Aktivist Karsten Hilsen hat abgelaufene Plätzchen aus einem Müllcontainer gefischt. Nun wird ihm in zweiter Instanz der Prozess gemacht.

Lüneburg. Durch die Glastür links, durchs zweite Treppenhaus in den ersten Stock: Die Beschreibung des hilfsbereiten Pförtners für die Besucher an diesem Morgen ist nett - aber überflüssig. Denn das Landgericht Lüneburg hat den Weg zu zum prominentesten Fall an diesem Tag ganz entgegen gängiger Praxis ausgeschildert: Zum "Hilsen-Prozess" geht's in die 7. Strafkammer, Saal 121. Besser bekannt ist die Sache in der Öffentlichkeit als "Keksprozess". Nun beginnt der zweite Akt, wird die Keks-Akte im Berufungsverfahren erneut aufgeschlagen.

Dass der Fall so prominent ist, dafür hat Cécile Lecomte gesorgt. Die junge Frau um die 30, gebürtige Französin mit abgeschlossenem Studium in mehreren Fächern, lebt seit gut einem Jahr in einer Bauwagensiedlung, die die Stadt Lüneburg im Herbst 2010 ganz offiziell als Sonderbaufläche für "Experimentelle Lebensstile" angelegt hat. Es gibt dort einen Briefkasten, eine Zufahrt für Rettungswagen, einen Stromanschluss und Rohre für Frisch- und Abwasser.

In dem Neubaugebiet der etwas anderen Art also wohnt Cécile Lecomte, die ihr Geld unter anderem als Journalistin verdient, bekannt aber vor allem für ihre Kletteraktionen zum Beispiel an Bahngleisen bei Castortransporten ist. Jahrelange Erfahrung in der Anti-Atom-Szene haben sie zu einem wahren Öffentlichkeitsprofi gemacht, und so informiert sie auch regelmäßig die Öffentlichkeit über den "Keksprozess".

In dem Neubaugebiet wohnt auch der Mann, um den es in dem Verfahren geht: Karsten Hilsen, 52 Jahre alt, ausgebildeter Rettungssanitäter und Posthalter mit abgebrochenem Studium.

Da seine Finanzlage nach eigener Aussage "prekär" sei und er über keinerlei regelmäßiges Einkommen verfüge, ernährt sich der Bauwagenbewohner zum größten Teil von Nahrung aus Müllcontainern großer Supermärkte und Lebensmittelhersteller. Und die Beschaffung von Keksen der Konditorei Scholze auf dem Gelände der Firma im Lüneburger Industriegebiet Hafen hat den groß gewachsenen Mann mit Dreitagebart vor einem Jahr zum ersten Mal vor Gericht gebracht.

Ausgegangen war die erste Instanz vor einem Jahr nach vier Verhandlungstagen mit einer Strafe von 125 Euro wegen Hausfriedensbruchs. Für die zweite Instanz - sowohl Hilsen als auch die Staatsanwaltschaft hatten Berufung eingelegt - sind noch einmal vier Verhandlungstage angesetzt.

Der erste am Montagmorgen zumindest läuft weit ruhiger ab als die von Tumulten begleiteten Tage vor dem Amtsgericht. Zwar wehrt sich der Angeklagte vor Beginn der Verhandlung, dass er - wie die Zuschauer auch - Tasche und Handy außerhalb des Saales deponieren und sich nach gefährlichen Gegenständen abtasten lassen muss. Das Gericht gesteht ihm allerdings sein Taschenmesser mit Lupe, einen Kugelschreiber und ein Getränk zu.

Zwar hatte die Staatsanwaltschaft die Berufung zurückgezogen und im Vorwege angeboten, bei einem Geständnis die Anklage fallen zu lassen, doch darauf lässt sich das Duo Hilsen-Lécomte nicht ein. "Das Verfahren ist absurd", sagt die in Selbstverteidigung erfahrene Aktivistin in einer der durch die zahlreichen Anträge Hilsens - etwa auf Pflichtverteidigung - zahlreichen Verhandlungspausen. "Die Kekse lagen im Müll, und das Tor stand offen. Was ist schlimm daran, abgelaufene Kekse aus der Tonne zu holen, die ohnehin weggeschmissen werden? Es geht um Diebstahl im Wert von null Euro."

Dass Cécile Lecomte ein Verfahren wie dieses für politische Demonstrationen nutzt, ist bereits auf den steinernen Treppenstufen des Landgerichts zu erkennen: "Lebensmittelvernichtung stoppen", steht dort so lange geschrieben, bis der Regen die Kreide wegspült. Und auf ein Bettlaken, mit Kekszacken aus Eddingfarbe versehen, hat sie für die Fernseh- und Fotokameras geschrieben: "Kriminalisierung geht uns auf den Keks. Gerichte sind zum Essen da." Zwar hat es einige Verfahren gegen Hilsen wegen verschiedener politisch motivierter Aktionen gegeben, vorbestraft ist der 52-Jährige aber nicht.

Wie die Verhandlung ausging, stand bei Redaktionsschluss nicht fest. Nächster Termin: 17. Januar, 9.15 Uhr.