Die Ahrensburger Hebamme berichtet in der Stormarn-Ausgabe des Abendblattes über ihren Traumberuf.

Ahrensburg

Das erste Mal - das wird Mareike Rettberg nie vergessen. "Es war groß. Sehr groß", erinnert sich die Frau mit den strahlend grünen Augen und macht es sich auf einer weichen Gymnastikmatte gemütlich. Ihr Lachen erfüllt den Raum mit den orangefarbenen Wänden. "Es war ein Fünf-Kilo-Baby. Normal sind drei bis dreieinhalb Kilo für einen Neugeborenen." Der Säugling mit dem beachtlichen Gewicht kam 1986 in Braunschweig zur Welt. Mareike Rettberg war damals 19 Jahre alt und Praktikantin im Kreißsaal. "Und schwer angerührt."

Es war die erste Geburt, die sie miterlebt hat. Dabei zu sein, als das Baby seinen ersten Lebensschrei von sich gab, der Mutter die Freudentränen über die Wangen liefen, als sie das kleine Wesen das erste Mal im Arm hielt - das sei ein höchst bewegender Moment gewesen. Und der Moment, in dem Mareike Rettberg wusste: "Ich werde Hebamme."

Inzwischen arbeitet sie seit 19 Jahren in dem Beruf. War unter anderem Hebamme in einem Kreißsaal in Oberbayern, ist in Berlin im sogenannten "Storchenwagen" für Geburtsnotfälle mitgefahren, hat zig Hebammen ausgebildet. Seit einem Jahr arbeitet sie selbstständig mit drei Kolleginnen in der Hebammenpraxis in Ahrensburg (siehe Info-Kasten). Sie ist eine von 37 Hebammen im Kreis Stormarn, die im Hebammenverband Schleswig-Holstein organisiert sind. Und die heute, am Internationalen Hebammentag, Flagge zeigen (siehe Info-Kasten).

"Hebamme zu sein, ist nach wie vor mein Traumberuf", schwärmt die zweifache Mutter und blickt auf ein Bild an der Wand. Es zeigt den runden Bauch einer Schwangeren. In dem Raum mit den blauen Matten und den großen Kissen gibt sie unter anderem Vorbereitungskurse für werdende Mütter. Rund 2000 Babys werden im Kreis Stormarn jährlich geboren, davon kommen knapp fünf Prozent der Mädchen und Jungen zu Hause auf die Welt. Bei wie vielen Entbindungen Mareike Rettberg im Laufe der Jahre dabei war, weiß sie nicht. "Die ersten 1500 Geburten habe ich dokumentiert. Dann habe ich aufgehört", sagt sie. "Weil Zahlen nicht wichtig sind." Bedeutsam sei, für die Frauen da zu sein. "Im Krankenhaus kommt die Betreuung oft zu kurz, weil sich die Hebammen dort meistens um mehrere Frauen gleichzeitig kümmern müssen" Aber die Überlastung sei ja leider in vielen Bereichen des Gesundheitswesens Alltag. Zudem nähmen sich Mütter oft zu wenig Zeit für das Wochenbett. "Weil sie sich unter Druck gesetzt fühlen. Ihnen die Gesellschaft suggeriert, sie müssten schnell wieder funktionieren. Gut aussehen. Arbeiten. Den Haushalt schmeißen", kritisiert Rettberg. "Das ist am Leben vorbei." Frauen stehe nach der Geburt eine Auszeit zu, und diese sollten sie sich auch nehmen. "Schließlich dauert es seine Zeit - etwa drei Monate - bis sich das Leben mit Kind zurechtgeruckelt hat."

Wenn ein Kind zur Welt komme, gestalte sich das ganze Leben um. "Die Eltern setzen neue Prioritäten, fragen sich, was wirklich wichtig ist und was nicht." Die Frauen an diesem Wendepunkt, in dieser besonderen Lebensphase zu begleiten, das sei das Reizvolle an ihrem Beruf.

"Es gibt Momente, in denen die Zeit stehen bleibt", sagt Mareike Rettberg. "Und zwar dann, wenn das Leben anfängt und wenn das Leben aufhört." Momente, in denen man innehält. Die an Intensität wohl nicht zu überbieten sind. "Nicht nur ich, auch mein Mann erlebt diese Phasen." Er arbeitet im Hospiz. Begleitet Menschen, die nicht mehr lange zu leben haben. Sie begleitet Frauen, die bald ein Baby zur Welt bringen. Kinder, die noch ihr ganzes Leben vor sich haben. Aber auch Mareike Rettberg erlebt als Hebamme diese anderen Momente. Die traurigen. Die, in denen das Leben schon aufhört, bevor es überhaupt begonnen hat. "Frauen, die eine Totgeburt hatten, begleiten wir selbstverständlich auch", sagt sie. Auch für diese Frauen ist sie da. In dieser Phase der unvorstellbaren Verzweiflung und Trauer. Als Wegbegleiterin. Die hilft, das traumatische Erlebnis zu verarbeiten. "Zum Glück habe ich mit dem Tod weniger zu tun", sagt sie.

Denn fast immer geht es um das Leben. Die Hebamme und Stillberaterin lächelt: "Für mich ist es immer wieder ein Wunder, wie perfekt jedes Baby auf die Welt kommt. Dieses wunderbare Zusammenspiel bei der Geburt von Mutter und Kind ist immer wieder faszinierend." Zur Normalität könne das nie werden.

Anlass zum Staunen geben Mareike Rettberg aber auch die manchmal sehr skurrilen Erlebnisse und Wünsche der Mütter während der Entbindung. "Einmal hat mich eine Frau, die in den Wehen lag, gebeten, ihr etwas vorzusingen", erinnert sie sich und lacht vergnügt. "Ich habe dann Georg Friedrich Händels ,Halleluja' geschmettert - das war eine echte Herausforderung." Die Frau habe es auf jeden Fall beruhigt. "Und das war die Hauptsache." Bei einer anderen Geburt habe die Frau eine Hock-Position eingenommen. "Das Köpfchen des Kindes war schon zu sehen." Deshalb habe sie der Frau einen Spiegel gegeben, damit sie es auch habe sehen können. "Die Frau war von dem Anblick so fasziniert, dass sie eine Presswehe veratmet hat", sagt Mareike Rettberg und schmunzelt. "Das war unglaublich."

Die Frauen in jeder Lage zu unterstützen, ist für Mareike Rettberg eine Herzensangelegenheit. Doch es gibt auch Wünsche der Schwangeren, die sie äußerst kritisch bewertet. "Es gibt seit einiger Zeit den Trend, dass sich die Frauen einen Kaiserschnitt wünschen. Sie haben Angst vor der Geburt oder können mit der Unplanbarkeit nicht gut umgehen und wollen den Termin deshalb selbst festlegen. Das ist entsetzlich. Und von der Natur nicht so gedacht." Aber so sei das eben in unserer Gesellschaft: Was wir nicht planen könnten, mache uns Angst. Es gebe aber auch einen sehr positiven Trend. "Viele Schwangere fragen danach, wie sie möglichst natürlich gebären, ihre eigenen Kräfte gut einsetzen können - ohne medizinische Interventionen." Durch diese Entwicklung sei auch die Zahl der Hausgeburten in den vergangenen Jahren gestiegen.

Auch Mareike Rettberg hat ihren Sohn Tom Frederik (7) zu Hause geboren. Tochter Anna Luisa (4) brachte sie im Krankenhaus zur Welt.

Ein Leben ohne Kinder? Für Mareike Rettberg unvorstellbar. "Sie sind das Geschenk Gottes in unserem Leben, das entsprechend gewürdigt, geachtet und geliebt werden muss", sagt sie und lächelt sanft. "Sie können Wahrheiten auf den Punkt bringen. Zeigen uns den Sinn des Lebens." Eine Gesellschaft ohne Kinder wäre in ihren Augen sehr arm dran. Mareike Rettberg sagt: "Letztlich sind die Kinder die Perlen unseres Schatzes."