Reinbek. Die Lage ist dramatisch: Zum Ausbildungsstart sind in Stormarn 46 Prozent der Stellen unbesetzt. Warum in Usbekistan geworben wird.

Einfach nur arbeiten, um Geld zu verdienen, das reicht vielen Jugendlichen heute nicht mehr. Die sogenannte Generation Z, die jetzt nach und nach auf den Arbeitsmarkt strömt, gilt als anspruchsvoll. Ihr werden die Jahrgänge ab Mitte der 1990-er bis 2010 zugeordnet. Der GenZ ist es besonders wichtig, dass ihre Aufgabe Sinn macht und ihr genug Zeit für Familie und Privatleben bleibt.

„Ackern bis zum Umfallen ist heute nicht mehr angesagt. Die jungen Leute achten sehr auf eine ausgewogene Work-Life-Balance“, ist die Erfahrung von Carolin Jaspersen vom Campus für Gesundheitsberufe. Der gehört zum Reinbeker Krankenhaus St. Adolf-Stift. Hier werden Operationstechnische Assistenten, Fachpfleger und Krankenpfleger ausgebildet.

Ausbildung: Unternehmen bieten Fachkräften günstige Bedingungen

Das Krankenhaus hat auf die veränderten Ansprüche der neuen Generation reagiert. Jeder Azubi erhält mindestens 30 Tage Urlaub und Home-Schooling ist möglich. Zudem gibt es Zuschuss fürs Fitnessstudio und fürs HVV-Bonusticket. Und die Chanchen für eine Übernahme sind bestens. „Nur eine Teilzeitausbildung können wir nicht bieten. Die wird aber durchaus nachgefragt“, sagt Jaspersen. Zum 1. September starten 27 junge Männer und Frauen ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau oder -mann. Alle Stellen sind nicht besetzt. Das Krankenhaus ist weiter auf der Suche.

Dass die Nachwuchsgewinnung derzeit alles andere als einfach ist, weiß Sebastian Grothkopp, Leiter für den Bereich Aus- und Weiterbildung bei der IHK zu Lübeck, aus vielen Gesprächen mit den rund 65.000 Mitgliedsunternehmen in Lübeck und den Kreisen Herzogtum Lauenburg, Ostholstein, Segeberg und Stormarn.

1915 Ausbildungsverträge (Stand 30. Juni) wurden für dieses Ausbildungsjahr im Bereich der IHK unterschrieben. „Das sind 40 weniger als noch im vergangenen Jahr und ein Minus von zwei Prozent“, sagt Grothkopp. Die Gründe für den weiteren Rückgang sind vielschichtig. „Fehlende Berufsorientierung und Unsicherheit bei den Jugendlichen als Folge der Pandemie spielen sicher eine Rolle“, sagt Grothkopp. Erst in diesem Jahr sind die Berufsmessen erst wieder richtig angelaufen.

Influencer noch kein Ausbildungsberuf

Seit Jahren predigt die Kammer ihren Unternehmen, noch mehr für die Nachwuchsgewinnung zu tun. Ja und manchmal müssten Personalchefs bei den Ansprüchen an den Nachwuchs Abstriche machen. „Das bedeutet aber nicht, dass die jungen Menschen weniger gut sind. Es gibt sehr viele tolle Talente darunter“, bricht Grothkopp eine Lanze für die Jugend.

Und welche Berufe stehen bei den Schulabgängern hoch im Kurs? „Mechatroniker, Kaufmann für Büromanagement oder Industriekaufmann sind nach wie begehrt“, sagt Grothkopp. Auch der klassische Immobilienkaufmann/frau erlebe wieder einen Aufwärtstrend. Nur beim Berufswunsch Influencer schüttelt Grothkopp mit dem Kopf. „Das ist noch kein Ausbildungsberuf. Da fehlen uns auch die Lehrbetriebe“, sagt Grothkopp.

An Unternehmen, die gewillt sind, Nachwuchs auszubilden, mangelt es Stefan Schröder, Sprecher der Agentur für Arbeit in Bad Oldesloe, nicht. Kurz vor dem Ausbildungsstart sind noch viele Stellen frei. Von 621 Ausbildungsstellen sind in der Reinbeker Geschäftsstelle der Arbeitsagentur aktuell rund 46 Prozent (288 Stellen) unbesetzt. In ganz Stormarn summiert sich die Zahl auf 664 freie Lehrstellen, im Kreis Herzogtum-Lauenburg sind es 574. Vor allem der Handel und die Logistikbranche haben immer größere Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden. Aber auch angehende Bäcker, Fleischer und Konditoren sind rar. „Ein Trend, der seit Jahren anhält“, sagt Schröder.

Handelskammer wirbt in Usbekistan um Azubis für Hamburger Unternehmen

Und einer, der nicht vor der Landesgrenze halt macht. Laut Handelskammer Hamburg fehlen bis 2035 in der Hansestadt 133.000 Fachkräfte (jede 6. Stelle in Hamburg) und 27.000 Kräfte für sogenannte Helferberufe. Großen Anteil daran hat der demografische Wandel.

Umso größer sind die Hoffnungen der Kammer in ein Projekt, das im kommenden Jahr starten soll. In Zusammenarbeit mit der Auslandshandelskammer sollen für Hamburger Unternehmen Auszubildende in Usbekistan angeworben werden. „Das Land bietet vielversprechende Ansätze für eine Fachkräftepartnerschaft“, sagt Peter Feder, Sprecher der Handelskammer. Die Bevölkerung des zentralasiatischen Landes ist jung, die Zielgruppe entsprechend groß. Das Durchschnittsalter in Usbekistan liegt bei rund 27 Jahren, in Deutschland hingegen bei 45 Jahren.

Das Interesse auf beiden Seiten an der Kooperation ist groß. Doch bevor die jungen Arbeitskräfte einreisen, „besuchen sie in ihrer Heimat einen Deutschkursus und bekommen im Rahmen einer Vorintegration einen Eindruck vom Leben und der Ausbildung in Hamburg“, sagt Feder.

Reinbeker Krankenhaus setzt auf Quereinsteiger: „Großen Mehrwert für uns“

So ein Programm hat die Kammerschwester in Lübeck noch nicht aufgelegt. „Wir werben aber zusammen mit der Auslandskammer verstärkt um Fachkräfte für den Gastronomiebereich. In Marokko, im osteuropäischen Raum, in Syrien, in Mexiko, Indonesien und auf den Philippinen konnten wir schon Arbeitskräfte für hiesige Betriebe gewinnen“, sagt Grothkopp.

Auf den ausländischen Arbeitsmarkt setzt das St. Adolf-Stift noch nicht. Die Azubis kommen hier vor allem aus der näheren Umgebung. Dafür aber wird seit der Pandemie die Zahl derjenigen Mitarbeiter, die sich in der Mitte des Lebens beruflich neu starten, immer größer. „Diese Bewerber kommen oft aus völlig anderen Bereichen“, sagt Jaspersen. „Durch ihre große Lebenserfahrung haben diese Kandidaten einen besonderen Mehrwert für uns“, sagt Jaspersen. Wie auch der Generation Z ist diesen Quereinsteigern besonders wichtig, dass ihre Arbeit Sinn macht.