Nach einer neuen Studie der Techniker Krankenkasse sind gut drei Viertel aller Schüler und Studenten betroffen. Experten: “Kinder brauchen auch Freizeit.“

Ahrensburg. Gut drei Viertel aller Schüler und Studenten in Norddeutschland leiden unter Stress. Das hat eine Studie der Techniker Krankenkasse ergeben. Auch in Stormarn sind Schüler von Stress betroffen. "Viele Kinder kommen wegen Leistungsdrucks und Problemen mit den Hausaufgaben", sagt Ulrike Koch vom Schulpsychologischen Dienst des Kreises.

Eigentlich sind Manager, Ärzte und Lehrer von Stress betroffen - vermuten Laien. Aber auch Schüler kämpfen jetzt vermehrt mit den Folgen wie Muskelverspannungen, Magenbeschwerden und Kopfschmerzen, gehen deswegen zum Arzt. "Es ist wichtig, dass die medizinischen Ursachen für die Symptome abgeklärt werden", sagt die Psychologin. Als größten Auslöser für Stress nennen die in der Umfrage befragten Schüler Prüfungsangst. "Aber Perspektivlosigkeit in Anbetracht der Arbeitsmarktsituation spielt ebenfalls eine Rolle", sagt Ulrike Koch. Auch der hohe Leistungsdruck, viele Freizeitaktivitäten und soziale Anspannung unter Gleichaltrigen tragen zum Stress bei.

Denise Eltermann (12) hat nur donnerstags keine Aktivität neben der Schule. Die Siebtklässlerin nimmt Mathe- und Englischnachhilfe, singt im Schulchor und geht zweimal wöchentlich zum Luftgewehrschießen. "Das ist zwischendurch echt stressig, aber ich nehme dann noch mal all meine Kraft zusammen", sagt sie. Auch ihre Freundinnen haben nachmittags viel vor. "Ab der siebten Klasse hat man mit der Schule und den Hausaufgaben so viel zu tun, zum Verabreden hat man keine Zeit mehr."

So wie Denise nimmt inzwischen nahezu jeder zweite Gymnasiast der Klassen fünf bis zehn Nachhilfe, das hat die Universität Koblenz-Landau in einer bundesweiten Studie herausgefunden. Auch in Stormarn lernen viele Kinder noch neben der Schule in privaten Nachhilfe-Instituten. "Wir haben seit Anfang Januar 40 bis 50 Prozent mehr Schüler", sagt Susan Brüning, die Leiterin der Nachhilfeschule Studienkreis Ahrensburg. Mathe sei das Knackfach, gefolgt von Englisch. Vor allem Zehntklässler würden vermehrt kommen. "Viele kommen auch prophylaktisch."

Das sagt auch Sven Runde vom Bildungsministerium Schleswig-Holstein. "Einige Kinder bekommen Nachhilfe, obwohl sie nicht schlecht sind, etwa auf drei stehen. Die Eltern wollen ihren Kindern den bestmöglichen Start ermöglichen und setzen sich und ihre Kinder unter Druck." Auch Hobbys können stressig sein. "Kinder brauchen auch Freizeit", sagt Elke Krüger-Krapoth, Vorsitzende des Landeselternbeirates der Gymnasien. Sie hält die zusätzliche Belastung durch Nachhilfe nur in Ausnahmen für gerechtfertigt. "Kinder müssen den Stoff aus dem Unterricht mitbekommen. Schule muss funktionieren, dann ist Nachhilfe nicht nötig". Damit Schule funktionieren kann, bräuchten die Lehrer eine angemessene Ausbildung. "Die Lehrer sind nicht ausgebildet für das, was man ihnen jetzt vorgegeben hat, für die Individuelle Förderung, für offenen Unterricht."

Susan Brüning hält es für utopisch, Nachhilfe ganz abzuschaffen. "Um alle Kinder in den Schulen ausreichend zu fördern, sind die Gelder gar nicht da. Von einigen Schülern hören wir, dass in der Schule sehr wenig Hilfestellung gegeben wird." Durch die großen Klassen stünden die Lehrer sehr unter Druck. Aber eben auch die Schüler. "Viele Kinder verzweifeln an den hohen Anforderungen, die Lehrer, Eltern und sie selbst an sich stellen." Kopfschmerzen und Übelkeit seien Symptome, "aber es gibt auch Kinder, die sich vor der Schule weinend auf dem Klo eingeschlossen haben".

Susan Brüning vermutet, dass der Stress auch durch mangelnde Organisation entsteht. "Viele fangen zu spät an zu lernen, arbeiten erst, wenn Klausuren anstehen und organisieren ihren Alltag nicht richtig", sagt die 55-Jährige. Deshalb bietet sie an Schulen Lernkompetenzkurse an. "Die Kinder müssen lernen, sich zu organisieren." Die Psychologin Ulrike Koch stimmt zu und rät zur Problemforschung: "Wichtig ist es, die Ursachen zu finden. Sowohl Unter- als auch Überforderung führt zu Stress. Man muss die richtige Schulform finden. Die Probleme sind aber auch komplexer geworden. Oft gibt es an vielen Fronten Ärger. So zum Beispiel mit den Lehrern, Eltern, Mitschülern oder der Leistung."