Pädagogen und die GEW üben Kritik am Urteil des Bundesgerichtshofes. Sie halten es für problematisch, dass Schüler Lehrer anonym bewerten dürfen.

Stormarn. Mit Unverständnis und zum Teil herber Kritik reagieren die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Schleswig-Holstein und Stormarner Pädagogen auf das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) zum virtuellen Schülerportal spickmich.de - sie halten es für problematisch, dass Schüler weiterhin anonym Lehrer im Internet benoten dürfen, zum Beispiel in den Kategorien "fachlich kompetent", "cool und witzig" oder "menschlich". "Spickmich.de ist kein sinnvolles Instrument für Schüler, um an Lehrern Kritik zu üben", sagt Bernd Schauer, Landesgeschäftsführer der GEW Schleswig-Holstein. "Wir halten das Urteil des BGH für falsch." Schließlich werde auf dem Schülerportal das Persönlichkeitsrecht von Lehrern verletzt. "Schüler können auf der Internetseite anonym ihren Frust rauslassen, bewerten einen Lehrer zum Beispiel nur schlecht, weil er ihnen eine Fünf in einer Klassenarbeit gegeben hat." Im weltweiten Netz sei dann für alle zu lesen, dass Lehrer XY etwa nie vorbereitet sei, unfaire Noten vergebe und unmenschlich sei. Schauer: "Das ist inakzeptabel."

"Eine anonyme Beurteilung von Lehrern im Internet halte ich für falsch", sagt auch Vita Hauck, Schulleiterin der Johannes-Gutenberg-Schule in Bargteheide. Wenn die Atmosphäre in einer Schule gut sei, werde Kritik offen geäußert. "Wenn Schüler es allerdings nötig haben, im Netz ihre Kritik zu äußern, dann stimmt an der Schule etwas nicht", sagt Hauck. Wichtig sei, dass zwischen Lehrern und Schülern ein gutes Vertrauensverhältnis bestehe, sagt Konrektorin Sonja Störmer. "Das ist bei uns der Fall. Das zeigt das überragende Ergebnis einer externen Befragung." Viele Kollegen führen zudem Umfragen unter ihren Schülern durch, bei denen sie den Unterricht bewerten können, sagt Frauke Schneider, stellvertretende Konrektorin.

Dass den Mädchen und Jungen in der Schule die Möglichkeit gegeben wird, Lehrer zu kritisieren, sei enorm wichtig, sagt auch Bernd Schauer von der GEW. "Vor allem müssen sich die Lehrer dieser Kritik auch stellen." Optionen dafür seien ein offener Dialog, aber auch anonyme Fragebogen, die im Klassenzimmer diskutiert werden. Schauer: "Entscheidend ist, dass Schulen eine offene Kultur pflegen - da gibt es noch einige Defizite."

Schülern kritikfähig gegenüber zu treten, ist auch Hartmut Johann wichtig. Der Schulleiter der Integrierten Gesamtschule Barsbüttel bemängelt an spickmich.de, dass Schüler dort Rachegefühle ausleben könnten. "Problematisch ist auch, dass betroffene Kollegen niemanden zur Rechenschaft ziehen können, da die Schüler anonym bleiben."

Gerd Burmeister, Schulleiter des Heimgarten-Gymnasiums in Ahrensburg, kritisiert insbesondere die Willkür, mit der die Pädagogen auf der Internetseite bewertet werden. "Einzelne Schüler können Stimmung gegen einen Lehrer machen - das ist gefährlich." Zudem spiele bei der Benotung der persönliche Geschmack häufig eine große Rolle. Ob Kollegen seiner Schule, die eine "intensive Feedback-Kultur" pflege, auf spickmich.de vertreten sind, weiß Burmeister nicht: "Aber davon gehe ich aus."

Zu Recht. Aus dem Kreis Stormarn sind Schulen aus Ahrensburg, Bad Oldesloe, Bargteheide, Glinde und anderen Gemeinden auf dem Schülerportal zu finden. Volker Wurr, Schulleiter der Integrierten Gesamtschule Glinde, beunruhigt das nicht: "Damit müssen wir leben. Wir benoten Schüler, sie benoten uns." Zudem wisse ja jeder, dass die Bewertungen auf spickmich.de subjektive Wahrnehmungen seien. Wurr: "Das müssen wir uns eben gefallen lassen." Dass Schüler auch weiterhin fleißig Noten verteilen dürfen, sei für ihn "undramatisch".

Einer, der sich über das Urteil des BGH freut, ist Tino Keller. Vor zwei Jahren gründete er mit zwei Studenten das Internetportal spickmich .de. "Wir begrüßen das Urteil und sind erleichtert, dass nun ein Schlussstrich gezogen worden ist", sagt der 28-Jährige zur Stormarn-Ausgabe des Abendblattes. Es bestätige die Urteile, die bereits in früheren Prozessen gefällt worden seien. "Die Kritik an unserem Portal kann ich nicht nachvollziehen. Wir stellen niemanden an den Online-Pranger. Es geht nicht um persönliche Beleidigungen, sondern darum, wie Lehrer ihren Job machen." Bei spickmich.de seien inzwischen rund eine Million Schüler registriert, die etwa 400 000 Lehrer bewerteten. "Aber nur 80 000 Lehrer werden mit Note angezeigt, da mindestens zehn Schüler für einen Lehrer eine Beurteilung abgegeben müssen." Und wie erklärt er sich den großen Erfolg des Portals? Tino Keller: "Viele Schulen haben es versäumt, eine Feedback-Kultur einzuführen."