Die Uhr rückte auf 11.30 Uhr vor, an diesem Festtag des internationalen Vielseitigkeits-Sports, der sich Geländeprüfung nennt.

Salzhausen - Zu dieser Stunde hatte längst eine kleine Völkerwanderung in der Westergellerser Heide eingesetzt. Da vernahmen die 18 000 Besucher über die in den Bäumen hängenden Lautsprecher: "Am Start Melanie Einsiedl mit ihrem Schimmel Boo Bandit. Die Lokalmatadoren hier in Lumühlen ist jetzt gestartet."

Die blonde junge Frau lenkt ihr Pferd auf das erste Hindernis, einen mächtigen Baumstamm, zu. Der erste Sprung, dann galoppiert Melanie Einsiedl in die bisher größte Herausforderung ihrer Reiterkarriere. Sowohl für die 25-jährige Studentin aus Putensen als auch für ihren elfjährigen Wallach ist das die erste große Drei-Sterne-Prüfung, sozusagen die Aufnahmeprüfung in den erlesenen Kreis der internationalen Elite des Vielseitigkeitssports. Es ist vor allem die Erfüllung all der Wünsche und Träume, die schon das kleine Mädchen angetrieben haben. Melanie Einsiedl war drei oder vier Jahre alt, als sie das erste Mal in den Sattel gehoben wurde, und sie war sechs, als Billi, ihr erstes Pony, zu ihr kam.

"Der Billi konnte sehr stur und eigenwillig sein", erzählt Mutter Barbara Einsiedl, die aus München angereist ist, um der Tochter in Luhmühlen beizustehen. "Aber Melanie hat sich da schon durchgesetzt. Geht nicht, gibt es bei ihr nicht."

Reiter müssen zupacken können. Sich aber auch einfühlsam und voller Geduld auf ihre vierbeinigen Partner einstellen können. Der sportlichen Karriere wegen war Melanie Einsiedl von München nach Luhmühlen gekommen, hatte hier im Ausbildungszentrum Bereiterin gelernt, studiert inzwischen in Lüneburg Betriebswirtschaft. Sieben Jahre ist es her, da haben ihr die Eltern Boo Bandit geschenkt. "Als Dreijährigen habe ich ihnselbst angeritten", wird Melanie Einsiedl später, nach ihrem Geländeritt, erzählen. "Wir beide sind ein Ganzes. Wir sind über die Jahre so vertraut miteinander. Dass ich in den letzten Tagen angespannt war, hat er natürlich gespürt. Damit hat er gewusst, dass auch auf ihn etwas Großes zukommt. Er hat sich auf seine Weise darauf vorbereitet. Er hat viel mehr geschlafen als sonst, ganz so, als wolle er Kräfte sammeln. Als ich heute Morgen in den Stall kam, hat er lang ausgestreckt dagelegen. Dann hob er den Kopf und blinzelte mir zu, als wolle er sagen: Aha, jetzt geht es also los."

Richtig losgegangen war die Milford-Trophy für die Lokalmatadorin am Donnerstag mit der Dressur. Da hatten die beiden nach einer überzeugenden Darbietung das Dressurviereck verlassen, sie mit einem stillen Lächeln, er mit gespitzten Ohren und stolzer Haltung. "Denn Boo Bandit", sagt Melanie Einsiedl, "will immer die Nummer eins sein. Das ist sein ganzer Ehrgeiz. Und das spüre ich in allem, was er macht." Bei der Dressur hatten die beiden in diesem internationalen Spitzenfeld lange auf Platz fünf gelegen. Doch dann haben sie die Olympiasieger Ingrid Klimke und Andreas Ostholt noch auf Platz sieben abgedrängt.

Jetzt, beim Geländeritt, ist über Lautsprecher zu hören: "An Hindernis acht, an der Wellenbahn, hat Melanie Einsiedl eine Verweigerung." Danach eine lange Galoppade von zehn bis 20 Sekunden - unendlich viel Zeit für schreckliche Zweifel und Grübeleien. "Blick nach vorn", ermahnt sich die junge Reiterin und durchlebt später diesen Augenblick ein zweites Mal. "Es war ganz allein mein Fehler. Ich hatte Boo Bandit nicht rechtzeitig die Hilfe gegeben. Er wusste nicht, wann er springen sollte, deshalb ist er an dem Hindernis vorbei geritten." Die 17 Hindernisse, die dann noch folgten, insgesamt 35 Sprünge, alles lief perfekt. Die Verweigerung hatte 20 Strafpunkte und Platz 28 nach dem Geländeritt eingebracht.

Am Abend hat Melanie Einsiedl ihren Schimmel noch einmal gestriegelt, seinen Kopf mit dem Massagehandschuh liebkost, ihn zum Grasen geführt. "Er liebt es, wenn er im Mittelpunkt stehen darf", sagt sie. Am Sonntag ritt das verschworene Team zur letzten Prüfung in den Springparcours ein - und wurde 31. (nos)