Band Klang und Leben spielt in Reinbek für Demenzkranke. Die erinnern sich plötzlich wieder an vergangene Zeiten

Reinbek. Schon die ersten Töne von „Bel Ami“ zaubern ein Lächeln auf die Gesichter der Menschen im Publikum. Eine alte Dame in der ersten Reihe strahlt übers ganze Gesicht. Wie die meisten hält sie ein Heft mit Liedtexten in den Händen. Als der Gesang beginnt, stimmen viele sofort mit ein. „Genau das ist gefragt bei Klang und Leben – lautes Mitsingen“, ruft Sänger Oliver Perau. „Das muss auch nicht schön klingen, einfach mitsingen und -klatschen.“

Die Bewohner der Seniorenresidenz Kursana Villa Reinbek erleben zum ersten Mal ein Konzert der Band Klang und Leben. Das gleichnamige Projekt wendet sich an Menschen mit Demenz und zielt darauf ab, sie durch Musik zu erreichen, Erinnerungen bei ihnen zu wecken und ihnen damit Freude zu bereiten. Initiiert wurde das Projekt vor zwei Jahren von dem Rockmusiker Rainer Schumann, ehemaliger Schlagzeuger der Band Fury in the Slaughterhouse, und dem Demenz-Coach Graziano Zampolin.

Beide treten an diesem Tag bei dem Konzert persönlich auf. „Wir sind seit Jahren befreundet und wollten unsere Kompetenzen und Ressourcen verbinden“, sagt Rainer Schumann. „Fast alle Menschen assoziieren mit Musik positive Erinnerungen und Emotionen. Wir versuchen, diese wachzurufen und den Betroffenen dadurch ein Stück Lebensqualität zurückzugeben.“

Das gelingt den Musikern offensichtlich: Senioren, die eben noch mit versteinerter Miene dasaßen, singen jetzt voller Elan Lieder aus ihrer Kindheit und Jugend wie „Kann denn Liebe Sünde sein?“ oder „Sag mir quando, sag mir wann“ mit. „Und jetzt begeben wir uns auf eine kleine Reise“, sagt Rainer Schumann und hält einen kleinen Spielzeug-VW-Käfer in die Luft. Wir fahren über die Alpen nach Italien bis in den Süden. Dort gibt es eine Insel...“. „Capri!“ ruft eine alte Dame begeistert. Wieder stimmt das Publikum kräftig mit ein: „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt.“ Auch das Pflegepersonal singt und klatscht mit.

„Alle unsere Lieder handeln eigentlich von Liebe und Reisen“, sagt Oliver Perau. „Das ist es, woran sich die Menschen am liebsten erinnern.“ Die Musiker zeigen vollen Einsatz und haben sichtlich Spaß mit ihrem Publikum. Graziano Zampolin fordert eine Dame zum Tanz auf. Sie lacht und unterhält sich mit ihm, während die beiden sich zur Musik bewegen. „Die Dame hat sich beim Tanzen so wohl gefühlt“, freut sich Maria Helena Cammaus, Direktorin der Kursana Villa Reinbek. „Es ist erstaunlich, was für eine Wirkung Musik auf die Menschen hier hat. Manche können sich nicht einmal an ihren Namen erinnern, aber die Liedtexte können sie mitsingen.“

Das beeindruckt auch Rainer Schumann immer wieder: „Wir sind in einigen Pflegeeinrichtungen mehrmals aufgetreten, und manche Menschen haben uns erkannt, obwohl sie das theoretisch gar nicht mehr können sollten.“ Zum Konzert in Reinbek hat Schumann seinen Freund, den Sportmoderator Gerhard Delling, eingeladen. „Rainer meinte, ich würde begeistert sein, wie die Menschen auf die Musik reagieren“, sagt Delling. „Er hatte recht. Sport und Musik sind einfach die Faktoren, um lebendig zu bleiben. Ich beneide als Fernsehmoderator fast die Musiker, die ihren Erfolg direkt vor sich sehen und die Freude bei ihrem Publikum spüren können.“

Nach „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ und „Ich brauche keine Millionen“ verabschieden sich die Musiker, doch das Publikum besteht noch auf eine Zugabe. Initiator Granziano Zampolin ist zufrieden mit dem Konzert. „Wir wollen erreichen, dass Musiktherapie in die Pflegetherapie integriert und von Krankenkassen unterstützt wird“, sagt Zampolin. „Bisher finanzieren wir uns hauptsächlich durch private Sponsoren.“ Der ausgebildete Krankenpfleger und Demenz-Coach war bis 2013 Leiter eines Weiterbildungsinstituts für Gesundheitsfachberufe. „Mit dem Projekt ‚Klang und Leben‘ habe ich in der Mitte meines Lebens mein Hobby Musik zu meinem Beruf gemacht. Es ist so spannend, den positiven Effekt der Musik bei den alten Menschen zu beobachten.“

Die Musiker von „Klang und Leben“ treten in Senioreneinrichtungen auf, in denen die Versorgung und Betreuung von dementen Menschen einen hohen Stellenwert hat.