Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus in Bargfeld-Stegen wird 50 Jahre alt. Horst Kufeld hat den Wandel im Umgang mit psychisch Kranken miterlebt

Bargfeld-Stegen. Dass es in Stormarn eine Klinik für psychisch kranke Menschen gibt, verdankt der Kreis einer Philosophie, die im Rückblick denkbar merkwürdig klingt. Raus aus der Stadt mit den Irren, habe es in den 50er-Jahren geheißen. Das erzählt Horst Kufeld. Und weil Bargfeld-Stegen aus Hamburger Sicht in der Tat „raus aus der Stadt“ ist und es damals erst recht war, wurde hier ab 1958 gebaut, was heute das Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus ist. In dem ist Horst Kufeld als stellvertretender Pflegedienstleiter beschäftigt ist.

In diesem Jahr wird das Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 50 Jahre alt. Kufeld feiert seinen 63. Geburtstag. Er hat also nicht die ganze Krankenhausgeschichte selbst miterlebt, aber einen großen Teil davon. Er hat viel zu erzählen, und was er erzählt, sagt gleichzeitig viel über die Entwicklung in der Behandlung psychisch kranker Menschen aus. Diese werden heute nur noch „Irre“ genannt von Leuten, die eine sehr lange Moralpredigt verdient haben. Und raus aus der Stadt ist kein Zwang mehr. „Inzwischen ist das für uns ein Standortvorteil“, sagt Kufeld. „Viele genießen die Ländlichkeit.“ Es gibt eine kleine Brücke über einen Teich, viel Wiese – und Schafe, die die Wiese mähen. „Die Patienten schauen ihnen zu oder reden mit den Schafen, sie sind unsere vierbeinigen Therapeuten.“ Zweibeinige gibt es natürlich auch.

1986 blieb der Durchschnittspatient zwölfmal so lange wie heute

270 Menschen arbeiten hier, davon 150 wie Kufeld in der Pflege. Sie kümmern sich um 3000 Fälle pro Jahr, die Patienten bleiben im Durchschnitt 24Tage. 1986 noch blieben die Menschen durchschnittlich 300 Tage im Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus. „Es gab wenig Ärzte, und die Pflegeleute hatten keine pflegerische Ausbildung. Satt, warm und trocken reicht, dachte man damals“, sagt Horst Kufeld. „Inzwischen sind natürlich alle ausgebildet, viele haben Zusatzqualifikationen.“ Ursprünglich sollte auf dem Gelände eine Klinik entstehen mit 1000 Betten. „Die Patienten waren in Zimmern mit sechs oder acht Betten untergebracht, es gab auch Wachsäle mit 48 Betten“, sagt Horst Kufeld. „Damals hat man die Patienten eher untergebracht und weggesperrt, das war so üblich. Wir waren mit zwei Sälen noch ein fortschrittliches Haus, woanders gab es fast nur solche Säle. Oder die Patienten schliefen auf Stroh.“

Heute gibt es in der Klinik in Bargfeld-Stegen 220 Planbetten, die meisten Patienten teilen sich ihr Zimmer zu zweit oder haben es für sich allein. Diese Entwicklung wurde von der Psychiatrie-Enquête auf den Weg gebracht. „Die Regierung sagte ‚so geht das nicht‘ und hat berühmte Psychiater engagiert, um ein Gutachten zu erstellen.“ Der Bericht über die Lage der Psychiatrie in Deutschland war 1975 fertig. Die Forderungen: „Unter anderem pflegerische Ausbildung für die Mitarbeiter und die Unterbringung in Zimmern mit maximal vier Personen.“ Das sei dann recht schnell umgesetzt worden, sagt Kufeld. Die Ausbaupläne auf 1000 Betten wurden gestoppt, die Wachsäle abgeschafft.

Den nächsten großen Einschnitt hat Horst Kufeld selbst mitbekommen. 1989, ein paar Jahre nachdem er in Bargfeld-Stegen angefangen hatte, wurde das Kostenteilungsabkommen gekündigt, Langzeitpatienten sollten aus dem Krankenhaus in Heime entlassen werden. „Das war ein Schock für uns“, sagt er. „Die Patienten waren monatelang hier, jahrelang, einige wenige sogar jahrzehntelang. Wo sollten sie hin? Es gab ja keine Heime für chronisch psychisch Kranke. Man kann ja nicht einen 30-Jährigen im Alten- und Pflegeheim unterbringen.“ Im Nachhinein sei es aber eine gute Entwicklung gewesen. „So wurde man mutig genug, um Wohngruppen auszuprobieren, es wurden Heime gegründet, und manchen Patienten ging es sogar gut genug, um nach Hause zu gehen.“

Die Behandlung hat sich gewandelt. Die Patienten werden je nach Diagnose auf verschiedenen Stationen untergebracht, wer einen Entzug von illegalen Drogen durchmacht, teilt nicht das Zimmer mit einem Depressiven. Ein wichtiger Punkt ist auch der Umgang mit Medikamenten. Kufeld: „Psychopharmaka können ein Segen sein in Situationen, in denen Menschen mit viel Angst zu tun haben. Aber früher wurden die Patienten mit Medikamenten ruhiggestellt und sonst gar nicht behandelt. Das ist verwerflich.“ Inzwischen gehe es viel um Gespräche mit Therapeuten oder in Gruppen, zudem gibt es Musiktherapie und Ergotherapie, die Patienten können reiten, schwimmen oder im Gerontogarten spazieren gehen, einem Garten für Menschen mit Demenz. Hier gibt es sogar eine Bushaltestelle, an der zwar kein Bus hält, die aber Erinnerungen bei den Patienten wecken soll.

Die nächste Bushaltestelle, die tatsächlich von einem Bus angefahren wird, ist zu Fuß ein paar Minuten entfernt vom Krankenhaus. Besonders guten Anschluss nach Hamburg bietet sie nicht gerade. Irgendeinen Nachteil hat das „raus aus der Stadt“ dann eben doch.