Anwalt: OP führt zu Hämatom am Rückenmark - Mediziner reagieren zu spät. Seit einem Eingriff ist Irma Ulm pflegebedürftig. Ihr Haus in Volksdorf musste sie verkaufen. Jetzt lebt sie im Rosenhof in Großhansdorf. Und fordert Schmerzensgeld von der Klinik.

Großhansdorf. "Warum hat bloß niemand rechtzeitig reagiert?" Irma Ulm schüttelt den Kopf, ringt um Fassung. Seit fast fünf Jahren ist die 89-Jährige querschnittgelähmt - weil Ärzte nach einer Operation Fehler gemacht haben, sagt ihr Anwalt. Heute ist die ehemalige Volksdorferin pflegebedürftig, lebt im Rosenhof. Jetzt klagt sie gegen das Krankenhaus auf Schmerzensgeld. Bis Anfang 2005 war Irma Ulm eine aktive Frau gewesen. Mit ihrem Mann lebte sie in einem großen Haus in Volksdorf. "Nur sieben Meter waren es bis zum Wald", erinnert sie sich an ihr Zuhause, das sie vor einem Jahr verlassen musste. Tränen laufen über ihr zartes Gesicht, als sie davon erzählt. Als wolle sie sich beruhigen, streicht die elegant gekleidete Rentnerin über die Lehne des Sessels, in dem sie nun oft sitzt. Vor der Operation war Irma Ulm morgens häufig mit ihrem Rottweiler spazieren gegangen. Doch dann kam der Tag, der ihr Leben veränderte.

Es ist der 26. Januar 2005 frühmorgens. Irma Ulm klagt über starke Bauchschmerzen. Der Notarzt bringt sie in eine Hamburger Klinik. Dort wird ein Magendurchbruch diagnostiziert, am Nachmittag wird sie operiert. Peter Ulm sagt: "Elf Stunden musste sie vorher auf dem Flur warten - empörend."

Nach der Operation sei es ihr schlecht gegangen, erinnert sich Irma Ulm. "Ich hatte solche Schmerzen." Über einen für den Eingriff gelegten Schmerzkatheder habe man ihr weiterhin Medikamente verabreicht. Und genau dieser Katheder, sagt Irma Ulms Anwalt Thomas Köppke, habe vermutlich eine Einblutung am Rücken verursacht, die die Ärzte tagelang nicht entdeckt hätten. Und die letztlich wohl die Lähmung ausgelöst habe. Der Anwalt: "Dabei ist ein postoperatives Hämatom eigentlich ein typisches Problem." Das hätten die Ärzte früher bemerken müssen.

Am 28. Januar verspürt Irma Ulm plötzlich ein Kribbeln in ihren Beinen. Doch weder die Schwestern noch die Ärzte hätten reagiert: "Die waren quakig auf mich, weil ich immer über die Schmerzen gejammert habe." Sowohl die Patientin als auch der Anwalt beklagen heute, dass die Ursache der Beschwerden damals nicht untersucht worden sei. Irma Ulm erinnert sich: "Mir wurde nur gesagt: Das beobachten wir." Ein tragischer Fehler, wie Anwalt Köppke sagt: "Neurologische Beschwerden, wie Kribbeln in den Beinen, müssen sofort geklärt werden." Es habe fünf Tage gedauert, bis Irma Ulm von einem Neurologen untersucht worden sei. "Dabei konnte ich schon am vierten Tag nach der Operation nicht mehr laufen", sagt sie. Peter Ulm erinnert sich, dass der Arzt gesagt habe: "Heute ist es zu spät für eine Untersuchung. Das muss bis morgen warten." Das weiß Peter Ulm noch so genau, weil er damals nach jedem seiner Besuche im Krankenhaus ein Gedächtnisprotokoll geschrieben habe.

Am nächsten Tag sprach dann ein Arzt irgendwann dieses Wort aus: Querschnittlähmung. Genau eine Woche nach dem Eingriff wird Irma Ulm ins Heidberg-Krankenhaus verlegt. Dort entfernen ihr die Ärzte den Bluterguss in der Wirbelsäule. "Im Operationsbericht steht, dass das Blut in einem Schwall aus ihrem Rücken kam", sagt Peter Ulm. Und es gibt eine furchtbare Erkenntnis. Irma Ulm wurde offenbar zu spät operiert, sie wird für den Rest ihres Lebens gelähmt sein.

"Für uns brach die Welt zusammen", sagt Peter Ulm. Seine Frau wird ins Unfallkrankenhaus Boberg verlegt. "Zuerst haben ich nur geweint", sagt Irma Ulm. Und auch, als sie sich an die Zeit nach der Diagnose erinnert, ringt sie um Fassung. Doch dann kommt wieder die starke Frau in ihr durch. Genau wie damals, als sie monatelang kämpfte, um die Kontrolle über ihren Körper zurück zu bekommen. "Wenn ich erst sitzen kann, kann ich auch bald wieder laufen", hofft Irma Ulm damals. "Da war nur dieser eine Gedanke: Ich muss wieder mobil werden." Und sie macht Fortschritte. "Wir haben gejubelt, als meine Frau nach drei Tagen ihren Zeh bewegen konnte", erzählt Peter Ulm. Er bewundert seine Frau für ihre innere Kraft, mit der sie in Boberg trainierte. Andere Patienten dort hätten nur wenig Antrieb gehabt. "Aber meine Frau hat nicht nur Humor, sie hat auch einen unbändigen Willen."

Juni 2005. Nach vier Monaten kann Irma Ulm zurück nach Hause. Doch nichts ist mehr wie zuvor. Sie ist pflegebedürftig, kann nicht mehr ohne Hilfe das Bad benutzen oder in den geliebten Wald gehen. "Unser Leben hat sich so sehr verändert", sagt Peter Ulm. In ihrem ebenerdigen Haus kann seine Frau sich zwar gut bewegen. In den Garten fährt sie jetzt mit dem Rollstuhl. Aber auf die Straße habe sie sich damit nicht getraut, erzählt Peter Ulm. "Sie hat sich geschämt."

Anwalt Köppke ist überzeugt, dass seine Mandantin falsch behandelt wurde. Und dass der Fehler vermeidbar gewesen wäre. Im Juni 2009 hat er Klage gegen den Krankenhausträger eingereicht. Zuvor habe die Versicherung der Klinik Irma Ulm 10 000 Euro angeboten. "Das haben wir abgelehnt", sagt Anwalt Thomas Köppke, der solche Angebote in Hinblick auf die oft jahrelangen Prozesse für "Erpressung" hält. Er fordert 80 000 Euro Schmerzensgeld für Irma Ulm.

Zwei Gutachter hätten den Behandlungsfehler bestätigt. Köppke drängt auf eine schnelle Entscheidung. "Was nützt Frau Ulm Schmerzensgeld, das in zehn Jahren ausgezahlt wird?" Dann wäre Irma Ulm 99 Jahre alt. Vor einem Jahr ist das Ehepaar aus dem Haus, in dem es 34 Jahre gelebt hatte, ausgezogen. "Wir haben weit unter Wert verkauft", sagt Irma Ulm mit trauriger Stimme. Mit ihrem Mann ist sie in den Rosenhof gezogen. Ihr Apartment hat sie gemütlich eingerichtet. Auf dem dunklen Holzschrank stehen kleine goldene Skulpturen. Daneben hängt ein Foto, das ihren geliebten Rottweiler zeigt. Hinter dem hellen Ledersofa ein Landschaftsgemälde an der Wand.

Doch Irma Ulm kann ihr früheres Leben nicht vergessen. Ihr neues Zuhause erinnert sie an einen goldenen Käfig. "Ich fühle mich gefangen. Und das, weil die Ärzte damals nicht rechtzeitig reagiert haben."