Das Abendblatt sprach mit der 64-Jährigen über Tarifgehälter, Soldaten in Afghanistan, Kinderarmut, den Glauben und die Hektik im Advent.

Stormarn. Hamburger Abendblatt: Ihre Wahl 1992 zur ersten Frau im Bischofsamt war eine Sensation. Hat sich die Rolle der Frau in der evangelischen Kirche seitdem verändert?

Bischöfin Maria Jepsen: Sehr sogar. Kurze Zeit nach mir wurden in Norwegen und den USA zwei Bischöfinnen gewählt. Das war der Dammbruch, dass weltweit Frauen in kirchenleitende Positionen gewählt wurden. Und es hat viele Frauen ermutigt. Der Gedanke "Wir sind wer als Frauen" - das war ein großes Symbol.

Abendblatt: Die Zeit war also reif für Frauen in kirchlichen Führungspositionen?

Jepsen: Ja. Es hätte schon zu Luthers Zeiten passieren müssen. Damals ist ein demokratisches Element in den Kirchen wach geworden. Jetzt gibt es weniger Schwarz-Weiß-Denken. Wir sind bunt.

Abendblatt: Sie glauben also, Frauen denken weniger schwarz-weiß als Männer?

Jepsen: Ja. Sie sehen auch die Grautöne.

Abendblatt: Themenwechsel. Wie denken Sie über verkaufsoffene Sonntage - insbesondere in der Adventszeit?

Jepsen: Sonntage sind seit Jahrtausenden Ruhetage. Diese Tradition ist sinnvoll. Sie ist menschen- und gesellschaftsfreundlich. Daran soll nicht gerüttelt werden. Vier verkaufsoffene Sonntage im Jahr kann ich schweren Herzens hinnehmen. Ansonsten möchte ich den Zusammenhalt in der Gesellschaft gewahrt wissen.

Abendblatt: Üben Sie in dieser Sache Druck aus auf die Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik?

Jepsen: In Hamburg waren wir immer im guten Dialog. In Schleswig-Holstein gab es jetzt Gespräche mit dem Ministerpräsidenten und Wirtschaftsverbänden.

Abendblatt: Und was ist dabei herausgekommen?

Jepsen: Wir suchen einen gemeinsamen Weg.

Abendblatt: Zurück zu Weihnachten. Ist die eigentliche Bedeutung des Festes in den Hintergrund geraten?

Jepsen: Die Adventszeit ist verkommen. Durch Stress und Unruhe. Es war mal eine ruhige Zeit. Eine Fastenzeit. Das hat sich verändert. Das finde ich auch nicht schlimm. Aber ein bisschen mehr Besinnung wäre schön. Weihnachten ist doch wie eine kleine Insel im großen Meer der Hektik.

Abendblatt: Viele besuchen nur zu Weihnachten Gottesdienste - ist das für Sie in Ordnung?

Jepsen: Lieber Weihnachten als gar nicht. Gottesdienste sind für alle da, jeder ist willkommen.

Abendblatt: Manche ärgert es, dass die Kirchen dann völlig überfüllt sind. Sollten nur die eingelassen werden, die Kirchensteuer bezahlen?

Jepsen: Nein, dann müssen eben mehr Gottesdienste angeboten werden. Ich habe früher als Gemeindepastorin am Heiligabend vier Gottesdienste gehalten.

Abendblatt: Wie begeistern Sie Menschen für Ihre Kirche?

Jepsen: Wir laden sie ein. Zeigen ihnen, dass Gottesdienst gut tut. Viele nehmen Gottesdienste inzwischen ja auch über die Medien wahr. Das hat zugenommen. Die Menschen haben das Bedürfnis, bestimmte Anlässe an einem anderen Ort außerhalb der Kirche mit einem Gottesdienst zu begehen. Nehmen Sie das Beispiel der Trauerfeier für Torwart Robert Enke.

Abendblatt: Zehntausende haben daran teilgenommen, an den Bildschirmen fast sieben Millionen.

Jepsen: Ja, weil Kirche helfen kann, mit Emotionen, Ängsten und Hoffnungen umzugehen. Weil wir uralte Texte und Rituale haben. Wir können ihnen die Chance geben, mit Gott ins Gespräch zu kommen.

Abendblatt: Eine wachsende Zahl von Menschen leidet unter Depressionen. Alte Menschen vereinsamen. Es gibt immer mehr Single-Haushalte: Die gesellschaftliche Entwicklung vereinzelt Menschen - was läuft schief?

Jepsen: Ich glaube, das tiefe Tal haben wir hinter uns und fangen wieder an, aufeinander zuzugehen. Ich merke, dass es hier und da zu Gegenbewegungen zur Vereinzelung kommt. Etwa in Stadtteilinitiativen. Es ist schön, dass die Gesellschaft nach anderen Formen sucht - über Vereine, Baugenossenschaften oder auch Straßenfeste. Wir suchen wieder nach Nachbarschaft.

Abendblatt: Das klingt sehr optimistisch.

Jepsen: Vor zehn Jahren hat es nur die eigenen Ellenbogen gegeben. Jetzt dringt verstärkt der Gedanke "Das kann es nicht gewesen sein" ins Bewusstsein der Leute. Soziales Engagement wächst. Auch viele Jugendliche sehen, dass es wichtig ist, auch auf andere zu schauen.

Abendblatt: Welche Rolle spielt Jugend in der Kirche?

Jepsen: Ich bin froh, dass die Jugendlichen wacher werden.

Abendblatt: Was meinen Sie damit genau?

Jepsen: Sie melden sich stärker. Formulieren Ansprüche. Die Pfadfinderarbeit hat zugenommen. Jugendliche setzen sich ein, fragen "Was hält die Gesellschaft zusammen".

Abendblatt: Im relativ wohlhabenden Stormarn lebt jedes siebte Kind in Armut. Was kann die Kirche tun? Was macht Politik falsch?

Jepsen: Im Osten ist es jedes vierte Kind, in Lübeck jedes fünfte. Angesichts der wirtschaftlichen Lage wird es sicher nicht leichter werden. Wir als Kirche können nur anbieten, in den Kitas mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Kinder, die jetzt in Armut leben, können zwar satt werden, aber sie haben keine Perspektive. Um die finanzielle Situation der Hartz-IV-Familien zu verbessern, brauchen wir gute Arbeitsverhältnisse.

Abendblatt: Ist das ein Appell an die Arbeitgeber?

Jepsen: Ja, sie sollten nicht nur betriebeswirtschaftlich, sondern auch volkswirtschaftlich denken.

Abendblatt: Was fordern Sie von der Politik?

Jepsen: Politik muss Arbeitsplätze mit Tarifverträgen ermöglichen. Sie muss dafür sorgen, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können. Und inhaltlich etwas von ihr haben. Arbeit muss sich lohnen, wie es mal in einem Slogan hieß. Bei den Gehältern muss sich einiges verändern: Etwa, dass ein Chef nur 20-mal und nicht 600-mal soviel Geld verdient wie der am schlechtesten Bezahlte im Betrieb.

Abendblatt: Alle sprechen von der Krise - hat Nordelbien eine?

Jepsen : Ja, verschiedene. Zum einen die Finanzkrise. Wir haben 20 Prozent weniger an Geld. Für manche Gemeinden sieht es hart aus. Sie müssen auf Personal verzichten. Kirchenmusiker und Küster arbeiten oft ehrenamtlich. Wir können nicht alle Pastoren übernehmen, weil wir es uns nicht erlauben können. Die andere Krise ist bedingt durch Strukturveränderungen. Die Fusionierungen machen manche müde. Die dritte Krise macht mir am meisten zu schaffen: Die Frage von Frömmigkeit. Inwieweit ist der Glaube bei uns wirklich lebendig in der Mitarbeiterschaft, in den Gemeinden? Wie weit leben wir mit der Bibel?

Abendblatt: Schon vor einem Jahr war die Rede davon, dass aus 49 Kirchengemeinden in Stormarn bis 2030 nur noch 25 werden sollen. Auch Kirche verteilt mehr Arbeit auf weniger Schultern.

Jepsen: Kirche lebt ja nicht nur von Hauptamtlichen. Ich würde gern viele Hauptamtliche behalten können. Aber eine Gemeinde kann auch mit Ehrenamtlichen und weniger hauptamtlichen Mitarbeitern blühen. Wichtiger als die Institution ist der Glaube.

Abendblatt: Wird der Spardruck noch wachsen?

Jepsen: Ja. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir in den letzten Jahrzehnten viele neue Gemeinden gegründet haben. Weil der Weg zur Kirche kurz sein sollte. Ich erreiche in Hamburg von zu Hause aus zum Beispiel zwölf Kirchen zu Fuß. Das war ein Konzept der 60er-Jahre und normalisiert sich gerade wieder. Da sind Fusionen hilfreich. Jede Gemeinde soll das machen, was sie gut kann. Wichtig ist mir, dass wir Hauptamtliche den Ehrenamtlichen helfen und sie ermutigen, Kirche zu sein.

Abendblatt: Gibt es noch genügend Menschen, die den Pastorenberuf ergreifen wollen?

Jepsen: In zehn Jahren wird der Knick kommen und es wird weniger Pastoren geben. Aber jetzt wird deutschlandweit wieder geworben. Man kann für das Theologiestudium auch nur werben, es ist das schönste Studium.

Abendblatt: Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr beherrscht zurzeit die Schlagzeilen. Wenn Sie ein Soldat fragen würde, ob er nach Afghanistan gehen soll - was raten Sie ihm?

Jepsen : Er soll sich sehr genau mit seiner Familie beraten. Ich glaube, es ist eine Frage, die gemeinsam getragen werden muss. Wir begleiten Angehörige. Ich weiß von einigen, in welch großer Sorge sie sind.

Abendblatt : Es heißt, dass für Sie vier bestimmte Regeln eine wichtige Rolle spielen: Mach Frieden abends. Sei langsam morgens. Misch Dich ein. Sei wie du bist. Halten Sie sich jeden Tag daran?

Jepsen: Ich versuche es. Bestimmte Dinge habe ich als Kind schon gelernt. Meine drei Geschwister und ich waren früher nicht immer nur friedlich miteinander. Aber wir mussten uns abends immer vertragen und uns die Hand geben. Die Sonne darf nicht untergehen über dem Zorn. Das halte ich heute noch so.

Abendblatt: Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?

Jepsen: Ruhe und Gesundheit. Ein bestimmtes Geschenk wünsche ich mir nicht. Aber wenn ich gar nichts bekommen würde, wäre ich sicher auch enttäuscht.