Die besonderen Zugvögel machen zurzeit in den Mooren der Region Rast. Der Naturschutzbund bietet geführte Kranich-Wanderungen an.

Oldendorf/Gnarrenburg. Kraniche faszinieren Menschen seit Jahrtausenden als Himmelsboten und Glücksbringer. Sie sind Wetterpropheten, denn wenn sie unsere Region verlassen, ist der Winter nicht mehr fern. Und sie sind begnadete Tänzer, wenn sie zur Balz ihrer Angebeteten imponieren wollen.

Kraniche galten schon den alten Griechen als Symbol der Wachsamkeit und Klugheit. In der ägyptischen Mythologie wurde der Kranich als "Sonnenvogel" verehrt. Die Deutsche Lufthansa verwendet ein 1918 vom Berliner Architekten und Grafiker Otto Firle geschaffenes Kranich-Signet bereits seit 1926 als Firmenzeichen.

Die besonderen Vögel sind in diesen Tagen in unserer Region zu Gast. Die schmetternden Trompetenrufe der Kraniche sind besonders morgens rund um das Hohe Moor zwischen Oldendorf, Elm und Hagenah, an der Grenze der Kreise Stade und Rotenburg (Wümme), zu hören.

Anfang Oktober kommen die Kraniche zurück aus ihren baltischen und skandinavischen Brutgebieten. Auf ihrem Weg in ihre Überwinterungsgebiete im Süden machen sie zwischen Elbe und Weser Station, um Energie für ihren Weiterflug zu tanken. Als Allesfresser ernähren sie sich von Kräutern, Gräsern, Wurzeln, Blättern, Nüssen und Beeren, aber auch von Würmern, Schnecken, Insekten, Fischen, Fröschen und Nagetieren.

Alljährlich im Oktober und November können Naturfreunde rund um das Hohe Moor die grandiosen Flugformationen der "Grus grus", wie die grauen Kraniche wissenschaftlich bezeichnet werden, beobachten.

Die bis zu 1,30 Meter großen Vögel haben eine Flügelspannweite von bis zu 2,45 Metern und können mit einem Tempo von 65 Kilometer pro Stunde fliegen. Sich mit lauten Rufen verständigend, sammeln sich die anmutigen Vögel kreisend, um dann zu den abgeernteten Feldern zu fliegen, wo sie noch genügend Nahrung finden. Ihr gewaltiges Stimmvolumen verdanken die Altvögel dem besonderen Bau und der enormen Länge ihrer bis zu 1,30 Meter langen Luftröhre, die das Brustbein als Doppelschlinge durchzieht.

"Es ist davon auszugehen, dass die größeren Kranichverbände aus dem Kreis Rotenburg einwechseln, dort gibt es die größten Sammelplätze in der Region", sagt Dieter Klaehn von der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Stade. Klaehn, seit 40 Jahren Kreisnaturschutzbeauftragter, sagt, dass genaue Zahlen der Kraniche, die sich im Oldendorfer Moor aufhalten, nicht bekannt sind. "Wir vermeiden ganz bewusst eine Erfassung, weil wir die scheuen Tiere nicht stören wollen."

Grundsätzlich sei aber bekannt, dass es in den vergangenen Jahren mehr Tiere geworden sind. Denn Kraniche seien Tiere, die vom zunehmenden Maisanbau profitieren, so Klaehn. Es sei davon auszugehen, dass etwa sechs Brutpaare im Hohen Moor heimisch sind. Die ersten habe Klaehn Anfang der 90er Jahre, als das Hohe Moor wiedervernässt wurde, entdeckt. Es wurde bis 2006 komplett renaturiert und ist heute ein Naturschutzgebiet, das sich über eine Fläche von etwa 780 Hektar als ein Mosaik aus offenen Wasserflächen erstreckt.

Dennoch bevorzugen die überaus scheuen Kraniche eher weithin freie Moorgebiete, in denen sie natürliche Feinde, wie etwa Fuchs, Seeadler, Rabenvögel oder sie störende Menschen rechtzeitig entdecken können. Diese finden sie im Nachbarkreis Rotenburg.

"Tausende Kraniche rasten im Tister Bauernmoor bei Sittensen und im Huvenhoopsmoor bei Augustendorf und Gnarrenburg, am Rande des Teufelsmoores", sagt Rotenburgs Naturschutzbeauftragter Werner Burkhard.

Damit sie im Herbst, zur Kranichzeit, dort beobachtet werden können, haben die Naturschützer an bestimmten Orten dafür Voraussetzungen geschaffen. "Mit unserer Kranichschanze im Huvenhoopsmoor realisieren wir einen weiteren Baustein für die Kranichbeobachtung", so Projektleiter Axel Roschen von der Nabu-Umweltpyramide Bremervörde. Gemeinsam mit dem Vogelexperten Jürgen Hicke vom Naturschutzbund Rotenburg wurde ein Konzept entwickelt, die Kraniche an ihren Rastplätzen störungsfrei zu beobachten. Bis Anfang Dezember werden geführte Wanderungen und Beobachtungsmöglichkeiten angeboten, so Hicke. Das sei sinnvoll, damit die Vögel nicht unnötig von interessierten Wanderern aufgestört werden, so die Vogelexperten.

An manchen Wochenenden während des Kranichzugs seien unzählige Menschen unterwegs, die Kraniche auf eigene Faust beobachten wollen. "Leider geht das meist nicht ohne massive Störungen für die Vögel", sagen Roschen und Hicke. "Aufgescheuchte Kraniche verlieren viel Energie, die sie für den Weiterflug dringend benötigen", sagt Roschen. Die Tiere müssten länger fressen, und so steige auch das Risiko, dass sie Schäden auf landwirtschaftlichen Flächen anrichten, was man vermeiden wolle, so die Kranichexperten.

Inzwischen ist auch ein Streit zwischen Landwirten und Naturschützern entbrannt. Weil immer mehr Kraniche kommen, fordern einige Landwirte sogar Abschüsse und erheben Vorwürfe gegen Naturschützer, weil sie in der Wiedervernässung der Moore und nicht im extremen zugenommen Maisanbau Ursachen für steigende Kranichzahlen sehen, sagt Jürgen Hicke.

Wer sich zuerst einmal lesend auf die Kranichzeit vorbereiten möchte, hat dazu jetzt eine neue Möglichkeit. Viel Wissenswertes und beeindruckende Bilder haben der Journalist Tobias Böckermann und der Fotograf Willi Rolfes in dem neu erschienenen Buch "Der Kranich -Ein Vogel im Aufwind" zusammengetragen.

"Wenn sich zehntausende Kraniche zweimal im Jahr an den Rastplätzen in Deutschlands Norden versammeln, werden sie zum Ereignis", sagt der Verleger des Buches Wolf-Dietmar Stock.

Rolfes und Böckermann haben die mehr als 10.000 Kraniche im Tister Bauernmoor, Huvenhoops-Moor und in der Diepholzer Moorniederung, wo alljährlich bis zu 70.000 Vögel rasten, über lange Zeiträume intensiv beobachtet und ihr Verhalten dokumentiert.

Willi Rolfes fotografiert Kraniche seit Jahren. Eine Vielzahl von Bildbänden spiegelt seine bisherige Arbeit wider. Tobias Böckermann, der Textautor des Buches, arbeitet als Redakteur. Nach dem Studium der Biologie gilt seine berufliche Leidenschaft der Naturreportage. Das Buch ist im Fischerhuder Verlag "Atelier im Bauernhaus" erschienen.

Wer sich für Kranich-Wanderungen interessiert, kann sich bei der Umweltpyramide des Nabu Bremervörde unter Telefon 04761/713 30 melden.