Karsten Lieberam-Schmidt, der erste Poetry-Slammer Schleswig-Holsteins, organisiert außergewöhnliche Wortgefechte. 170 Texte hat er bereits selbst geschrieben.

Reinbek. Was eine moderne Suppen-Terrine kann, muss ein Poet der Neuzeit schon lange können: in fünf Minuten fertig sein. Manchmal gibt es etwas Nachschlag. "In unserem Slam in Reinbek sind sechs Minuten für den Vortrag erlaubt", sagt Karsten Lieberam-Schmidt. Slam? Klingt nach Schlamm. Das Lexikon spricht von Verriss, von vernichtender Kritik oder gar von Schlacht. "Ich nenne es einfach Wettstreit", sagt der Reinbeker. Er gehöre allerdings auch zur Lyriker-Fraktion in der Poetry-Slam-Szene. Im Vergleich dazu gebe es durchaus wildere Dichter-Typen, die ihre Texte geradezu ins Publikum schleudern.

"Es wird gebrüllt und getanzt. Manche Texte sind auch unter der Gürtellinie", sagt der Reinbeker. "Ich kann das nicht. Und ich will das nicht." Fein zu umschreiben sei viel schwerer, als etwas herauszuposaunen. "Früher war der Text wichtiger, heute ist es umgekehrt." Das Wort "früher" macht klar: Karsten Lieberam-Schmidt ist lange dabei. Seit 1997. Der Reinbeker ist der erste Poetry-Slammer Schleswig-Holsteins - ein Pionier der modernen Dicht- und Vortragskunst im Land. Und darauf ist er ganz schön stolz.

So ist er mit seinen 47 Jahren auch nicht mehr der Heißsporn in der Szene, dafür einer der wortgewaltigsten. 170 Texte hat er schon geschrieben. "Ich glaube, es gibt im deutschsprachigen Raum keinen, der mehr hat." Die Minuten-Hürde nimmt er dennoch mit Leichtigkeit. Er spricht einfach schneller. Komplizierte Texte sprudeln nur so aus ihm heraus. Auswendig wohlgemerkt. Und pointiert.

Da ist zum Beispiel der gewitzte Hamster, der im Gegensatz zum gehetzten Menschen dem Laufrad entkommt. Der Zuhörer sieht ihn förmlich vor sich, wie er befreit und fröhlich Cocktails schlürft. Oder die Putzfrau, die bei Hempels unterm Sofa die dollsten Dinge findet: das Bernsteinzimmer, einen Mann fürs Leben, die Telefonnummer von Elvis, den letzten Mohikaner und eine Schachtel mit der Aufschrift "Deine Zukunft". Dieser Text hat etwas Groteskes. Und so viele Schachteln die Putzfrau unterm Sofa findet, so verschachtelt sind auch die Sätze, mit denen Karsten Lieberam-Schmidt die Szene beschreibt, die sich knapp über dem Fußboden und eigentlich in der Fantasie abspielt. Trotzdem sind die Texte klar und packend. Es ist eine Frage der Performance, für die der 47-Jährige ganz ohne Toben und Schreien auskommt. Dem Publikum gefällt's.

"Dabei geht der Trend mehr in Richtung Comedy", sagt der Stormarner. Bei ihm nicht. Er zählt zu den seltene Exemplaren, die slammen und zugleich als Schriftsteller in den edlen Kreis der Hamburger Autorenvereinigung aufgenommen wurden. Bei den Lesungen dort stehen Tischchen mit Lämpchen auf der Bühne, davor sitzen artig zuhörende Kulturfreunde. Beim Slam herrschen andere Regeln.

"Es gibt drei Säulen", sagt der Reinbeker. "Erstens: Jeder kann kommen und mitmachen. Der Vortrag darf nur fünf, maximal sechs Minuten dauern. Und aus dem Publikum wird spontan eine Jury gebildet." Für die Bewertungen gilt dabei das Applausometer, also die Lautstärke des Beifalls, die mit Gejohle und Pfiffen nach oben getrieben werden kann. Oder es werden Kärtchen mit Noten von eins bis zehn hochgehalten. Lieberam-Schmidt: "Die niedrigste und die höchste Bewertung streichen wir. Und dann wird der Mittelwert ermittelt. Bei uns bis auf eine Stelle nach dem Komma."

"Bei uns" - das ist das Jugendzentrum neben dem Reinbeker Schloss. Seit dem Sommer 2011 liefern sich hier moderne Poeten Wortgefechte - der einzige Slam mit regelmäßigen Treffen in ganz Stormarn, von Karsten Lieberam-Schmidt ins Leben gerufen. Fünfmal im Jahr geht es hier rund. Der 47-Jährige tritt hier nur im Team-Wettstreit mit Laurenz Gottstein auf. Gemeinsam sind sie "Das Kamel Leon" - ein norddeutsches Spitzen-Slam-Duo. Ansonsten überlässt Karsten Lieberam-Schmidt das Feld der Jugend. In Reinbek hat die U-20-Garde das Sagen. "Mir selbst macht das Schreiben so viel Freude. Das wollte ich den jungen Leuten gern weitergeben", sagt der erste Slammer Schleswig-Holsteins, der auch schon an der Glinder Volkshochschule und für die KulturWerkStadt Reinbek Schreibwerkstätten geleitet hat, eine davon an der Sachsenwaldschule. Das Ergebnis: eine Lesereihe. Zusammen mit der Schülerin Victoria Bergemann lädt der Reinbeker regelmäßig zur Bergedorfer Lesebühne ein.

Workshops leiten, eine eigene Slam-Location gründen, eine eigene Lesereihe ins Leben rufen, in der Hamburger Autorengemeinschaft mitwirken - da kommt einiges zusammen. "Das nennt man glaube ich vielseitig", sagt der 47-Jährige, der auch die unterschiedlichsten Genres bedient. Er schreibt Lyrik, längere Prosastücke und Kinderliteratur. Und dabei ist er eigentlich das, was man früher einen Bauern nannte. "Meine Familie ist seit Generationen in der Landwirtschaft", sagt der moderne Poet, der früher mit dem Trecker durch die Gegend fuhr und von Poetry-Slam keinen Schimmer hatte. Die Äcker hat der Diplom-Agraringenieur mittlerweile verpachtet. Sein Geld verdient er als Gutachter. Sein Herz gehört dem Schreiben.

Mit 31 erwischte es ihn, als er einen Text für seinen Freund zur Hochzeit schrieb. Und als er dann nach dem Studium für ein Jahr nach Lausanne ging, war es endgültig um ihn geschehen. "Ich habe nur Französisch gesprochen, obwohl ich es gar nicht konnte", erinnert er sich. Das Denken in einer anderen Sprachwelt, das Suchen nach Lösungen, das war's. Die Sprach- und Schreibmaschine begann in ihm zu arbeiten.

Zurzeit bereitet sich der 47-Jährige auf die 17. Deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry-Slam vor. Bielefeld ist der Treffpunkt. Um sich für eines der größten Literatur-Bühnenfestivals Europas zu qualifizieren, musste er eine Saison lang der Beste sein. Nicht mal hier und mal dort, sondern immer auf derselben Slam-Bühne. Der Reinbeker räumte in Hamburg-Heimfeld ab. "Trotzdem wäre es eine Sensation, wenn ich nach der Vorrunde weiterkäme", sagt er ohne Koketterie. "Da kommen echt die 100 Top-Poeten." Und er, er sei kein Meister. Und das sei okay. Nur dass es gar nicht stimmt.

"Ach ja, richtig", sagt der Reinbeker und fasst sich an die Stirn. Hat er doch glatt vergessen, dass er der amtierende Crime-Time-Slam-Champion ist. So etwas wie der Meister-Slammer in Sachen Krimi. "Dabei schreibe ich gar keine Krimis. Das war wirklich nur ein einziger Text." Und wenn schon. In sechs Minuten hatte er bestens angerichtet. Ganz nach Art der modernen Poeten und dem Geschmack der Juroren.

Der Reinbek-Slam im Jugendzentrum neben dem Schloss öffnet wieder am 13. September und am 1. November. Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr. Wer seine Sechs-Minuten-Texte vortragen will, ist willkommen. Karsten Lieberam-Schmidt übernimmt die Moderation. Der Eintritt ist frei.