Nicht das erste Mal: Junge Leute ziehen randalierend durch ein ruhiges Wohnviertel. Ein Jugendlicher schießt einer 41-Jährigen in den Hals.

Buxtehude. Die Reeperbahn in Buxtehude, eine ruhige Seitenstraße, schmucke Einfamilienhäuser, gepflegte Vorgärten voller Blüten. Vor dem Haus Nummer 26 sind Ermittler der Kriminalpolizei bei der Arbeit. Sie werden aufklären, wer hier am Montagabend Britta Wünsche mit einer Schreckschusswaffe in den Hals schoss. Die 41 Jahre alte Mutter von sechs Kindern wurde dabei so schwer verletzt, dass sie im Elbeklinikum Buxtehude operiert werden musste.

Die Buxtehuderin hatte gegen 23.30 Uhr einen Jugendlichen am Arm festgehalten, der zuvor das Auto der Familie beschädigt hatte und sich dann auf ihrem Grundstück zu schaffen machte. Doch als Britta Wünsche nach ihrem Mann rief, schoss der Jugendliche aus etwa 20 Zentimeter Entfernung direkt auf den Hals der Frau.

"Ich hörte den Knall, spürte einen höllischen Schmerz und dachte, der hat auf dich geschossen, das war's jetzt für dich", sagt Britta Wünsche. Im ersten Moment habe sie Todesangst gehabt, keine Luft mehr bekommen und den beißenden Pulvergeruch in der Nase gespürt, beschreibt die Frau ihre Empfindung. Sie habe an ihren Hals gegriffen, das Blut und den Pulverruß an den Händen gehabt und geglaubt, da sei ein Loch im Hals.

Der Schock sitzt tief bei ihr und ihren Angehörigen. "Dass einer der Jugendlichen eine Waffe zieht und aus direkter Nähe abdrückt, hätte ich nie für möglich gehalten", sagt die 41-Jährige."Es ging so rasend schnell, der Jugendliche muss die Waffe schussbereit in der Hand gehalten haben", sagt die gelernte Friseurin, die noch immer verletzt im Buxtehuder Krakenhaus liegt.

Ihre braunen Augen schauen zu dem OP-Hemd, das auf ihrem Bett liegt. Am Hals ist zu sehen, wie Schwarzpulver und Zündmittel die Konturen ihrer Kette eingebrannt haben. Die Pulverreste, die bei der Erstversorgung im Elbeklinikum nicht entfernt werden konnten, müssen jetzt von der verbrannten Haut entfernt werden. Die Ärztin hat Britta Wünsche soeben alles zur Operation erklärt. "Das wird wohl noch einmal weh tun", sagt die Buxtehuderin. Dann strafft sie sich und flüstert: "Ich denke, ich würde wohl sicher wieder genau so handeln, das war eine spontane Reaktion."

Dafür bekommt sie Lob von der Polizei. "Die Frau hat alles richtig gemacht, Zivilcourage gezeigt und auch keine Grenzen überschritten", sagt Stades Polizeisprecher Rainer Bohmbach. "Dass einer der Jugendlichen schießt, damit hat sie nicht rechnen können. Allerdings hatten wir so einen Fall noch nicht im Landkreis Stade." Auch für Schreckschusswaffen benötige man einen Waffenschein, so Bohmbach.

Die Polizei hat mehrere Ansatzpunkte für ihre Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Täter haben bei ihrer Flucht ein Fahrrad hinterlassen.

"Schon in den vergangenen Tagen gab es immer wieder Zwischenfälle, bei denen Jugendliche hier an der Reeperbahn ihr Unwesen getrieben haben", sagt Marvin Sievert, Sohn von Britta Wünsche. "Die haben Spiegel von Autos abgetreten, Antennen abgeknickt, Mercedes-Sterne abgebrochen, ja sogar Kinderspielzeug aus den Vorgärten geholt. Am Freitag stand eine Plastikrutsche dort auf der Kreuzung", sagt Sebastian Wünsche, Stiefsohn der verletzten Frau.

Nachbarn bestätigen, dass Randalierer in den vergangenen Tagen in Unwesen in Buxtehude getrieben haben. "Mir haben sie die Solarleuchte aus dem Vorgarten geholt und einen Passanten damit beworfen", sagt eine alte Dame von gegenüber. Sie habe die Schüsse gehört und sich nicht vor die Tür getraut. "Hier ist in letzter Zeit fast jedes Wochenende was los. Aber bitte schreiben Sie meinen Namen nicht in die Zeitung, sonst habe ich womöglich bald keine Scheiben mehr im Fenster", flüstert die Seniorin.

Auch ihre erblindete Nachbarin berichtet von den Schüssen, die sie gehört hat. Dann habe sie die Frau schreien gehört und große Angst gehabt.

Ein weiterer Nachbar hatte bereits am frühen Montagabend drei Jugendliche überrascht, die Autos demolierten. Als er auf sie zukam, flüchteten sie und ließen ein Fahrrad zurück. "Das haben sie wohl später holen wollen und sind mit drei weiteren Jugendlichen zu Verstärkung angerückt", sagt Marvin Sievert. Der Abiturient kam aus seinem Hobbykeller angerannt, als er seine Mutter rufen hörte und sah die Jugendlichen nur noch flüchtend.

Nach der Horrornacht von Buxtehude sind die Nachbarn fassungslos. "Das ist eine so schöne, stille Gegend hier, aber manchmal sieht man gelangweilte Halbstarke herumziehen. Man hat den Eindruck, die haben Ferien und wollen was erleben", sagt Anwohner Thomas Rocksin. Seine Nachbarin Barbara Martens ist erschüttert von dem Geschehen, das sie selbst gar nicht gehört hatte. "So nah hier bei uns, da bekomme ich Gänsehaut." Auch Nachbarin Sabine Elsner hat nichts von dem Schuss gehört. "Die meisten Wohnzimmer liegen nicht zur Straße, da bekommt man nichts mit."

Seit dem Vorfall fahren Polizeiwagen Streife in dem Wohngebiet. Der verdächtige Jugendliche, der den Schuss abgegeben hat, wird laut Polizeiangaben wie folgt beschrieben: zirka 1,80 Meter groß, westeuropäisches Äußeres. Er war bekleidet, mit einer so genannten Baggy-Pants-Jeans, bei der der Hosenboden fast in den Kniekehlen hängt. Dazu trug er ein weißes T-Shirt mit schwarzem Aufdruck.