem Absacker belassen. Kuren wollen sie nicht, Askese ist unerwünscht. Begonnen hatte der große Umbau damit, dass in Friedrichroda in der Nähe des Schlosses Reinhardsbrunn in 92 Meter Tiefe eine Mineralquelle geortet wurde, deren Wasser inzwischen als "Schlossquelle Friedrichroda" im Handel ist. Fachleute bescheinigen ihm hohe Qualität; es ist überreich an Mineralstoffen. Friedrichroda war staatlich gelenkter zweitgrößter Erholungsplatz der DDR. Die Partei wollte hier das werktätige Volk in frischer Höhenluft fit machen für künftige Planübererfüllung. Seit 1837 besaß das Städtchen einen Ruf als heilklimatischer Ort. Seinerzeit kam die "bessere Gesellschaft" zum Kuren und feierte rauschende Bälle. Freiluftkonzerte begeisterten das kunstsinnige Publikum. Schon damals erreichte die Zahl der Kurenden 15 000 pro Jahr, wie später im Arbeiter-und-Bauern-Staat. Doch während die ersten in romantischen Villen residierten, drängten sich die Nachfolgenden im FDGB-Heim, dem größten seiner Art in der DDR - ein Betonmonstrum von liebloser Gestaltung und mit Baufehlern. Das hübsche Städtchen in 700 Meter Höhe am Nordostrand des Thüringer Waldes besitzt einen Kneipp-Kräutergarten mit Tretbecken. Am Morgen hört man regelmäßig Schreie und Gejammer, wenn Menschen mit gerafften Röcken und hochgekrempelten Hosenbeinen im Schocknass tapfer Runden drehen. Hinzu kommen, umgeben von der Pracht des Bade- und Therapiezentrums, frische Güsse nach Art des gesundheitsbesessenen Pfarrers, selbst im Winter. Gleich nach dem Kneippen geht es in Wanne oder Sauna. Noch besser ist das Abtauchen im Rosenblüten-Ölbad mit entspannender Wirkung, ist die Aromatherapie, ist der wärmende Heilschlamm in der Shiatsu-Kabine, sind Massagen, Fußzonenreflex-Behandlungen und die Methoden der Jahrtausende alten chinesischen Medizin. Friedrichroda hat den Umstieg aus der Plan- in die Marktwirtschaft mit Bravour gemeistert. Gäste werden wie Kundenkönige behandelt, teilweise mit einem Service, der an südostasiatische Standards erinnert. Zu Preisen, die absolut vernünftig sind, bisweilen hart an der Grenze der Wirtschaftlichkeit. Im Umfeld Friedrichrodas verlaufen 100 Kilometer gut markierte Wanderwege, verbunden mit dem Rennsteig. Es gibt aber auch einen Überraschungs-Parcours, der durch die im 18. Jahrhundert entdeckte Marien-Glashöhle führt, die größte und schönste Kristallgrotte Europas. Bad Liebenstein liegt im Wind- und Wetterschatten des Großen Inselbergs am Sonnenhang des Thüringer Waldes, das Klima ist mild. "Wie ein Stück lachender Sonnenschein ist das Thüringer Land gleichsam vom Himmel auf die Erde gefallen", soll dem Ende des 19. Jahrhunderts bekannten Wandersmann August Trinius hier eingefallen sein. Noch mischt sich in der Bad Liebensteiner Wandelhalle des Kurhauses von 1913 Art deco mit sozialistischer Lampeneinfalt. Doch der Quell im bronzenen Brunnen sprudelt munter. Das natrium- und kalziumhaltige Wasser hilft vor allem bei Magen- und Darmproblemen. Nach dem Relaxen kann man kreislauffördernd die Esplanade hinaufflanieren bis zur Villa Feodora, die Georg II. von Meiningen, als "Theaterherzog" bekannt geworden, 1860 als Sommersitz für seine Familie bauen und mit prächtigen Fresken und Holzplastiken schmücken ließ. In Bad Liebenstein ist man stolz darauf, den Titel "ältestes Heilbad Thüringens" zu führen. Benannt ist der Ort nach der gleichnamigen Burg, im Mittelalter Sitz der Herren von Stein. Neben Brunnen, die überall plätschern, ist es Gartenkunst, die das Auge verwöhnt. Ohne dass ein Preis ausgeschrieben wäre, scheinen die Anwohner darum zu konkurrieren, wer die effektvollsten Naturkunstwerke und Ornamentierungen im Vorgarten zustande bringt. Auch das ist der Geschichte zuzuschreiben: Georg II. hatte während seiner Regentschaft darauf gepocht, dass Architektur und Gartengestaltung, bildende Kunst und umgebende Landschaft eine harmonische Einheit bildeten. Bad Salzungen im Werratal setzt ganz auf Tradition. Im Gradierwerk sehen Patienten wie Gespenster aus, in weiße Kutten gehüllt und umhüllt vom stetig strömenden Salzdampf. In der Mitte des Inhalationsraumes zeichnen sich die Konturen von Putten, Fischköpfen und Fabelwesen ab. Über gebündelte Schwarzdornzweige rieselt die Sole hier stetig an den 80 Meter langen Gradierwänden herab und erzeugt feinen Salznebel. Der dringt beim Einatmen in alle Verästelungen der Lunge, was besonders Asthma- und Bronchitiskranke erleichtert. Die ältesten Teile der Bäderarchitektur, die in Fachwerk angelegten Gradierhäuser und Wandelgänge, gab es bereits 1795. Schon im 15. Jahrhundert war festgestellt worden, dass die Gradierer trotz schwerer körperlicher Arbeit gesünder waren als der Rest der Bevölkerung. Sie kannten vor allem keine Erkältungen. Die als unerschöpflich geltenden Sole-Vorkommen, versetzt mit gesundheitsfördernden Mineralien wie Jod, Kalzium, Fluor und Magnesium, gibt es in Bad Salzungen in fast so hoher Konzentration wie am Toten Meer. Zu Weihnachten erhält jeder Gast ein einschlägiges, garantiert schadstofffreies Souvenir: einen von einer dicken Kruste aus konzentriertem Salzwasser überzogenen Tannenzapfen. "Silge" heißt die Altstadt Bad Salzungens, ein nostalgischer Ort mit einem Gewirr von Gassen und Stadtmauerresten. Das Schloss im Ortsteil Wildprechtroda war ursprünglich eine Wasserburg. Jeder der hier residierenden Blaublüter hat daran herumgebaut, mal im gotischen Stil, mal mit Renaissance-Elementen; keiner hat das Werk vollendet.