Kritik an Polizei: Ursache für Unfälle werde oft nicht erkannt. ADAC-Sprecher fordert Ärzte auf, Patienten besser zu informieren.

Bad Oldesloe. In Deutschland setzen sich Millionen Autofahrer hinters Steuer, obwohl ihre Fahrtüchtigkeit durch Medikamente beeinträchtigt ist. Auch in Stormarn beobachten Verkehrsexperten eine besorgniserregende Entwicklung. Bei einem Unfall in Glinde kam 2008 sogar eine Radfahrerin ums Leben, weil ein Mann, der unter dem Einfluss von Psychopharmaka stand, eine rote Ampel übersehen hatte.

Wie hoch die Zahl der Menschen ist, die täglich unter Einfluss von Medikamenten auf Stormarns Straßen unterwegs sind, ist unklar. Nur schwer lassen sich die Mittel nachweisen. Nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) werden unter dem Einfluss von Arzneien inzwischen aber ebenso viele Unfälle verursacht wie unter Alkoholeinfluss. Bis zu sieben Prozent der jährlich rund 2,2 Millionen Verkehrsunfälle in Deutschland seien auf medikamentenbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführen, sagte DGVM-Präsident Rainer Mattern der dpa in einem Interview. Fahruntüchtigkeit werde in erster Linie durch Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie durch Psychopharmaka verursacht, sagte Mattern.

Auch die Krankenkassen schlagen Alarm. "Die Zahl der psychisch erkrankten Menschen steigt von Jahr zu Jahr", sagt Volker Clasen von der Techniker Krankenkasse. Nach einer Statistik der Betriebskrankenkassen aus dem Jahr 2009 hat sich die Zahl der Verordnungen von Psychopharmaka in den vergangenen drei Jahren verdoppelt. Aber nicht nur psychisch kranke Menschen nehmen die beruhigenden oder aufputschenden Mittel. Eine Umfrage im Auftrag der DAK unter 3000 Arbeitnehmern im Alter von 20 bis 50 Jahren in Schleswig-Holstein ergab, dass fünf Prozent der Befragten aufgrund starker psychischer Belastungen am Arbeitsplatz Aufputschmittel schlucken. Hochgerechnet auf alle Erwerbstätigen in Schleswig-Holstein sind dies gut 63 000 Menschen. Gut ein Prozent der Befragten gab an, täglich bis mehrmals im Monat Tabletten zu nehmen. "Männer frisieren ihr Leistungspotenzial, Frauen polieren ihre Stimmung auf", sagt DAK-Landeschefin Regina Schulz im DAK-Gesundheitsreport 2009. "Häufig sind Medikamente im Straßenverkehr schwer nachzuweisen", sagt Verkehrsexperte Kay-Uwe Güsmer von der Stormarner Polizei. "Fakt ist, dass jedes fünfte Medikament die Fahrtüchtigkeit beeinflusst." Ein Alkoholtest sowie ein Drogenschnelltest entlarven diese Verkehrssünder nicht. Erst ein Bluttest gäbe Aufschluss. Dieser wird jedoch erst gemacht, wenn der Drogenschnelltest positiv ausgefallen ist. DGVM-Präsident Rainer Mattern, geht davon aus, dass Polizisten nach Verkehrsunfällen nur selten auf die Idee kämen, Beteiligte auf Medikamentenkonsum untersuchen zu lassen.

Der ADAC geht zudem davon aus, dass vielen Autofahrern nicht bewusst sei, dass sie bei Einnahme bestimmter Präparate fahruntüchtig werden. Sprecher Matthias Schmitting zur Regionalausgabe Stormarn: "Die Ärzte müssen Klartext reden. Und die Patienten müssen sich bei Medizinern und Apothekern informieren."