Im August 1981 soll Ferdinand H. die 21-jährige Swanhild S. mit 64 Stichen erstochen haben. Jetzt werden die Ereignisse aufgearbeitet.

Stade. Es war eine warme Sommernacht im August 1981. Die 21-jährige Swanhild S. verließ, wie sie es gern tat, ihr Elternhaus in Neuenkirchen (Landkreis Cuxhaven) für einen kurzen Spaziergang. Im Haus standen bereits ihre gepackten Koffer, denn sie wollte am übernächsten Tag nach Frankreich reisen. Doch von dem Spaziergang kehrte die hübsche Abiturientin nicht zurück. Ihre Familie suchte am Folgetag verzweifelt nach Swantje, bevor sie die Polizei einschaltete. Zwei Tage später entdeckte ein Radfahrer die unbekleidete Leiche der jungen Frau, die mit Messerstichen übersät war, zwischen den Ortsteilen Brüninghemm und Scholien am Rande eines Kohlfeldes.

30 Jahre nach der Tat ist Prozessauftakt vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Stade. Unter Vorsitz des Richters Behrend Appelkamp wird der Fall Swanhild S. nun aufgerollt, für alle Beteiligten ein Indizienprozess, bei dem die Kardinalfrage zu beantworten sein wird: Hat die Staatsanwaltschaft genügend Beweise, den Tatverdächtigen aus dem Heimatort des Opfers des Mordes zu überführen? Können so genannte Mordmerkmale, zum Beispiel Heimtücke oder Befriedigung des Geschlechtstriebs nicht nachgewiesen werden, dann bliebe der Tod von Swanhild S. möglicherweise ungesühnt. Denn bei Totschlag wäre die Straftat verjährt.

Staatsanwalt Arne Wieben erhob gleichwohl Anklage gegen den 50-jährigen Ferdinand H. aus Neuenkirchen wegen besonders grausamen Mordes an Swanhild S., den der damals 21-jährige H. in der Nacht zum 24. August 1981 an der jungen Frau begangen haben soll, um eine Straftat zu verdecken.

Swanhild S. war damals ebenfalls 21 Jahre alt. Ihre unbekleidete Leiche wurde zwei Tage nach der Tat gefunden. Sie wurde mit 64 Messerstichen getötet, 44 Stiche fanden die Gerichtsmediziner im Rücken der Toten. Von den Stichen in ihren Brustbereich trafen zwei ins Herz und einer die Brustschlagader. Die Ermittler der Kriminalpolizei fanden heraus, dass das Opfer, bereits von mehreren Stichen getroffen, noch versucht hatte, ihrem Peiniger zu entfliehen, letztlich aber verblutet sei.

Der Angeklagte soll die junge Frau, die sich in der Tatnacht gegen 23 Uhr noch auf einen kurzen Spaziergang begeben hatte, gezwungen haben, in einen abseitigen Feldweg mitzukommen. Dort soll er sie mit einem Schal oder einen Kälberstrick gewürgt haben. Zudem wurde sie vermutlich vom Täter vollständig entkleidet, oder unter Zwang genötigt, gegen ihren Willen selbst zu entkleiden.

Ein anonymer Hinweis führte die Polizei erst 2008 auf die Spur des Tatverdächtigen, der zunächst als Zeuge vernommen wurde. Dabei habe er ein Verhalten gezeigt, das die Ermittler der Polizei veranlasste, ihn danach als Beschuldigten zu vernehmen. Aufgrund einer von H. freiwillig abgegebenen Speichelprobe, erhärtete sich der Tatverdacht und Ferdinand H. wurde in Untersuchungshaft genommen.

"Die auf dem T-Shirt des Opfers gefundenen DNA-Spuren sind mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 88 Milliarden dem Angeklagten zuzuordnen", sagte Staatsanwalt Wieben. Ferdinand H. habe zudem in früheren Vernehmungen zu Protokoll gegeben, in der fraglichen Nacht am Tatort gewesen zu sein, jedoch die junge Frau nicht getötet zu haben. Möglicherweise in Panik könne er mit der Kleidung des Opfers in Berührung gekommen sei, so seine Darstellung.

Diese Version konnte nach Ansicht der Schwurgerichtskammer "nicht mit erforderlicher Sicherheit" widerlegt werden. Deshalb wurde der Haftbefehl gegen den Tatverdächtige H. am 10. Februar 2009 aufgehoben. Ferdinand H. ist seither wieder auf freiem Fuß.

Im Gerichtssaal saß der ledige Mann nun lässig auf der Anklagebank neben seinem Bremer Anwalt. Graues Kurzarmhemd, Jeans, hohe schwarze Schuhe. Die gebräunten, muskulösen Arme hält er verschränkt, stets darauf bedacht, seine kräftigen Hände in den Achselhöhlen zu halten. Das schmale Gesicht des hageren 50-Jährigen ist meist zu Boden gerichtet, seine Mundpartie zuckt und bewegt sich unablässig. Gelegentlich wandert sein unsteter Blick nervös durch den Saal.

Auf die Frage, ob er zum Tatvorwurf etwas sagen möchte, erhebt sich sein Verteidiger, Horst Wesemann: "Mein Mandant ist unschuldig, und weitere Angaben wird er hier nicht machen." Im Verlauf der Beweisaufnahme beginnt Wesemann, die Anklageschrift des Staatsanwaltes zu entkräften. Fehler und mangelnde Belehrungen bei den Vernehmungen seien ebenso Verfahrensfehler wie Telefonüberwachungen und das Abhören von Gesprächen in der Vollzugsanstalt Oldenburg, die vorgeblich ohne richterliche Genehmigungen stattgefunden haben sollen. "Das unqualifizierte Vorgehen macht die Beweise nicht verwertbar", so Wesemann.

Diese Argumente ließen sich jedoch nicht erhärten, da der Staatsanwalt entsprechende Beschlüsse des Amtsgerichts Stade vorlegte. Protokolle und Unmengen von Indizien befinden sich in mehr als einem Dutzend Akten in der bislang 5000 Seiten umfassenden Beweisaufnahme auf dem Richtertisch. Die Kleidung von Swanhild S. wurde seit der Tat als Beweismittel in der Asservatenkammer des Landeskriminalamtes aufbewahrt. An 14 Verhandlungstagen sollen diese Beweise nun geprüft sowie Zeugen und Sachverständige gehört werden.

Erste Zeugin war die Mutter des Opfers, Elsbeth D., heute 75 Jahre alt. Die ehemalige Lehrerin beschrieb ihre Tochter als sehr selbstständige, ordentliche, wissbegierige junge Frau. "Swantje war ein Jahr in den USA an einer High School, sie wollte Sprachen studieren, interessierte sich für Psychologie und Soziologie", erzählt die Mutter. "Sie konnte sehr gut auf Menschen zugehen, zog sich aber ebenso gern auch zurück. Den tragischen Tod ihrer Tochter habe Elsbeth D. nie verwunden. "Dieser Schmerz bleibt ewig, wir mussten lernen, damit zu leben", sagte die Mutter.