Von 1918 bis heute: Bewohner des Rosenhofs zeigen, welchen Einfluss die große Weltgeschichte auf ihren ganz persönlichen Werdegang hatte.

Großhansdorf. "Meine Güte. Wie fährt der Alte vor mir bloß! Manchmal sitze ich im Auto und höre mich einen solchen Satz rufen. Dabei bin ich selbst gerade auf dem Weg zum Rosenhof", sagt Bernhard Stolingwa, Jahrgang 1927. "Alt? Das sind doch immer nur die anderen", meint der 82-Jährige voller Selbstironie. Der Großhansdorfer hat viel durchlitten: Bombenangriffe, sein Elternhaus in Flammen, Hunger, die Stunde Null und eine gestohlene Jugend. Mit 16 wurde er Soldat. Mit 19 stand er vor dem Nichts. Jetzt hat er seine Lebenserinnerungen aufgeschrieben.

Auch Ilse Voß, Rita Mai, Ines Hauptmann, Uta Pelkmann und Frank Kürschner-Pelkmann - sie alle wohnen im Großhansdorfer Rosenhof 2 - haben in der Biografiewerkstatt mitgemacht. Nun liegt es vor ihnen, das gemeinsame Werk. 500 Jahre Erfahrung stecken im Buch "Wege des Lebens".

Die Geschichten reichen von 1918 bis 2009. Der Krieg ist bei allen der dunkle Faden der Erinnerung, überstrahlt vom Willen zum Überleben und dem Wunsch nach Liebe und einem kleinen Glück.

"Zu guter Letzt" und "Wacker geschlagen" heißen Kapitel. Für Rita Mai war das Wichtigste, dass sie alles "Aus eigener Kraft" geschafft hat. "Ich wollte das Leben genießen. Und das habe ich auch getan", sagt die 89-Jährige mit mädchenhaftem Charme. Ein Bild zeigt sie in strahlendem Weiß auf ihrem Segelboot. Das waren glückliche Stunden. Es gab auch andere. Ihr Vater lag im Ersten Weltkrieg in Frankreich im Schützengraben und holte sich Tuberkulose. "Er starb, als ich drei war." Die Mutter bekam 40 Reichsmark Witwenrente - bei 48 Reichsmark Miete. Zur Einschulung bekam die kleine Rita einen schwarzen Plüschhut. Als sie aus der Klasse kam, war er von der Garderobe gestohlen worden. "Später habe ich mir für 50 Pfennige eine Strickmütze besorgt. Ich musste mit allem allein fertig werden." Rita Mai wurde Fachkraft für Maschineschreiben und Kurzschrift und holte 1955 an der Abendschule ihr Abitur nach. "Morgens sechs Stunden Unterricht an der Handelsschule, abends vier Stunden lernen", erzählt die alte Dame stolz, die später Beamtin wurde.

Mit der Liebe klappte es nicht so gut. "Ich habe zweimal denselben Mann geheiratet. Aber er war nicht treu. Die Scheidung hat jedes Mal 1500 Mark gekostet. Heiraten ist billig, aber Scheidung kostet", sagt sie mit dem Humor des Alters.

"Unsere Bewohner haben so viel erlebt", sagt Rosenhof-Direktor Sebastian Nimmesgern (39), der den Anstoß für die Biografiewerkstatt gegeben hatte. "Es ist wichtig, dass die jüngere Generation nachlesen kann, was passiert ist." Bernhard Stolingwa kann das bestätigen: "Wir bekamen Bezugsscheine. 30 Gramm Butter standen uns zu. Für eine Woche! Als ich das meinem Enkel erzählte, sagte er: Opa, du tüdelst doch." Jetzt kann der Enkel nachlesen, was Opa im Krieg erlebt hat, wie er sich vom Hilfsarbeiter bis zum Bereichsleiter der Galvanik im Axel-Springer-Druckhaus in Ahrensburg hochgearbeitet hat. Wie er ein Häuschen in Florida gekauft hat und jetzt mit Freude Ahnenforschung betreibt. Vielleicht hat er es geschafft, weil auch er immer das Positive gesehen hat. Über den Neubeginn nach dem Krieg schreibt er: "Nun hatte ich endlich meine Gesellenprüfung. Was ich nicht hatte, war Arbeit. Aber ich hatte eine Freundin! Schon 1947 haben wir geheiratet."

Dass ein Buch aus der Biografiewerkstatt entstehen würde, war nicht geplant. "Das hat sich ergeben", sagt der Journalist Volker Diel, der den Senioren beim Schreiben geholfen hat. Zunächst ging es nur um die Erinnerung an die 18 ersten Lebensjahre. Für Ines Hauptmann, Jahrgang 1932, war das der entscheidende Zugriff auf die Vergangenheit. Bis zum Herbst 1941 besuchte sie eine Dorfschule. Im November fiel ihr Vater, mit ihrer Mutter zog sie nach Travemünde. "Dann kam der Bombenangriff auf Lübeck. Es war zu gefährlich, dorthin zur Oberschule zu fahren. Ich habe nie Abitur gemacht", erzählt sie. "Durch das Aufschreiben ist es weniger schlimm geworden. Ich konnte endlich erklären, wie es dazu gekommen war", sagt die 77-Jährige, die als Leiterin der Bücherhalle in Hamburg-Farmsen ihr berufliches Glück fand.

Das Buch "Wege des Lebens" gibt es in der Großhansdorfer Buchhandlung Kohrs (Eilbergweg). Es kostet 7,50 Euro. Die Autoren stellen es am kommenden Mittwoch ab 15 Uhr im Rosenhof 2 in Großhansdorf vor. Anmeldung: Telefon 04102/69 90 69.