Auf seiner 6000 Kilometer langen Radtour durch Europa hatte der Ahrensburger Joachim Klemich oft Gegenwind - aber auch unheimlich viel Spaß.

Ahrensburg/Malaga. Joachim Klemich ist braun gebrannt. Sieht gut erholt aus. Wirkt entspannt. Wie jemand, der gerade Urlaub auf einer fernen Insel gemacht hat. Hat er aber nicht. Statt unter Palmen an einem Strand mit weißem Sand zu liegen und in smaragdgrünem Wasser zu baden, ist Joachim Klemich Fahrrad gefahren. 6000 Kilometer. In zwölf Wochen. Von Malaga im Süden Spaniens aus, durch Portugal, Frankreich, Belgien, Holland zurück bis ins heimische Ahrensburg.

"Die Idee kam mir vor Jahren", sagt der Lehrer, der an einer Waldorfschule in Farmsen unterrichtet. 1996, als er noch als Werkzeugmacher-Meister in Bargteheide bei Getriebe Nord arbeitete, fuhr er immer mit dem Rad zur Firma. "Als ich zwischen Wiesen und Feldern bei Delingsdorf gestrampelt bin, kam mir plötzlich der Gedanke: 'Wie schön wäre es jetzt, einfach immer weiterzufahren'", sagt Klemich. "Diesen Wunschtraum habe ich all die Jahre gehegt und gepflegt."

Am 24. Mai verwirklichte er seinen großen Traum und flog samt seinem Fahrrad nach Malaga. Ständig in Bewegung zu bleiben, die Landschaft zu genießen und allein unterwegs zu sein - das habe ihn so sehr gereizt. "Wandern wäre mir zu langsam gewesen. Eine Tour mit dem Reisebus zu indirekt." Allein an der Atlantikküste entlang zu radeln, sei eine Chance gewesen, "die Dinge einmal völlig anders zu sehen. Die Kommunikation mit anderen Menschen ist bestimmend in unserem Leben. Ich wollte erfahren, wie ich denke und handele, wenn es diesen Austausch gar nicht gibt. Keine Routine", sagt der 54-Jährige.

In Andalusien startete er mit seiner Tour. "Ich besuchte Städte in Andalusien, Granada, Cordoba. Während dieser Etappe entwickelte ich ein Gefühl dafür, wie es ist, allein durch ein fremdes Land zu radeln." An die körperliche Anstrengung und die Nächte im Zelt, daran habe er sich schnell gewöhnt. "Worüber ich mich gewundert habe, waren die inneren Veränderungen: Das klingt banal, aber ich habe gelernt, dass ich auch langsamer leben kann als sonst." Bei solch einer Tour stelle sich ein neues Tempo ein. "Man ist mehr in der Gegenwart. Ich habe nicht darüber nachgedacht, wann ich wo ankomme und wie lange ich dafür brauche."

Joachim Klemich hat den Moment gelebt. "Auch wenn die Hitze, der Staub, der Verkehr, fehlende Radwege, bergige Landschaft und Gegenwind das Radfahren nicht immer zum Vergnügen gemacht haben", sagt er und lacht. Als er von Malaga ins Landesinnere vier Stunden lang permanent bergauf habe fahren müssen, da habe er sich schon gefragt, "warum tue ich mir das an?" Aber irgendwann sei er oben angekommen. "Ich konnte über eine Wahnsinns-Landschaft blicken, fühlte mich sofort entschädigt. Dann hatte alles wieder einen Sinn. Ich wusste: Genau dafür bist du hergekommen." Das ging ihm auch durch den Kopf, als er mitten in der Wildnis ein Wiedehopf-Pärchen entdeckte. "Ein echter Glücksmoment. Wie eine Belohnung." Die Weite der andalusischen Felder, die schroffe Felsenküste Portugals, die Pinienwälder Südfrankreichs - Bilder der Natur, die bei Joachim Klemich Eindruck hinterlassen haben.

Erinnerungsfotos hat er keine. "Mein Fotoapparat wurde mir in der Bretagne gestohlen" , sagt er. Verärgert klingt er nicht. "Das sollte vielleicht so sein." Diese Gelassenheit zu empfinden, sei auch eine neue Erfahrung. "Die Fähigkeiten, ruhig zu bleiben, auch wenn wieder ein Berg auftaucht, Widrigkeiten mit Gleichmut hinzunehmen, haben sich auf der Reise zunehmend entwickelt." Ein Stück weit könne er diese Gelassenheit auch in seinen Alltag transportieren.

Vergessen wird er so manch unangenehme Situation während seiner Tour aber nicht. "Zum Beispiel den Weg nach Sevilla. Ich hatte mir immer eine nette Stadt mit krummen Gassen und weißen Häusern vorgestellt." Die Wirklichkeit habe jedoch anders ausgesehen: "Als ich durch die stillgelegten, staubigen Industrie-Vororte fuhr, türmten sich rechts und links der Müll, überall abgewrackte Fabrikgebäude. Dazwischen hatten Zigeuner ihre Lager aufgeschlagen." Vermutlich seien es die harmlosesten Menschen der Welt gewesen. "Aber ich dachte nur daran: 'Wenn du jetzt einen Platten hast, bist du verloren.' Die Umgebung war einfach beängstigend." Als unheimlich würden es wohl auch viele empfinden, auf einem Friedhof zu übernachten. Joachim Klemich nicht. "Es war eine ungewöhnliche Schlafstätte, aber schön ruhig", sagt er und schmunzelt. Er sei an dem Tag in der Nähe von Caen in Nordfrankreich auf der Suche nach einem Zeltplatz gewesen. "Es war ein sehr heißer Tag und am Horizont brauten sich Gewitterwolken zusammen", erinnert er sich. Den Friedhof habe ich erst gar nicht als Friedhof erkannt. "Es sah eher aus wie ein Vorgarten einer Villa. Doch dann entdeckte ich einige wenige Grabsteine." Es sei wohl ein ganz neu angelegter Friedhof gewesen. Sein Zelt habe er dennoch dort aufgeschlagen. Angst habe er keine gehabt.

Im Unterschied zu der Nacht auf einem Zeltplatz in Portugal. "Außer mir und der Dame an der Rezeption war keine Menschenseele auf dem Platz", sagt Joachim Klemich. "Und nebenan war ein verlassenes Geister-Schwimmbad." Die ganze Atmosphäre sei ziemlich unheimlich gewesen. "Nachts wachte ich durch merkwürdige Geräusche auf. Es hörte sich an wie Möwen. Vielleicht waren es aber auch große Kröten. Auf jeden Fall sorgten die Geräusche dafür, dass ich etwa zwei Stunden lang wach lag."

Länger als eine Nacht blieb Joachim Klemich nur selten an einen Ort. "Spätestens nach zwei Tagen hat es gekribbelt." Dann habe es ihn wieder auf den Sattel getrieben. "Die schweißtreibende Bewegung unter freiem Himmel war mir so zur Gewohnheit geworden, dass ich einen Mangel empfand, wenn ich 'nur' durch die Stadt spazieren ging", sagt er. Und durch welches Land ist er am liebsten gefahren? "Frankreich. Weil ich dort zum ersten Mal Rückenwind hatte. Und anders als in Spanien ist Frankreich ein Fahrradland. Mit gepflegten Asphalt. Zudem sind die Sprache und Städte wie Bordeaux einfach wunderschön."

Und hat er irgendwas vermisst? "Klar, meine Kinder, meine Freunde - und mein Bett", sagt er und lacht. Den Komfort zu Hause wisse er zu schätzen, nach zwei Monaten Vagabundenleben im Zelt. Je näher er Ahrensburg gekommen sei, desto schöner habe er die Landschaft empfunden. "Und umso heimischer habe ich mich gefühlt." Es sei einfach schön, nach der Zeit allein wieder bei der Familie zu sein.

Von Menschen, denen er während seiner Reise begegnet ist, seien ihm vor allem die in Erinnerung geblieben, die ähnliches gemacht haben wie er. "An meinem fünften Tag kam mir kurz vor Cordoba ein anderer Radfahrer entgegen." Es sei ein Australier gewesen, der ihm erzählt habe, dass er bereits seit einem Jahr mit dem Rad unterwegs sei. "Der Mann hat eine unglaubliche Ruhe ausgestrahlt. Das hat mich zutiefst beeindruckt."

Ruhe - die verströmt auch Joachim Klemich. Zufriedenheit und Lebensfreude spiegeln sich in seinen Augen wieder. Und plötzlich klingt eine 6000-Kilometer-Tour mit dem Fahrrad gar nicht mehr nach einer Höllen-Strapaze, sondern eher nach einer wunderbaren Erfahrung.