Missbrauchsvorwürfe: Das Disziplinarverfahren gegen den Ahrensburger Ruhestandsgeistlichen Friedrich Hasselmann wird eingestellt.

Ahrensburg. Das Kirchengerichtsverfahren gegen den Ahrensburger Pastor Friedrich Hasselmann wird eingestellt. Das hat das Gericht am Dienstag entschieden. Der Dienstherr des Ruhestandsgeistlichen, die evangelische Kirche, hatte ein Disziplinarverfahren gegen Hasselmann angestrengt. Es ging um Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Ahrensburger Missbrauchsskandal. Die Kirche hatte den Pastor wegen dieser Vorwürfe aus dem Dienst entfernen wollen. Mit diesem Vorhaben ist sie nun gescheitert.

Friedrich Hasselmann, 70, wollte sich gestern nicht zu der Entscheidung äußern. Er verwies auf seinen Anwalt Heinz Wagner. "Pastor Hasselmann ist froh, dass dieses Kapital endlich beendet ist", sagte Wagner. "Wie groß die Belastung für ihn und für seine Frau gewesen ist, kann sich ein Außenstehender gar nicht vorstellen. Er ist jetzt voll rehabilitiert."

Die Nordkirche reagierte mit einer Pressemitteilung auf die Entscheidung. Darin heißt es: "Das Landeskirchenamt der Nordkirche hält auch nach der Entscheidung der Disziplinarkammer an seiner Rechtsauffassung fest und wird die schriftliche Begründung des Gerichtes intensiv prüfen, sobald sie vorliegt."

Nach Angaben Wagners als auch des Kirchenamts fiel die Entscheidung, ohne dass zuvor eine Beweisaufnahme durchgeführt wurde. Mit anderen Worten: Zeugen wurden nicht gehört, die Aktenlage und die Ausführungen Hasselmanns genügten dem Gericht unter Vorsitz des Reinbeker Amtsgerichtsdirektors Bernd Wrobel, um den Einstellungsbeschluss zu fassen.

Das liegt an den Besonderheiten des kirchlichen Disziplinarrechts. Weil die Kirche den Antrag gestellt hatte, Hasselmann aus dem Dienst zu entfernen, hatte das Gericht nur zu entscheiden, ob die Vorwürfe ausreichten, um eine derart folgenreiche Strafe zu verhängen. Wagner: "Selbst wenn alles bewiesen worden wäre, was das Kirchenamt ihm vorgeworfen hat, wäre die Entlassung aus dem Dienst unverhältnismäßig gewesen - gerade auch angesichts der Verdienste des Pastors. Hasselmann hat sein Leben lang für die Kirche geschuftet, hat die Jugendarbeit aufgebaut und vieles andere."

Nach Ansicht der Nordkirche hatte sie gar keine andere Wahl, als genau diese Strafe zu fordern. In der Pressemitteilung heißt es: "Wenn seit einer Amtspflichtverletzung mehr als vier Jahre vergangen sind, kommt nach den Bestimmungen des Disziplinargesetzes gegen Pastorinnen und Pastoren im Ruhestand als Disziplinarmaßnahme nur die Entfernung aus dem Dienst in Betracht. Diese Entfernung kann nur von der Disziplinarkammer des Kirchengerichtes verhängt werden. Sie hat den Entzug der Rechte aus der Ordination und den Verlust sämtlicher Ansprüche aus dem Dienstverhältnis einschließlich des Anspruches auf Versorgung zur Folge."

Hasselmann hat vor dem Kirchengericht eingeräumt, in den frühen 80er-Jahren Beziehungen zu zwei jungen Frauen unterhalten zu haben. Wagner: "Sämtliche Vertuschungsvorwürfe hat er bestritten, teils aus tatsächlichen Gründen, teils unter Hinweis auf seine Schweigepflicht. Von den Missbräuchen in der Familie des Pastors K. hat er glaubhaft erst Mitte der 90er-Jahre erfahren."

Die Leitung der damals noch Nordelbischen Kirche hatte im November vergangenen Jahres beschlossen, Pastor Hasselmann wegen "schwerwiegender Amtspflichtverletzungen" vor die fünfköpfige Disziplinarkammer des Kirchengerichts zu stellen. Was dem Pastor, der sich seit vielen Jahren im Ruhestand befindet, genau vorgeworfen wurde, war nicht zu erfahren. Das Kirchengericht tagt stets hinter verschlossenen Türen. Es ist eben nicht Teil der staatlichen Gerichtsbarkeit, sondern ein kircheninternes Rechtsprechungsorgan.

Nach der Eröffnung des Verfahrens geschah lange Zeit nichts. Die Anwälte tauschten umfangreiche Schriftsätze aus. Eine langwierige Erkrankung eines Richters führte zu einer weiteren Verzögerung.

Am Dienstag trafen sich die Beteiligten dann erstmals vor dem Gericht. Es tagte im Haus des Kirchenamts in Kiel. Vier Verhandlungstermine hatte das Gericht reservieren lassen. Aber schon nach dem ersten Tag war klar: Die Vorwürfe gegen Hasselmann reichen nicht für eine Entfernung aus dem Dienst.

Der Pastor galt bislang als Mitwisser des Missbrauchsskandals. Im Zentrum der Vorwürfe steht der ehemalige Pastor Dieter K. Der hatte im Jahr 2010 gestanden, in den 80er-Jahren Jugendliche missbraucht zu haben. Hasselmann und K. waren zu jener Zeit Kollegen, beide arbeiteten in der Ahrensburger Kirchengemeinde Kirchsaal Hagen. Hasselmann hatte im August 2010 eingeräumt, in den Jahren zwischen 1982 und 1984 "intime Beziehungen" zu zwei Frauen im Alter von 17 und 18 Jahren unterhalten zu haben.

Im Dezember 2010 bestätigte das Kirchenamt in Kiel die Existenz von "zwei neuen schriftlichen Erklärungen, in denen Pastor H. sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden". Der dementierte umgehend: Es sei Unsinn, dass er junge Mädchen missbraucht habe.

Mit der Einstellung des Verfahrens gegen den Pastor steht nun fest: Der Missbrauchsskandal endet, ohne dass es eine Verurteilung gibt. Pastor K. hat sogar nicht einmal vor einem Gericht stehen müssen. Nach seinem Geständnis ist er auf eigenen Wunsch aus dem Kirchendienst ausgeschieden. Damit entzog er sich der Kirchengerichtsbarkeit. Vor einem ordentlichen Gericht musste er sich nie verantworten. Seine Taten waren bereits verjährt.

Der Missbrauchsskandal belastet die evangelische Kirche bis heute. Die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen ist deshalb 2010 zurückgetreten, eine unabhängige Untersuchungskommission wurde gegründet, die Kirche versucht, die bisher 13 bekannten Opfer in irgendeiner Form zu entschädigen. Die Ahrensburger Kirchengemeinde ist nach wie vor gespalten. Sind die Missbrauchsvorwürfe damals, in den 80er- und 90er-Jahren, von führenden Mitarbeitern der Kirche vertuscht worden? Wer hat damals wie viel gewusst? Warum war die Personalakte von K. im Kieler Landeskirchenamt unvollständig? Gestern, am Buß- und Bettag, predigten abends die beiden Bischöfe Gerhard Ulrich und Kirsten Fehrs in der Ahrensburger Schlosskirche - wohl um den Gläubigen zu zeigen: Wir stehen an eurer Seite.

Einen ausführlichen Bericht über den Auftritt der beiden Bischöfe lesen Sie in der Freitagausgabe